Luzerner Homosexueller nach Übergriffen

«Anzeigen ohne Erfolg – das ist jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht»

Kämpft seit 25 Jahren gegen Homophobie: der Luzerner Vincenzo d'Adamo. (Bild: ida)

Vincenzo «Vinci» d'Adamo kämpft seit 25 Jahren gegen Homophobie. Zahlreiche Anzeigen hat er eingereicht. Nun hat die Polizei zum ersten Mal einen Mann gefunden, der ihn attackiert hat. Doch der bestreitet, den stadtbekannten Coiffeur bedroht zu haben.

Unzählige Anzeigen gegen unbekannt hat er eingereicht. Fünf Mal, weil er spitalreif geschlagen wurde. Dann wegen Beschimpfung und Bedrohung. Und das alles, weil er homosexuell ist. «15 bis 20 Anzeigen waren es sicherlich», sagt Vincenzo «Vinci» d'Adamo. Dann winkt er ab. «Nein, viel mehr.»

Ende des letzten Jahres und Anfang 2020 kam es erneut zu Übergriffen. D'Adamo wurde von demselben Mann an zwei verschiedenen Orten – der Brockenstube in Kriens und im Coop an der Luzerner Winkelriedstrasse – beschimpft. Der Mann soll ihn auch mit dem Tod bedroht haben. Deshalb reichte der Coiffeur Anzeige bei der Luzerner Polizei ein (zentralplus berichtete).

Mit Erfolg. Es ist das erste Mal, dass jemand, der ihn attackierte, gefunden wurde.

Staatsanwaltschaft hat Untersuchung eingestellt

Doch die Berner Staatsanwaltschaft hat entschieden, die Strafuntersuchung einzustellen. Es kam zur klassischen Aussage-gegen-Aussage-Situation: Der Beschuldigte gab bei der Einvernahme an, dass er von d'Adamo «komisch angeschaut» worden sei. Er räumte zwar ein, dass er möglicherweise vor die Füsse d'Adamos gespuckt und ihn «Arschloch» genannt habe – aber er habe ihn nicht mit dem Tode bedroht.

Die Staatsanwaltschaft hält es für unwahrscheinlich, dass der Mann bei dieser Beweislage verurteilt werden könnte. Denn Zweifel gehen im Schweizer Rechtssystem immer zugunsten des Beschuldigten.

Gegen die Einstellung wehrt sich d'Adamo nicht. «Ich will nicht noch mehr Energie investieren, in etwas, was ein niemals endender Kampf ist», sagt er bei einem Treffen im «Salü» im Helvetiapärkli.

Dennoch: Es beruhigt ihn, dass die Polizei sich darum bemüht hat, den mutmasslichen Täter zu finden. Und dass er jetzt den Namen des Mannes kennt.

Den Pfefferspray hat d'Adamo nach wie vor dabei

Heute geht es d'Adamo besser. Beim Treffen für den ersten zentralplus-Bericht noch vollbärtig, hat er sich vor einigen Monaten kahl rasiert. «Sechs Jahre Ballast sind weg», sagt d'Adamo. Der Bart war für den passionierten Coiffeur nicht nur etwas Haar, das er nach einer verlorenen Wette (er setzte beim Fussball-WM-Spiel auf Argentinien statt auf Deutschland) wuchern liess. Er fand Gefallen daran – und mit der Zeit wurde dieser zu einem Art Schutzschild.

D'Adamo schaut während des Gesprächs nicht mehr wie ein scheues Reh um sich. Hält nicht mehr den Pfefferspray griffbereit in seinen Händen. Auch wenn er diesen in seiner Regenbogen-Beuteltasche griffbereit hat.

Jede Anzeige kostete ihn Kraft

Jede Anzeige, die d'Adamo bei der Polizei eingereicht hat, hat ihn nicht nur Zeit gekostet. Sondern Mut, Kraft und unglaublich viel Energie, wie er sagt.

«Zahlreiche Anzeigen blieben ohne Erfolg. Das ist jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht. Als ob Homophobie nicht existiert.»

Zahlreiche Anzeigen blieben ohne Erfolg. «Das ist jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht. Als ob Homophobie nicht existiert. Und du als Homosexueller alleine mit Beschimpfungen und Übergriffen klarkommen musst.»

Oft auf den Bericht angesprochen

Der Bericht von zentralplus über die Vorfälle, die d'Adamo erlebt hat, führten laut dem 40-Jährigen zu einer grossen Welle der Solidarität – aus der LGBT-Community, aus der ganzen Stadt.

Hier findest du Hilfe

Wer Opfer von homo- oder transphober Gewalt wurde, kann den Vorfall hier bei der Meldestelle von Pink Cross melden.

Beraterinnen und Berater stehen dir zudem über die LGBT+ Helpline zur Seite unter der Nummer 0800 133 133. Kostenlos, jeweils von Montag bis Donnerstag, 19 bis 21 Uhr.

Viele Kundinnen und Kunden suchten seinen Coiffeursalon an der Dornacherstrasse auf, sprachen ihn auf den Bericht an. Nachdenklich, zuvorkommend und feinfühlig, wie d'Adamo sagt. «Die meisten waren schockiert, entsetzt. Sie realisierten nicht, dass es solche Übergriffe im Jahr 2020 noch gibt.»

Seine Reichweite nutzt er, um gegen Schwulenhass zu kämpfen

D'Adamo nutzt seine Reichweite auf Facebook, um immer wieder auf Hass gegen Schwule aufmerksam zu machen. Auch den letzten Bericht hat er geteilt – und über 400 Reaktionen erhalten.

D'Adamo ist zudem ein Gesicht der diesjährigen Pride-Kampagne «Bekenne Farbe gegen Hass». Sein Gesicht ziert Plakate in den Trams von Zürich, Zeitungen, Flyern und Prospekten.

«Mir geht es überhaupt nicht darum, bekannt zu werden», sagt d'Adamo bestimmt. «Sondern ich will mit meiner Geschichte und meinem Gesicht für die Rechte von uns Homosexuellen einstehen.» So ärgert es ihn umso mehr, wenn man ihn darauf anspricht, dass man das Plakat von ihm gesehen habe. «Dann heisst es: ‹Vinci, so toll! So schön!› Und wenn ich dann frage, ob sie denn auch wüssten, worum es geht, verstummen sie.»

Jeden Fall zur Anzeige bringen

Auch wenn sich d'Adamo gewünscht hätte, dass der Mann, der ihn beschimpft und bedroht hat, dafür geradestehen muss, zieht er daraus neue Hoffnung.

«Es hat mir für die Zukunft gezeigt, dass wir Homosexuelle jeden Fall zur Anzeige bringen sollen» – er korrigiert sich – «nein, wir müssen jeden Fall zur Anzeige bringen.» Für die Rechte der Homosexuellen und gegen Unterdrückung und Diskriminierung wird d'Adamo weiterkämpfen. Jeden Tag.

Pink Cross spricht von «Klassiker»

Auch der Schwulenverband Pink Cross ist nicht überrascht über die Einstellung der Strafuntersuchung. «Es ist der Klassiker schlechthin», sagt Geschäftsleiter Roman Heggli. «Entweder werden Täter nicht gefunden – und wenn doch, steht Aussage gegen Aussage.» Die wenigsten würden bei einem Angriff daran denken, von Personen, welche den Vorfall mitbekommen haben, Kontaktdaten aufzunehmen, um sie später als Zeugen beiziehen zu können.

Letztes Jahr wurden der Helpline von Pink Cross 66 Vorfälle gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte aber hoch sein. Schweizweit werden homophobe Übergriffe von der Polizei statistisch nicht erfasst, was vom Schwulenverband schon lange kritisiert wird.

Heggli schätzt, dass nur rund die Hälfte der ihnen gemeldeten Fälle angezeigt werden. Warum nur so wenige? «Viele sind resigniert», sagt Heggli. «Einige aus der LGBT-Community werden regelmässig angepöbelt oder beleidigt und haben nicht die Zeit oder Energie, jeden kleineren Vorfall zu melden.» Andere hätten zudem Angst, auf dem Polizeiposten nicht ernst genommen zu werden. Gar erneut Diskriminierung erleiden zu müssen. «Tendenziell gelangen eher heftige Fälle an die Polizei, in denen es um Körperverletzung geht», so Heggli.

Seit dem 1. Juli ist nach dem Ja des Schweizer Stimmvolkes öffentliche Hetze gegen Homo- und Bisexuelle strafbar. Bisher sind Heggli in diesem Zusammenhang noch keine Fälle bekannt. «Die Schwierigkeit am Gesetz ist, dass es dabei nur um öffentlich geäusserten Hass geht. Aber bei den meisten Angriffen, den klassischen Hate Crimes, greift das Gesetz nicht.»

Den früheren Bericht über Vincenzo d'Adamo kannst du hier nachlesen:

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Andreas Peter
    Andreas Peter, 10.08.2020, 10:09 Uhr

    Ich wurde auch schon beschimpft und bedroht, bin deswegen aber nicht zur Polizei gegangen.
    Da ich keiner «geschützten Minderheit» angehöre, interessiert das wohl auch niemanden, die Medien sowieso nicht.

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    • Profilfoto von Billie Holiday
      Billie Holiday, 10.08.2020, 13:35 Uhr

      Der Mann ist einschlägig bekannt. Der Verdacht, dass sehr Vieles von dem, was ihm – und nur ihm – angeblich widerfährt, sich nur in seiner Phantasie abspielt, ist nicht ganz leicht zu widerlegen.

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    • Profilfoto von CScherrer
      CScherrer, 10.08.2020, 15:12 Uhr

      Was heisst «einschlägig» bekannt?

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