Luzernerin Regula Mühlemann sucht perfekte Stimme

«Als Opernsängerin braucht man soviel Energie wie beim Holzhacken»

Auf der Suche nach der perfekten Stimme: Regula Mühlemann im Film zwischen Lachen und Weinen.

(Bild: zvg / Xenix Film)

Sie hebt als Sopranistin gesanglich ab und ist nach Tourneen um die Welt jetzt auf der Leinwand zu sehen: Die Adligenswilerin Regula Mühlemann gibt dem Film «Der Klang der Stimme» nicht nur grosse Arien, sondern auch sonst grosses Gewicht. Die Leichtigkeit des Gesangs ist schwer erarbeitet, und auch wenn sie im Dokstreifen weint: Singen führt sie zum Glück.

Was für ein Film: «Der Klang der Stimme» beginnt mit einem Zungenspiel, das bis ins Zwerchfell nachwirkt. Dank eines hochmodernen Röntgengerätes haben wir Einblicke in einen Schädel. Und zwar direkt in den Kopf der 32-jährigen Regula Mühlemann.

Anhand von vier Porträts zeigt der Schweizer Filmemacher Bernard Weber neue Erkenntnisse über das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen. Schon bei den Wiesenberger Jodlern, über die er 2012 einen Dokumentarfilm mit dem Titel «No Business Like Show Business» drehte, erfuhr der Regisseur, wie sich «mit der Stimme die Stimmung verändern lässt». Und anlässlich seiner Luzerner Filmpremiere von «Der Klang der Stimme» berichtete er von einem «transzendenten Erlebnis».

Blumenmädchen: Sopranistin Regula Mühlemann hat eine natürliche Ausstrahlung.

Blumenmädchen: Sopranistin Regula Mühlemann hat eine natürliche Ausstrahlung.

(Bild: zvg / Henning Ross )

Dieses eindringliche Erlebnis geniessen auch die Zuschauenden, sie erfahren viel mehr als das altbekannte «Singen macht glücklich, stärkt das Immunsystem und löst Stress; die Naturvölker tun es ja nicht umsonst seit ewig.»

Superfrau Georgia Brown singt wie keine

Wie die Stimmlippenschwingungen dazu führen, dass Herz und Seele zum Swingen kommen, zeigt nicht nur die gesangliche Superfrau Georgia Brown, die so hoch singt wie niemand anderes auf der Welt. Sondern auch diverse andere Stimmakrobaten. Und die Zuschauer erleben, wie eine Schreitherapie die arg unter Druck stehende SRG-Moderatorin Susanne Kunz ans Limit bringt. Fazit: Man möchte am liebsten auch gleich in den Wald schreien gehen …

In diesem wunderbaren Film führt das Singen zu Lachen, Umarmungen, Freudentränen, gar zu einem Baby … Und während der Wissenschaftler Matthias Echternach fragt: «Wollen wir wissen, was die Stimme ausmacht – oder wollen wir das als Mysterium belassen?», scheint die Antwort klar: Auf zum (Lob)Gesang!

Und so sieht der Trailer zum Film «Klang der Stimme» aus:

Im Mittelpunkt steht die Luzerner Sopranistin Regula Mühlemann, die beeindruckt. Auch andere Stimmkünstler. «Ich spüre bei Regula viel Leidenschaft und Kraft, gekoppelt mit Intimität», sagte beispielsweise Sänger Andreas Schaerer, der viel mit seiner Stimme experimentiert, zu zentralplus.

Manuela Jost war tief gerührt

Manuela Jost, Luzerner Stadträtin, liess sich die sonntägliche Vorpremiere von «Klang der Stimme» auch nicht entgehen. Und zeigte sich gegenüber zentralplus mächtig beeindruckt: «So ein toller Film. Das Gezeigte hat mich zutiefst gerührt. Man möchte gleich auch in eine im Streifen gezeigte Stimm- oder Schreitherapie», sagte sie.

«Das wär doch mal was für unseren Stadtrat …»

Manuela Jost, Luzerner Stadträtin, über Schreitherapie

Die Politikerin setzte den Plan gleich um, sie liess sich am anschliessenden Apéro den Kontakt von Therapeutin Miriam Helle geben. Darauf angesprochen, sagte Manuela Jost: «Das wär doch mal was für unseren Stadtrat …»

Offenheit von Regula Mühlemann

Was für die einen Therapie ist, ist für die anderen das pure Leben. zentralplus traf Regula Mühlemann zum Interview. Und staunte über die Offenheit und Natürlichkeit des Weltstars.

«Klang der Stimme», überzeugend und emotional

Der neue Kinostreifen von Bernard Weber («Die Wiesenberger – No Business Like Show Business») ist eine überzeugende filmische Annäherung an die transzendente Wirkung der menschlichen Stimme. Der emotionale Dokfilm «Klang der Stimme» erzählt von vier Menschen, die mit Leidenschaft die Grenzen des wichtigsten Kommunikationsorgans neu ausloten. Die Sopranistin Regula Mühlemann sucht den perfekten 360-Grad-Rundumklang, der frei im ganzen Raum schwebt. Andreas Schaerer experimentiert mit seiner Stimme, um Klänge zu finden, die ihn bei Live-Auftritten verwandeln. Matthias Echternach forscht mit wissenschaftlichen Methoden nach dem Geheimnis der Stimme. Und Miriam Helle begleitet mit unkonventionellen Klängen und Schreitherapien Menschen auf dem Weg zu sich selbst.

Der Film erhielt an den 53. Solothurner Filmtage den «Prix du public». Damit gewinnt der Regisseur Bernard Weber zum zweiten Mal den begehrten Publikumspreis, den er 2012 bereits für «Die Wiesenberger» entgegennehmen konnte. 

Zu sehen ‪ab 15. Februar 2018 im Bourbaki Luzern und in Zug.

zentralplus: Regula Mühlemann, wie ist es, sich selber auf der Leinwand zu erleben?

Regula Mühlemann: Ich habe schon in zwei Filmen mitgemacht, aber jeweils als eine mir fremde Figur. Das war wenig persönlich. Hier in «Klang der Stimme» bin ich ja mich selber, und es gab beim Dreh auch unangenehme Momente. Zum Beispiel bei der CD-Aufnahme im Studio. Ich war stark erkältet und musste die Produktion um jeden Preis abschliessen.

zentralplus: Wieso?

Mühlemann: Das war mein Debut beim grossen Musikkonzern Sony. Da kam ich an meine Grenzen, und dann will man das ja nicht noch einmal schauen. Was die anderen im Film leisten, finde ich extrem toll und spannend. Und ich staune, wie Regisseur Bernard Weber es schafft, ein Ganzes daraus zu machen. In Solothurn an den Filmtagen war die Premiere vor 900 Zuschauern sehr emotional. Aber das ist ja immer so: Wenn man sich selber sieht oder singen hört, ist das komisch.

zentralplus: Sie hätten sich ja wehren können und sagen: «Stopp, das ist mir zu intim.» Ich staunte eh, wie viel die Protagonisten im Film überhaupt zuliessen. Zum Beispiel Susanne Kunz, die TV-Moderatorin, die schrie und heulte.

Mühlemann: Ja, das war mega mutig. Aber ich muss gestehen, ich versuche in meinem Leben auch immer wieder, an meine Grenzen zu gehen. Je mehr ich versuche, schwierige Momente zu überbrücken, desto mutiger werde ich. Selbstbewusstsein ist mir wichtig, damit ich mich auf der grossen Bühne wohlfühle. Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich immer all meine Unsicherheiten aus dem Weg geschafft habe. Und auf der Bühne frei bin. Der Entscheid stand am Anfang, und wenn man mal Ja sagt, dann muss man dazu stehen.

«Der Film hat mich bei einem meiner Tiefpunkte erwischt.»

zentralplus: Sie lernten sicherlich auch dazu. Was haben Sie Neues erfahren?

Mühlemann: Der Dreh ist schon eineinhalb Jahre her. In dieser Zeit ist dermassen viel passiert, ich schaue hier fast schon auf die «kleine Regula». Der Film hat mich bei einem meiner Tiefpunkte erwischt; nicht unbedingt am Nervenzusammenbruch, aber nahe daran. Solche schwierigen Momente sind Teil des Berufes, Teil meines Lebens.

zentralplus: Das zeigt es auch dem Zuschauer sehr plastisch, wie hart das Operngeschäft ist. Begabung bedingt viel Arbeit, fast wie im Sport.

Mühlemann: Genau, das sehe ich auch so. Ich stellte im Zusammenhang mit diesem Film auch fest, dass es viel Mut braucht, Schwäche zu zeigen, aber das hat mich auch viel stärker gemacht. Das ist befreiend.

zentralplus: Sie haben geweint. Dank einem gnädigen Filmschnitt konnte man das nur erahnen.

Mühlemann: Ja, sehr professionell … Ich halte viel Stress aus, und ich suche ihn auch. Aber ich habe jetzt schon zwei, drei CDs aufgenommen, bei denen es bei weitem nicht so hart war. Normalerweise schafft man fünf Minuten pro Studiotag – bei den im Film gezeigten CD-Aufnahmen mussten wir in der halben Zeit doppelt so viel Musik aufnehmen. Welcher Psychostress! Ich wusste in der ersten Minute im Studio schon, dass wir das eigentlich fast nicht schaffen können.

zentralplus: Ist das nicht an der Tagesordnung?

Mühlemann: In der Oper ist es normal, dass man improvisieren oder kurzfristig einspringen muss – also Stress aushalten muss. Aber was wir im Film sehen, war nicht meine 27. Soloeinspielung – sondern mein Einstand für Sony Classical. Ich wollte den Menschen unbedingt zeigen, was ich kann. Das Orchester kostet Unsummen – da ist die Zeit knapp. Zudem hatte das Ensemble am Morgen noch länger bei einer anderen Aufnahme, sodass sie bei mir noch Zeit abzwackten. Dann kam mein Zusammenbruch.

Sängerin der Elite: Regula Mühlemann mit Startenor Ramon Vargas.

Sängerin der Elite: Regula Mühlemann mit Startenor Ramon Vargas.

(Bild: zvg / Xenix Film)

zentralplus: Wie sieht ein normaler Tag bei Ihnen aus?

Mühlemann: Jeder ist anders. Manchmal singe ich sechs Stunden am Tag – danach bin ich fix und fertig. Man sagt, man braucht als Opernsängerin soviel Energie wie beim Holzhacken. Stimmlich ist das enorm ermüdend. Beim Proben für Opernproduktionen singt man nicht mit voller Kraft, legt dafür mehr Energie ins Schauspielern. Wenn ich zu Hause bin, übe ich manchmal 20 Minuten, sitze aber vielleicht auch sechs Stunden am Klavier.

zentralplus: Welches ist Ihr Ausgleich?

Mühlemann: Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Ich liebe Kunst, Sprachen, Architektur, Reisen – das kann ich alles durch meinen Job befriedigen. Meine Freunde und Familie kommen dabei schon manchmal zu kurz – da suche ich dann auch den Ausgleich, wenn ich zu Hause bin.

zentralplus: Wie kamen Sie zur Klassik?

Mühlemann: Meine Grossmutter war schon an der Operette Sursee tätig, mein Opa auch. Und meine Mutter liebte Klassik, so eröffneten mir meine Eltern das gesamte Spektrum der Musik: Gitarrensongs, Beatles, Volkstümliches auch. Und in der Luzerner Kantorei entdeckte ich das Chorsingen, dann über die Gesangsstunden kam ich völlig natürlich zur klassischen Musik.

zentralplus: Wieso nicht Popmusik?

Mühlemann: Ich merkte, dass meine Qualitäten besser in der Klassik wirken als beim Pop. Im Popgeschäft muss eine Stimme rauchig sein, rauh, viel Charakter haben. Meine ist hell und klar, also eher nicht für Jazz oder Pop geeignet. Dann ist da noch die komplexe Technik, das ist eine Lebensaufgabe. Und es ist doch schön, sich im Alter von 20 Jahren für einen Weg zu entscheiden, der nie zu Ende ist.

zentralplus: Nie zu Ende – Sie haben keinen Karriereplan?

Mühlemann: Nein, aber mein Ziel war immer, technisch besser zu werden, weniger zu ermüden. Und das trägt mich auf diesem Weg. Ich glaube auch, dass man so niemals die Freude verliert. Nehmen Sie zum Vergleich das Spiel von Roger Federer. Wenn er Tennis spielt, ist das immer dermassen dynamisch. Ich habe nie das Gefühl, er geht in die Kraft rein – er geht aus ihr heraus.

«Bei Roger Federer kann man richtig was lernen. Bei uns ist es ähnlich.»

zentralplus: Mit einer unglaublichen Leichtigkeit …

Mühlemann: … genau. Das ist toll. Da kann man richtig was lernen. Bei uns ist es ähnlich. Es gibt so viele Muskeln und Bewegungsabläufe, die zu einer gewissen Stimmdynamik führen. Ich vergleiche das gerne mit einem Uhrwerk. Alle Teile müssen ineinander greifen. Irgendwann weiss man auch, wie man es richtig macht, man wird nicht müde nach dem Singen. Das ist dann das Schönste – fast noch schöner als das Feedback vom Publikum … Die grosse Sängerin Edita Gruberova sagte mal: «Ich führe ein Nonnenleben.» Ich seh das nicht so eng: Je mehr ich mein Leben normal lebe, umso besser geht es mir und auch meiner Stimme.

zentralplus: Wo sind Ihre Schattenseiten?

Mühlemann: Ich liebe das Risiko. Ich kann das im Beruf voll ausleben, indem ich zum Beispiel spontan einspringe, ohne eine Partie schon ganz gesungen zu haben. Zwei Tage vor Weihnachten machte ich das einmal. Ich studierte das noch Unbekannte auf der Zugfahrt mit meinem iPhone-Piano ein … Meinen ersten «Messias»-Einsatz leistete ich so im KKL. Ich liebe dieses Kribbeln. Das ist crazy!

zentralplus: Da kann man ja aber auch leicht scheitern.

Mühlemann: Ja klar, und ich wusste das. Aber es entstanden daraus wichtige berufliche Begegnungen und Freundschaften. Für eine Karriere über die Schweiz hinaus muss man risikobereit sein, etwas wagen, man muss viel reisen und immer das Beste geben. Man kann sich kein Tief leisten. Und ich bin immer noch in einer Aufbauphase, in der die Leistung 100 Prozent sein muss. Mindestens …

«Mein Beruf bedingt viel Verzicht.»

zentralplus: Macht das auch Spass?

Mühlemann: Ich liebe es, ich will nichts anderes. Obwohl: Ich war an meinem Geburtstag alleine in Dresden, und als meine Kollegin ein Baby bekam, auch in weiter Ferne. Ich wurde Gotti ohne mein Dabeisein, und dann habe ich auch noch das Riesenfest bei Freunden verpasst. Mein Beruf bedingt viel Verzicht.

zentralplus: Wieso machen Sie weiter?

Mühlemann: Aber er bringt auch viele wunderbare Erlebnisse mit sich … Und je besser ich werde, umso besser werden die Kollegen um mich herum, umso erfahrener werden die Orchester, mit denen ich arbeiten kann. Nicht jeder hat die Chance wie ich, einen Beruf zu haben, der total erfüllend ist. Die magischen Momente, in denen die Zeit stehenbleibt, will ich immer wieder haben. Manchmal hat man auch einen schlechten Raum.

zentralplus: Ist unser KKL denn wirklich so sensationell gut?

Mühlemann: Ja, weltweit. Ich habe in vielleicht 300 verschiedenen Sälen, Kirchen und Opernhäusern gesungen, etwa in fünf, die akustisch in der Klasse des KKLs sind. Nur im Süden Chiles, in Frutillar, in der Pampa steht ein grosser Konzertsaal, da war der Klang gar noch einen Hauch besser als im KKL.

Als Cleopatra: Regula Mühlemann kann auch eine goldige Diva spielen.

Als Cleopatra: Regula Mühlemann kann auch eine goldige Diva spielen.

(Bild: zvg / Henning Ross )

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