So laufen Befragungen vor Luzerner Gerichten ab

«Als Kantonsrichter darf man keine Sympathie zeigen»

Hier zu sitzen – Auge in Auge mit den Kantonsrichtern – kann für die Betroffenen unangenehm sein. (Bild: zvg)

Wer Opfer eines Sexualdelikts wird, muss im Laufe eines Strafverfahrens mehrfach befragt werden. Eine solche Tat immer und immer wieder durchzugehen ist eine schwere Belastung. Die Luzerner Gerichte versuchen, eine Re-Traumatisierung zu verhindern.

Wie geht die Luzerner Justiz mit Opfern von Sexualdelikten um? Diese Frage hat letzten Juli eine öffentliche Debatte ausgelöst. Die Gruppe Redaktion Frauenstreik Luzern warf dem Kantonsgericht in einem öffentlichen Brief vor, «victim blaming» zu betreiben. Gemeint ist damit, dass man einem Opfer eine Mitschuld gibt, dass es überhaupt zu einer Straftat gekommen ist (zentralplus berichtete).

Hintergrund des Vorwurfs war eine Verhandlung, bei dem das mutmassliche Opfer einer sexuellen Nötigung von einer Richterin gefragt wurde, was es zur Tatzeit anhatte und wie tief der Ausschnitt war (zentralplus berichtete).

Die öffentliche Diskussion nahmen die Luzerner Gerichte nun zum Anlass, an ihrem alljährlichen Medienanlass einen Einblick zu geben, wie Befragungen in den Verhandlungen ablaufen und welche Rechte die Betroffenen dabei haben.

Taktgefühl spielt eine wichtige Rolle

Den Anfang machte Kantonsgerichtspräsident Andreas Galli. «Was darf ein Richter fragen?», fragte er in die Runde. Die Antwort: Alles, was er braucht, um sich ein Bild davon zu machen, was genau passiert ist. Dies dürfte der Hintergrund der Befragung gewesen sein, die im Sommer auch von Fachleuten kritisiert wurde (zentralplus berichtete). «Wir müssen manchmal nach Details fragen und mehrfach nachhaken. Das Taktgefühl spielt dabei eine wichtige, aber nicht die bestimmende Rolle», sagte Galli. Das Gesetz gebe den Rahmen für die Befragungen vor.

Wie dieser Rahmen aussieht, führte sein Kollege aus, Kantonsrichter Peter Arnold. «Uns ist bewusst, dass ein Strafverfahren für die Opfer einer Straftat sehr belastend sein kann. Wir versuchen es den Betroffenen daher so erträglich wie möglich zu machen», versicherte er.

«Befragungen müssen freundlich, korrekt und respektvoll sein.»

Kantonsrichter Peter Arnold

Wenn eine Person durch eine Straftat körperlich, sexuell oder psychisch verletzt wurde, müssen die Gerichte ihre Persönlichkeit schützen. Aus diesem Grund können die Richter die Öffentlichkeit und die Medien bei den Befragungen ausschliessen. Dies wurde jüngst gemacht, als eine junge Frau gegen ihren Bruder aussagen sollte, der sie über Jahre hinweg sexuell missbraucht hatte (zentralplus berichtete).

Weiter haben die Opfer von Sexualstraftaten das Recht, von einer Person des gleichen Geschlechts befragt zu werden. In solchen Fällen werden die Befragungen zudem so durchgeführt, dass sich Täter und Opfer nicht begegnen. «Das Gespräch findet in einem speziellen Raum bei der Luzerner Polizei statt. Es wird per Video übertragen, so dass der Beschuldigte hören kann, was ausgesagt wird, das Opfer ihn aber nicht sehen muss», erklärt Arnold.

Er fasst weitere Opferrechte zusammen: Die Betroffenen dürfen immer eine Vertrauensperson zur Unterstützung dabeihaben. Sie dürfen auch die Aussage verweigern, wenn sich eine Frage auf ihre Intimsphäre bezieht.

Minderjährige werden grundsätzlich von Spezialistinnen und Spezialisten befragt. «Befragungen müssen freundlich, korrekt und respektvoll sein», betont Arnold. Gleichzeitig müsse man sachlich und nüchtern bleiben. «Als Kantonsrichter darf man keine Sympathie zeigen», so Arnold. Das wäre nicht zulässig.

Regelmässige Weiterbildungen an den Luzerner Gerichten

Das ist eine Gratwanderung, die manchmal sicher nicht einfach ist. Und für welche die Richterinnen und Richter während ihrer juristischen Ausbildung nicht geschult werden, wie Franziska Windlin, Richterin am Bezirksgericht Willisau, ergänzt. «Es ist allerdings der Standard, dass sich Richter in Sachen Befragungstechnik weiterbilden.»

«Ein Opfer wendet sich nur an die Polizei, wenn es ernst genommen wird und nicht befürchten muss, noch mehr verletzt zu werden.»

Bezirksrichterin Franziska Windlin

Viermal im Jahr werden an den Luzerner Gerichten interne Weiterbildungen durchgeführt. Als nächstes steht ein Workshop auf dem Programm, bei dem eine Psychologin Einblick gibt, welche Auswirkungen ein Strafverfahren auf Opfer hat.

Gemäss Windlin ist man sich bei den Luzerner Gerichten sehr bewusst, wie wichtig ein guter Umgang mit Opfern ist. «Nicht nur menschlich, sondern auch im Hinblick auf die Kriminalpolitik: Ein Opfer wendet sich nur an die Polizei, wenn es ernst genommen wird und nicht befürchten muss, noch mehr verletzt zu werden.» Es sei also im grössten Interesse der Justiz, Opfer anständig zu behandeln, damit Straftaten überhaupt angezeigt und geahndet werden können.  

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