Luzern: Zweiter Vorfall innerhalb eines Jahres

Altstadt-Parkhaus entwickelt sich zum Suizid-Hotspot

(Bild: giw)

Innerhalb eines Jahres sprangen zwei Menschen vom Altstadt-Parkhaus in den Tod. Sicherungsmassnahmen können laut Experten das Leben von suizidgefährdeten Personen retten, das zeigen Erfahrungen in Zug. Ob diese getroffen werden, bleibt offen. Weder die Betreiberin noch die Polizei wollen sich zum Vorfall äussern.

Sieben Stockwerke geht es nach oben mit dem Lift. Weisses Geländer umzäunt das Dachgeschoss des Luzerner Altstadt-Parkhauses – die Hitze an diesem Sonnentag nimmt einem beinahe den Atem. Der Blick nach unten lässt einen kurz erschaudern. Vor etwas mehr als zwei Wochen wählte hier ein Mensch den Freitod (zentralplus berichtete).

Es war das zweite Mal innerhalb eines Jahres, dass jemand von diesem Parkhaus sprang. Dabei scheinen Freitode von Parkhäusern selten. Wird hier nun etwas unternommen, um weitere Suizide zu verhindern? Für die Sicherheit des Gebäudes ist die Eigentümerin verantwortlich, wie Markus Hoffmann, Leiter Dienststelle Baugesuche der Stadt Luzern, gegenüber zentralplus bestätigt. Doch weder die Betreiberin, die Parkhaus Zentrums AG, noch die Polizei nimmt Stellung zu den Vorfällen.

Die Stadt bedauere den tragischen Vorfall ausserordentlich, so Hoffmann. Jedoch sei es nicht möglich, solche Vorfälle durch bauliche Massnahmen zu verhindern: «Die Stadt hat bisher keine zusätzlichen Massnahmen verlangt; sollten sich solche Fälle wirklich häufen, wird die Stadt auf die Grundeigentümer zugehen.»

«Menschen, die sich für den Freitod entscheiden, geraten zuweilen in eine Suizid-Trance.»

Klaus Rütschi, Geschäftsleiter Dargebotene Hand Zentralschweiz

Vorgaben für die Sicherheit bestehen – etwa, was die Geländerhöhe betreffe. Ab einer Absturzhöhe von einem Meter ist laut der Schweizerischen Unfallversicherung (Suva) ein mindestens 100 Zentimeter hohes Geländer anzubringen. Diese Sicherheitsmassnahmen sollen jedoch lediglich Unfälle im Rahmen der normalen Nutzung verhindern, auf die Verhinderung von Suiziden sind diese nicht ausgelegt, wie Hofmann erklärt.

Sicherheitsvorkehrungen helfen

Das Beispiel der Lorzentobelbrücke im Kanton Zug zeigt: Präventive Massnahmen im baulichen Bereich haben eine positive Wirkung. Die Anzahl der Selbsttötungen durch Sturz von den beiden Lorzentobelbrücken ist laut den Zahlen des Kantons Zug seit 2006 stark zurückgegangen. Dies wurde durch das Anbringen von baulichen Sicherheitsvorkehrungen, insbesondere von höheren Brückengeländern, erreicht. Ausserdem wurden Notfalltelefone bei den Brücken installiert, die von der Dargebotenen Hand betreut werden.

«Menschen, die sich für den Freitod entscheiden, geraten zuweilen in eine Suizid-Trance», sagt Klaus Rütschi, Geschäftsleiter der Dargebotenen Hand Zentralschweiz. Sie seien in diesem Moment wie in Watte gepackt und sehen in der Selbsttötung die Lösung all ihrer Probleme. «Dieser Zustand hält jedoch nicht allzu lange an», so Rütschi. Deshalb sei jedes zusätzliche Hindernis, das den Suizid hinauszögert, wünschenswert. 

Betroffene geben Alarmzeichen

Obwohl diese Sicherungsmassnahmen ihre Grenzen haben – es kann in der Praxis nicht jeder Kirchenturm oder jedes mehrstöckige Haus gesichert werden –, kann es an gewissen Suizid-Brennpunkten Leben retten. Gründe für Suizidgedanken oder Suizidversuche gibt es viele. Fest steht: «Menschen, die sich das Leben nehmen möchten, stehen unter einem riesigen Druck», so Klaus Rütschi.

Die Dargebotene Hand arbeitet für präventive Massnahmen auch mit den SBB und der Zentralbahn zusammen – derzeit läuft eine nationale Präventionskampagne (siehe Box). Gemeinsam mit den Partnern werden bei gewissen Streckenabschnitten Sicherungen eingerichtet – manchmal können bereits Dornenbüsche Personen aus der Trance bringen.

Doch die Prävention beginnt bereits früher, denn gewisse Suizide sind absehbar. Bei Angehörigen und Verwandten sind Alarmzeichen zu beachten. «Wenn eine Person scheinbar grundlos beginnt, ihr wertvolle Gegenstände abzugeben, Dinge regelt und sich immer stärker zurückzieht, ist Vorsicht geboten.» Rütschi weist ausserdem darauf hin, dass Menschen, die über Suizidwünsche mit ihrem Umfeld sprechen und dann plötzlich damit aufhören, ebenfalls ein Hinweis sein können.

Keine halbherzigen Gespräche

Rütschi rät, das Thema offen anzusprechen und der betroffenen Person wirklich zuzuhören. Im schlimmsten Fall könne es sich kontraproduktiv auswirken, wenn die suizidale Person mit halbherzigen Beschwichtigungen abgespiesen wird: «Betroffene fühlen sich dadurch noch stärker im Stich gelassen.» Es sei auf jeden Fall professionelle Hilfe einzufordern. Die Dargebotene Hand biete neben telefonischer Hilfe auch über ihre Webseite oder auf Facebook Unterstützung an.

Der Geschäftsführer der Dargebotenen Hand fordert generell mehr Zivilcourage – denn im öffentlichen Raum würde kaum mehr spontan das Gespräch gesucht. «Wenn jemand traurig an der Reuss sitzt, können Sie das Gespräch anbieten.»

Luzern liegt laut den aktuellsten Daten leicht über dem Schweizer Durchschnitt, was die Anzahl Freitode betrifft: Konkret lag 2014 die schweizweite Suizidrate bei 12,9 Personen pro 100’000 Einwohner, in Luzern hingegen bei 13,7. Die Gründe dafür sind aus der Auswertung nicht ersichtlich. Nachbar Zug dagegen weist im schweizweiten Vergleich mit 9,5 die zweitwenigsten Suizide im Landesvergleich auf, wie den Daten des Bundesamtes für Statistik zu entnehmen ist.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 07.06.2017, 12:42 Uhr

    «Freitode von Parkhäusern» «scheinen» selten. Das ist die Schärfe, z+!
    Kommentare auf z+ sind selten. Hier ist einer. Geschenkt.

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