Sonderbare Ausstellung vor 70 Jahren

Als in Zug ein stinkender Wal «strandete»

Mrs. Haroy, so nannte man den 23 Meter langen Finnwal, der aus dem Meer gefischt ausgestellt wurde. (Bild: zvg)

2022 jährt sich ein gar kurioses Zuger Ereignis zum 70. Mal. Eines, das nicht nur für die Augen, sondern auch für die Nase abenteuerlich war. Ein 55 Tonnen schwerer Wal wurde per Eisenbahn nach Zug gebracht, wo man ihn während eines Tags bewundern konnte. Eine tragikomische Geschichte mit einem unschönen Ende.

Es waren grosse Menschenmassen, die es am 8. Mai 1952 zum Zuger Güterbahnhof zog, in Richtung des gewaltigen Gestanks. Alle wollten Mrs. Haroy sehen, die, etwas pflatschig schon, auf einem Tiefgangwagen der Bahn lag, mit ihrer stolzen Länge von 23 Metern und ihren zarten 55'000 Kilo.

7000 Liter Formalin wurden gemäss einem damaligen Artikel im Magazin «The New Yorker» verwendet, um den Wal fürs Publikum zumutbar zu machen. 3000 Injektionen waren dafür nötig. Damit wollte der Besitzer des Wals, der dänische Antiquitätenhändler Leif Soegaard, sicherstellen, dass der Kadaver zwei Jahre haltbar und vorzeigbar bleibe.

«Sogar von zu Hause aus roch man das Formalin.»

Oskar Rickenbacher, Augenzeuge der Zuger Walausstellung

Es half alles nichts, befindet der Zuger Oskar Rickenbacher, als er sich bei einem Gespräch mit zentralplus zurückerinnert. Rickenbacher, heute 82 Jahre alt, war als 13-Jähriger dabei, als man die kolossale Meeressäugerin in Zug ausstellte. «Wir wohnten damals im Quartier Guthirt. Sogar von zu Hause aus roch man das Formalin. Es stank gewaltig», sagt er belustigt.

Eine Werbung, die auf die Walausstellung in Zug hinwies. (Bild: zvg)

Trotzdem habe sich niemand beklagt über den Gestank. Vielmehr überwog die Neugierde. «Hunderte von Menschen pilgerten zum Industriegeleise neben dem heutigen Ökihof. Auch von den Berggemeinden und von Ennetsee kamen sie.» Schliesslich machte Mrs. Haroy nur gerade einen Tag lang Halt in Zug und zog dann weiter.

Es war ein Erlebnis, das Rickenbacher bis heute nicht vergessen hat. Im Gegenteil. Er hat eingehend zum Thema recherchiert, hat Bilder und Dokumente gesammelt und selber über seine Erinnerungen geschrieben. «Daran zurück erinnert habe ich mich mich erst als Erwachsener, als mir das damalige Titelblatt der Fasnachtszeitung ‹Feuerhorn› in die Hände kam. Denn 1952 war ja nicht nur das Jahr, in dem der Walfisch nach Zug kam, sondern auch das Jahr, in dem der Zugersee-Bomber aus dem Zugersee geborgen wurde.» Mit beiden Themen hat sich Rickenbacher eingehend befasst (zentralplus berichtete).

feuerhorn 1953
Das Cover des «Feuerhorns» aus dem Jahr 1953. (Bild: zvg)

Walausstellungen? Im 20. Jahrhundert nicht unüblich

Ans Interview kommt der Zuger nicht mit leeren Händen. Eine ganze Mappe mit Informationen zur Walausstellung hat er mitgebracht. Postkarten, Reklamen für das Ereignis und Zeitungsberichte.

Aus diesen geht hervor, wie es überhaupt zur Ausstellung kam. Dazu sei zunächst zu erwähnen, dass in Dänemark schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts reisende Walausstellungen realisiert wurden. Auch wenn diese hie und da vorzeitig abgebrochen werden musste, wenn der Gestank unaushaltbar geworden war.

Gegenüber den Medien soll Leif Soegaard erklärt haben, dass sein kleiner Sohn ihn einst gefragt habe, wie wohl ein Wal aussehen möge, was den Antiquitätenhändler auf die Ausstellungsidee brachte. Er beauftragte einen Taxidermisten damit, eine geeignete Konservierungsmethode zu finden und wandte sich an zwei norwegische Walfänger, die ihm ein Exemplar eines Finnwals schiessen sollten. Dies taten sie denn auch in mehrstündigem «Kampf». Das 55 Tonnen schwere Tier wurde rasch ausgeweidet, mit Formalin vollgepumpt und auf einem besonders grossen Waggon auf Reisen geschickt.

Ein heute undenkbares Ereignis

Heute, in einer Zeit, in der uns allein das Wort Naturschutz ein schlechtes Gewissen einjagt, fragt man sich: Warum das Ganze? Warum stellt man ein totes Tier aus und spediert es durch die Welt? Ganz einfach: Weil es den Zeitgeist traf. Der Zweite Weltkrieg war erst sieben Jahre her, die meisten Menschen hatten kaum die Möglichkeit, selber ans Meer zu reisen und einen Wal zu sehen.

Die «Neue Zürcher Zeitung», welche im März 1952 über Mrs. Haroys Besuch in Zürich schrieb, tat dies wie folgt: «Es ist immer erregend, wen man ein Ding, das man lediglich in einer Illustrierten oder in der innern Vorstellung besass, plötzlich real vor sich hat.» Poetisch, ja gar schwülstig, schrieb die «NZZ» von der «Magie des Kreatürlichen», von «Schlitzaugen, nur faustgross und doch gross genug, um das Urbild des Ozeans ins Auge zu fassen.» Kein Wort der Kritik fällt im Artikel.

Faszination statt Kritik

Überhaupt schien kaum jemand die Idee als absonderlich oder pervers zu taxieren. Tatsächlich waren zu jener Zeit mit «Jonas» und «Goliath» gleich mehrere tote Finnwale in Europa unterwegs und sorgten für volle Kassen bei den Ausstellern.

Was der Eintritt für das Spektakel in Zug gekostet habe, weiss Rickenbacher heute nicht mehr. «Ich habe mich unter der Abschrankung hindurch reingeschlichen ins Areal. Wir hatten doch kein Geld damals.»

Oskar Rickenbacher war als 13-Jähriger bei der Walausstellung dabei.

Anders als Leif Soegaard, der – trotz grosser Präparationskosten – ziemlich viel am toten Koloss verdient haben dürfte. Gemäss «The New Yorker» generierte Soegaard innert 13 Monaten 1,75 Millionen Dollar mit dem Ausstellen des Viehs. 35 Cents kostete der Eintritt, um das sonderbare Ausstellungsstück zu sehen, heute entspräche dies 3,86 Dollar oder 3,50 Franken.

Queen Haroy riecht immer strenger

Nach seiner «Europatournee» wurde Mrs. Haroy über den Atlantik geschippert. In New York wurde sie in «Queen Haroy» umbenannt und dort den immer kleiner werdenden Massen gezeigt. 1954 brachte man die Walin auf Coney Island, wo die Ausstellung zunächst einen Aufschwung erlebte. So lange, bis die Temperaturen stiegen und der Wal unsäglich zu stinken begann und nicht nur diese, sondern auch die umliegenden Schauplätze nicht mehr besucht wurden.

Mit Formalin versuchte Soegaard erneut, den Verwesungsprozess zu stoppen. Erfolglos. Am 13. Juli 1954 ging der Wal aus unbekannten Gründen in Flammen auf. Gemäss dem Magazin «Fluke» wurden die Überreste unter einer vier Fuss hohen Schlammschicht begraben. Leif Soegaard musste sich daraufhin vor Gericht verantworten.

Verwendete Quellen
  • Artikel aus «The New Yorker», Dezember 1952
  • Gespräch mit Augenzeuge Oskar Rickenbacher
  • Sonderausgabe «Fluke», Walmagazin für Historiker und Sammler
  • NZZ-Bericht 14. März 1952
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