Luzerner ADHS-Verein will Betroffene stärken

«Am richtigen Ort können ADHS-Betroffene Höchstleistungen bringen»

Daniel Krucker ist Präsident des Vereins ADHS Schweiz.

(Bild: Natalie Ehrenzweig)

Der Leidensdruck von ADS- oder ADHS-Betroffenen ist hoch. Ein Verein sammelt nun Geld und will den Betroffenen Strategien beibringen, wie sie ihr Leben einfacher gestalten können. Denn: Es sind bei Weitem nicht nur Kinder von der Krankheit betroffen.

Laut einer Studie des Bundesamts für Gesundheit sind in der Schweiz 4 bis 10 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Schulalter von ADS oder ADHS betroffen. ADS ist das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, beim ADHS kommt noch die Hyperaktivität hinzu (siehe Box). Fachleute gehen davon aus, dass rund 60 Prozent dieser Betroffenen die Symptome dieser Störung beziehungsweise Krankheit auch als Erwachsene haben. Daniel Krucker ist betroffen: «Schon als Kind war irgendwie klar, dass ich etwas anders bin. Doch zur Diagnose kam es erst als Erwachsener vor etwa zehn Jahren.» Der Horwer hat einen für ADHS-Betroffene «klassischen» Lebenslauf hinter sich, mit vielen Job- und Partnerwechseln.

Zum Zusammenbruch führte, dass Krucker neben seiner Vollzeitstelle seine Selbstständigkeit aufbaute. «Ich bekam ein Burn-out, die Beziehung kriselte. Ich merkte, dass ich Hilfe brauchte, und ging in eine Klinik.» Dort lernte er Markus Leutenegger kennen. «Wir waren beide der Meinung, dass mehr für ADS- und ADHS-Betroffene gemacht werden muss. So haben wir den Verein IG ADHS Schweiz gegründet», erzählt er. Ziel des Vereins sei vor allem, zu informieren – die Betroffenen und Angehörigen sowie die Gesellschaft.

Ein ADHS-Coach soll helfen

Nun hat der Verein eine Crowdfunding-Kampagne bei «Funders» gestartet. «Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Mit unserer Lerngruppe möchten wir Betroffenen Informationen vermitteln und Strategien zur Bewältigung des Alltags zeigen», erklärt der Vereinspräsident. Mit dem gesammelten Geld sollen ein ADHS-Coach und eine Fachperson bezahlt, die Miete der Räumlichkeiten und der Druck eines Flyers finanziert werden. Im Video erklärt Daniel Krucker seine Motivation.

«Als Erwachsener merkt man das eher als innere Unruhe, als Getriebensein.»

Daniel Krucker

ADS respektive ADHS

ADHS wurde erstmals 1845 von Heinrich Hoffmann im Buch «Der Struwwelpeter» literarisch dargestellt. 30 bis 50 Prozent derjenigen, die bereits im Kindesalter ADHS haben, leiden noch als Erwachsene an der Krankheit. Die genauen Ursachen sind noch ungeklärt, doch man weiss, dass der Informationsaustausch zwischen den Nervenzellen im Gehirn beeinträchtigt ist und Reize nicht richtig verarbeitet werden. Wichtig ist hier der Botenstoff Dopamin, der bei Betroffenen seltener vorkommt. Daher die Konzentrationsstörungen. Eine genetische Veranlagung kann als Ursache infrage kommen.

Zu den Symptomen zählen neben der Konzentrationsschwäche auch leichte Ablenkbarkeit, starke Impulsivität, langsame Reaktionen. «Die äussere Unruhe im Kindesalter wird bei Erwachsenen oft zu einer inneren Unruhe», erklärt Daniel Krucker. Als Therapie werden neben Medikamenten auch Verhaltenstherapien angewendet.

«In der Zentralschweiz gibt es nicht sehr viele Hilfsangebote. Die Selbsthilfegruppe trifft sich zum Beispiel nur viermal jährlich. Und auch wenn Medikamente den Betroffenen helfen können, so brauchen sie trotzdem Unterstützung in der Bewältigung des Alltags. Dabei kann unsere Lerngruppe in die Bresche springen», erklärt Krucker.

«Man muss seine Stärken kennenlernen»

ADS/ADHS-Betroffene können sich nicht für eine längere Zeit konzentrieren. «Trotzdem gibt es das Hyperfokussieren. Das heisst, wenn ich zum Beispiel für die IG ADHS Schweiz arbeite, kann es sein, dass ich vergesse zu essen, Pausen zu machen. Und dann kipp ich nach ein paar Tagen fast um. Der Umgang mit den eigenen Energien ist sehr schwierig», erläutert der Präsident. Kinder, die ADHS haben, sind in der Schule meist auffällig, weil sie nicht stillsitzen können, den Unterricht stören. «Als Erwachsener merkt man das eher als innere Unruhe, als Getriebensein», beschreibt Krucker. Dieses Getriebensein spürt auch das Gegenüber, die Körperhaltung ändert sich oft, der Blick flitzt durch den Raum.

Gerade auch die Symptome der Krankheit führen dazu, dass Daniel Krucker sehr viel Zeit für seinen Verein aufwenden muss und nicht so viel Unterstützung erfährt, wie er es gerne hätte: «Das ist halt das Problem bei Leuten mit ADHS oder ADS: Sie sind schnell überfordert oder ziehen sich zurück, weil es ihnen nicht gut geht.» Darum ist für den Präsidenten wichtig, dass der Verein nicht nur Freizeitaktivitäten wie beispielsweise Wanderungen organisiert. Mit der Lerngruppe, die sich monatlich treffen wird, sollen den Betroffenen Tipps für den Alltag gegeben werden. «Da gibt es zum Beispiel die Methode der ‹progressiven Muskelrelaxation›, die bei der Entspannung hilft.» Und der Coach solle beim Zeitmanagement helfen und so Strukturen aufbauen. «Allgemein geht es darum, seine Stärken kennenzulernen und diese dann weiter zu stärken.»

Daniel Krucker will Helfe zur Selbsthilfe bieten.

Daniel Krucker will Hilfe zur Selbsthilfe bieten.

(Bild: Natalie Ehrenzweig)

Integration auf dem Arbeitsmarkt fördern

Betroffene können schlecht abschalten und grübeln viel. «Problematisch wird es dann erst recht, wenn andere Symptome auftreten wie Angst- oder Schlafstörungen», betont Krucker. Es herrsche ein grosser innerer Druck, weil man in der Vergangenheit oft versagt habe. «So stürzt natürlich auch das Selbstbewusstsein immer mehr ab.» Aufklärung in Bezug auf die Integration in den Arbeitsmarkt ist auch ein Anliegen des Vereins IG ADHS Schweiz. «Häufig teilen Arbeitgeber den Betroffenen einfachste Aufgaben zu, damit mögliche Fehler keine grossen Folgen haben. Doch diese Arbeiten langweilen und unterfordern die Betroffenen oft schnell. Hier braucht es neue Ideen, denn Betroffene sind oftmals sehr intelligent, am richtigen Ort eingesetzt können sie Höchstleistungen erbringen», sagt er.

Insgesamt werden mindestens 6900 Franken gebraucht. Wer die IG ADHS Schweiz beim Anbieten einer solchen Lerngruppe unterstützen will, kann als Gegenleistung von einer Dankeskarte (20 Franken) über ein Tagebuch eines ADHS-Kindes «Ich dreh gleich durch» (100 Franken) und einen Fondueplausch bei Daniel Krucker (150 Franken) bis hin zu einem Apéro mit Überraschungen für zwei Personen wählen. «Wenn wir 12’900 Franken sammeln können, würden wir auch eine Lerngruppe in St. Gallen eröffnen. Das wäre toll.» Falls das Sammelziel nicht erreicht werde, beginne die Suche nach Sponsoren. Oder die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen wie Elpos oder Selbsthilfe würden verstärkt. «Anbieten werden wir sie sowieso», ist der Präsident überzeugt.

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