Im Corona-Jahr gab es 266 Vermittlungen

So hilft eine Stiftung Zuger Stellensuchenden mit Handicap aus der Patsche

Für Menschen im Rollstuhl bringt die Coronakrise und damit verbunden das Homeoffice eher Vorteile. (Symbolbild: Adobe Stock)

Firmen zu finden, die Menschen mit Handicap einen Job geben, ist in der Krise nicht einfacher geworden. Die Stiftung Profil, deren Ziel es ist, möglichst viele von der IV in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, hat während Corona mehr zu tun als zuvor. Die Erfolgsgeschichten bleiben aber nicht aus.

Es sind harte Zeiten. Die Coronakrise bremse die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen und werfe die Bemühungen der Eingliederung um Jahre zurück, berichteten deutsche Medien.

Für Menschen mit einem gesundheitlichen Handicap ist es meistens schwieriger, eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt zu finden. Das spitzt sich in Krisenzeiten noch zu, weiss Tobias Hasler.

Hasler ist der Leiter der Regionalstelle Zentralschweiz bei der Stiftung Profil – Arbeit und Handicap mit Büros in Zug und Luzern. Profil wurde 1999 von der Behindertenorganisation Pro Infirmis gegründet mit dem Zweck, Menschen mit Behinderung oder gesundheitlicher Beeinträchtigung im Schweizer Arbeitsmarkt zu integrieren.

So, dass diese gar nicht auf eine IV-Rente angewiesen sind oder dass sie trotz Rente regulär arbeiten können. 2019 gelang das bei insgesamt 704 Personen in 282 Fällen. 2020 konnten wegen Corona etwas weniger Vermittlungen erzielt werden – nämlich bei 266 von 748 Interessentinnen. «Erfreulicherweise gab es aber keinen grossen Einbruch», so Hasler.

Jobs sind in der Coronakrise eher gefährdet

Personen mit Handicap sind im Vergleich zu solchen ohne Beeinträchtigungen bei gleicher Bildung in der Regel in schlechter bezahlten Jobs und vermehrt in prekären Arbeitsverhältnissen tätig. Das zeigten verschiedene Untersuchungen vor Corona. Diese Jobs sind in Krisen auch eher von einem Abbau gefährdet, führt Hasler aus.

Verlieren demnach mehr Menschen mit Handicaps in der Krise ihre Arbeit? Bei der IV-Stelle Zug spürt man noch keine Häufung von Stellenverlusten bei Personen mit Einschränkungen. Vielleicht ist es aber auch einfach noch zu früh. Denn laut der Stellenleiterin steigen die Anmeldungen bei der IV bei einer allgemein zunehmenden Zahl von Stellenlosen erfahrungsgemäss erst verzögert (zentralplus berichtete).

Bewerbungsgespräch für Hörbehinderte musste wegen Corona abgesagt werden

Hasler bestätigt dies. Viele Betroffene sind noch in Kurzarbeit und beziehen Arbeitslosen- oder Krankentaggeld. «Die Unsicherheit nimmt aber zu und auch wir hören von Kündigungen und coachen Betroffene in solchen Situationen.»

Einige Türen zu neuen Integrationsprojekten gingen wegen Corona auch zu. Die Facharbeiter von Profil kennen viele Geschichten von Menschen mit Handicaps, bei denen Corona die Inklusion erschwert oder gar ausgebremst hat.

Im Januar konnte Hasler beispielsweise für eine gehörlose kaufmännische Angestellte ein Vorstellungsgespräch bei einer Firma vereinbaren. Dann verschärfte der Bund die Corona-Massnahmen. «Der Termin musste kurzfristig wegen dieser Massnahmen abgesagt werden, da mit der Gesichtsmaske das Ablesen von den Lippen, die Kommunikation und die Einarbeitung für die Bewerberin nicht möglich gewesen wären.»

Tobias Hasler, Leiter der Regionalstelle Zentralschweiz der Stiftung Profil – Arbeit und Handicap. (Bild: Nora Nussbaumer)

Ein Mann kündigte selber, weil er Angst hatte, dass ihm gekündigt wird

Das ist kein Einzelfall. Andere Geschichten nahmen dank der Arbeit der Stiftung Profil in Zusammenarbeit mit IV, RAV und den Kantonalen Sozialdiensten dann doch noch eine glückliche Wendung. Hasler erzählt von mehreren Fällen von Stellensuchenden, die bei Profil betreut wurden.

Ein Mann mit einer IV-Rente litt unter der Angst vor einer möglichen Kündigung so sehr, dass er schliesslich selber gekündigt hat. Er wechselte in eine geschützte Einrichtung, weil dort der Druck weniger hoch sei.

Oder ein ehemaliger Aussendienstmitarbeiter mit einer psychischen Beeinträchtigung gelangte in Zusammenarbeit mit RAV und IV Anfang des letzten Jahres durch einen Arbeitsversuch in eine Druckerei. Der Arbeitgeber beabsichtigte bereits, ihn fest anzustellen. Dann kam der Lockdown, der fatale Folgen für die Druckerei-Branche hatte. So war es auch nicht mehr möglich, dem Mann eine Festanstellung zu geben.

«Wir müssen pro Person in der Regel bei Arbeitgebern mehr Anfragen machen, um zu einem Erfolg zu kommen.»

Tobias Hasler, Leiter Regionalstelle Zentralschweiz Stiftung Profil – Arbeit und Handicap

«Er ist ein fast fünfzigjähriger ehemaliger Kadermitarbeiter, der nach zwei Jahren Stellensuche kurz vor dem Ziel dann doch ausgesteuert wurde», so Hasler. Die Stiftung Profil kontaktierte intensiv eine grosse Anzahl Arbeitgeber. So konnte sie für ihn eine Stelle im Gesundheitswesen finden. «Deshalb ist er glücklicherweise nur einige Wochen ausgesteuert geblieben.»

Beraterinnen haben mehr zu tun

Arbeitgeber zu gewinnen, die einem Menschen mit Handicap einen Job geben möchten, ist in der Krise sicher nicht einfacher geworden. Auch wenn die Stiftung noch Erfolge in der Integration erzielt: Der Aufwand ist grösser geworden.

«Wir müssen pro Person in der Regel bei Arbeitgebern mehr Anfragen machen, um zu einem Erfolg zu kommen», sagt Hasler. Je nach Branche ist das einfacher oder beinahe unmöglich – wenn es beispielsweise Jobs in der Gastronomie, im Detailhandel, Tourismus oder im Eventbereich geht. Branchen, die unter der Krise stark leiden.

«Besonders Menschen mit Autismus oder einer sozialen Phobie kommt Homeoffice oftmals entgegen.»

Tobias Hasler

«Sicher ist es auch so, dass wir uns vermehrt überlegen, ob es sich zum Beispiel lohnt, für eine Fachkraft aus der Gastronomie Anfragen zu machen. Das ist momentan fast aussichtslos», sagt Hasler. Anders ist es, wenn die Person beispielsweise auch Kompetenzen hat, um in der Reinigung oder in der Logistik zu arbeiten.

Homeoffice ist für die einen eine Chance, für andere umständlicher

Menschen sind je nach Beeinträchtigung unterschiedlich von der Coronakrise betroffen. «Für die meisten Personen mit psychischen Einschränkungen ist der Zugang zum Arbeitsmarkt sicher schwieriger geworden», sagt Hasler. Erschwerend sind zum Beispiel die Einarbeitung während des Homeoffice oder auch die Isolation zu Hause, die fehlenden persönlichen Kontakte oder womöglich auch die Angst vor einer Ansteckung.

Es gibt aber auch Ausnahmen: Psychisch beeinträchtigte Menschen, denen es besser geht. «Besonders Menschen mit Autismus oder einer sozialen Phobie kommt Homeoffice oftmals entgegen», so Hasler.

Bei Menschen mit physischen Handicaps seien die Auswirkungen extrem unterschiedlich. Dem Rollstuhlfahrer kommt das Homeoffice eher zugute, wie der Luzerner Philippe Fries bestätigte (zentralplus berichtete). Oder Sinnesbeeinträchtigte, die durch den Digitalisierungsschub vermehrt teilnehmen können.

Hasler sieht auch Chancen

Ganz so pessimistisch wie die deutschen Medien berichten, dass die Inklusion um Jahre zurückgeworfen werde, sieht es Hasler nicht: «Ich glaube nicht, dass das Thema bei den Arbeitgebern verloren geht.» Auch wenn die aktuelle Situation ausserordentlich sei und es sicher mitentscheidend für die Stellensituation für Menschen mit Handicap sein werde, wie schnell sich der Arbeitsmarkt erhole.

«Diversity ist hip, doch oft liegt der Schwerpunkt der Konzepte nicht auf Personen mit Handicap.»

Tobias Hasler

«Wir waren an einem gewissen Punkt weit beim Thema Inklusion, wenn auch nicht extrem weit.» In der Schweiz gibt es keine Quote, die Unternehmen zu einem Engagement verpflichtet, wie Hasler ausführt. Das macht die Integration abhängig von der Bereitschaft der Arbeitgeber und auch von der Konjunktur. Die Zentralschweiz sei mehrheitlich KMU-geprägt.

«Der Wille bei Unternehmen ist oftmals da, aber es fehlt an Wissen für die Umsetzung.» Kleinere Unternehmen hätten in der Regel kein Inklusionskonzept oder eine Person, die für Diversity verantwortlich sei. Bei grösseren, internationalen Firmen sei das anders. «Diversity ist hip, doch oft liegt der Schwerpunkt der Konzepte nicht auf Personen mit Handicap», so Hasler.

Die Zentralschweizer Kantone sind auf politischer Ebene dabei, die Inklusion umzusetzen. Die Sensibilisierung auf das Thema Inklusion von Menschen mit Behinderung nimmt also zu. «Es braucht wohl noch viele weitere Jahre, bis die Inklusion selbstverständlich wird», sagt Hasler.

Er hat die Hoffnung, dass durch die Krise gewisse gesellschaftliche Fragen wie Inklusion mittel- bis langfristig an Priorität gewinnen. Denn etwas hat uns die Krise gelehrt: Nur mit Solidarität kommen wir weiter. Hasler ist zuversichtlich: Die neue Normalität kann auch Positives mit sich bringen.

Ein erfolgreiches Beispiel vor Corona aus dem Kanton Obwalden:

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