50 Jahre Frauenstimmrecht Luzern

Als die Frau die «willkommene Mitarbeiterin des Mannes» war

Nicht wenige Frauen zählten zu den Bekämpferinnen des Frauenstimmrechts. (Bild: Stadtarchiv Luzern)

Die Frau, die «Hüterin des Hauses»? Klingt nach Mittelalter. Es ist aber gerade einmal 60 Jahre her, als solche Meinungen weit verbreitet waren. Überraschend ist, dass der konservative Kanton Luzern das kantonale Frauenstimmrecht vor der Schweiz einführte. Wir blicken anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums zurück.

Stell dir vor: Es sind Abstimmungen – und nur die Hälfte der Bevölkerung ist an der Urne willkommen. Unglaublich, nicht? Was im Jahr 2020 absurd klingt, war bis 1970 im Kanton Luzern normal: Männer entschieden und erliessen Gesetze, an die sich Frauen gleichermassen halten mussten.

Vor 50 Jahren fanden die Schweizer Männer dann doch, dass Frauen nicht nur darüber entscheiden sollen, was auf den Tisch kommt – sondern auch politisch mitreden.

Das Schweizer Stimmvolk sagte 1971 Ja zum Frauenstimmrecht. Im konservativen Luzern haben die Männer bereits vier Monate zuvor dem Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene zugestimmt. «Ziit isch cho», schrieb das «Luzerner Tagblatt» 1970: «Wenn es historische Tage gibt, so ist der 25. Oktober 1970 ein solcher Tag gewesen.»

So titelte das «Luzerner Tagblatt» am 26. Oktober 1970 – einen Tag, nachdem die Luzerner Männer eine Vorlage zur Einführung des kantonalen Frauenstimmrechts annahmen. (Bild: aus dem Staatsarchiv Luzern)

Surseer Kantonsrat setzte sich für Frauen ein

Ein Blick ins Staatsarchiv Luzern zeigt: Luzerner Politiker heizten die Diskussion schon Jahrzehnte vor der Einführung an. Der Grosse Rat – der heutige Luzerner Kantonsrat – musste sich wiederholt mit den Rechten der Frauen auseinandersetzen. Der Regierungsrat hat mehrere Motionen als erheblich erklärt, die das allgemeine Frauenstimmrecht verlangten oder zumindest eine Ausdehnung des passiven Wahlrechts von Frauen.

Spulen wir in der Geschichte zurück: Im Luzerner Grossen Rat sticht vor allem Julius Beck aus Sursee ins Auge. 1944 und 1945 reichte er zwei Vorstösse ein, in denen er den Regierungsrat auffordert, Frauen mehr politische Rechte zuzusprechen.

Beck gehört der KVP an, der Konservativen Volkspartei. Das ist die Vorgängerin der heutigen CVP. Auch zuhause dürfte das Thema Frauenrechte öfter auf den Tisch gekommen sein. Julius Beck war mit Lina Beck-Meyenberger verheiratet. Sie war während 16 Jahren Zentralpräsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes (SKF).

Katholischer Frauenbund hatte Mehrheit an Gegnerinnen

Lina Beck bezeichnete sich selbst als «überzeugte Verfechterin des Frauenstimmrechts». Anders der SKF: Die meisten Frauen zählten zu den Gegnerinnen. Das belegen mehrere Briefe, die im Staatsarchiv Luzern sind.

«Ich bin persönlich überzeugte Verfechterin des Frauenstimmrechts und mache aus meinem Herzen keine Mördergrube.»

Lina Beck, Zentralpräsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes (SKF)

Beck wurde vom Frauenstimmrechtsverein in Zürich angefragt, ob sie als Referentin auftreten möchte. «Ich bin persönlich überzeugte Verfechterin des Frauenstimmrechts und mache aus meinem Herzen keine Mördergrube», schreibt Lina Beck in einem Brief, datiert auf den 14. April 1947. «Ein anderes ist es aber, als Referentin aufzutreten, da mein Amt als Zentralpräsidentin des SKF mir doch eine gewisse Reserve auferlegt.»

Weiter schreibt Beck in dem Brief eine Broschüre des SKF an, die dem Frauenstimmrechtsverein anscheinend gefallen hatte. Ob sie sich darin positiv zum Frauenstimmrecht geäussert hatte? Beck schreibt im Brief: «Es war von unserer Seite eine mutige Tat und wir hatten uns vorher und nachher tüchtig zu wehren, da die Gegnerinnen in unserm Lager weitaus in der Mehrzahl sind. Aber es kommt doch, früher oder später.»

Im November 1945 schrieb Beck einen Brief an das Schweizerische Aktionskomitee für das Frauenrecht. Der SKF hatte gerade eine Studientagung «in Sachen politisches Frauenstimm- und Wahlrecht» hinter sich. Der SKF werde sich als Verband vorderhand nicht engagieren, so Beck. «Wir haben in unsern Kreisen noch so viel Ablehnung […].» Der Verband wollte den Grossteil ihrer Mitarbeiterinnen nicht vor den Kopf stossen. Man werde aber «ganz fest» die Frauen «staatsbürgerlich» schulen und aufklären, «um allmählich die Widerstände überwinden» zu können.

Jubiläumsfeier in Luzern

Am 25. Oktober feiert der Kanton Luzern 50 Jahre Frauenstimmrecht. Anlässlich dieses Jubiläums hat sich ein Verein gegründet. Zahlreiche Veranstaltungen finden in Luzern statt.

Die Jubiläumsfeier findet am 21. Oktober im Hotel Schweizerhof Luzern statt. Mit dabei sind alt Nationalrätin Judith Stamm, Monika Fischer von «GrossmütterRevolution», Michelle Meyer, Co-Präsidentin der jungen Grünen Luzern und Gleichstellungsexpertin Lucia Lanfranconi von der Hochschule Luzern. Eintritt ist frei, Anmeldung ist erforderlich. Mehr Infos findest du hier.

Lieber Herr Regierungsrat – wie wär’s, die Frauen zu fragen?

Laut Zeitungsberichten sagte Beck in der Sitzung des Grossen Rates im Februar 1946, dass Frauen den Staat mindestens so sehr wie Männer mittragen. «Der Eintritt der Frau in die Politik ist weniger eine Gefahr für die Mütterlichkeit der Frau, sondern viel eher für gewisse Männermethoden. Gerade die Frauen, die sich für öffentliche Fragen interessieren, sind meist die besten Mütter.»

Beck führte weiter aus, dass Versammlungen, an denen Frauen teilnehmen, ruhiger und sachlicher geführt werden. Würden Frauen das Stimmrecht bekommen, so würde das auch nicht ihre «Mütterlichkeit» beeinträchtigen.

«Zu Unrecht bangen viele Männer um ihr «Monopol», sagte Beck laut dem «Luzerner Tagblatt». Frauen hätten sich schon immer für soziale Fragen interessiert. «Den Luzerner Frauen kann man nicht zumuten, dass sie sich für irgendeinen Bajass, einen Hitler, begeistern!»

Neben Beck war auch Walter Ackermann auf politischer Ebene für die Frauen aktiv. Im November 1945 reichte er eine Interpellation ein. In dieser fragte er den Herrn Regierungsrat, ob dieser nicht auch der Meinung sei, dass es im «Dienste der Sache läge» zum lebhaft diskutierten Frauenstimmrecht die «Meinung der Frauenwelt» zu erfahren. Er wollte wissen, ob der Herr Regierungsrat ferner dazu bereit wäre, die «nötigen Vorarbeiten an die Hand zu nehmen», damit Frauen ihre Meinung auch in Abstimmungen einfliessen lassen können.

Frauen gehörten selbst zu vehementen Bekämpferinnen

National kam das Thema am 1. Februar 1959 wieder aufs Tapet. Da schickte das Schweizer Stimmvolk eine eidgenössische Vorlage bachab. Zwei von drei Männern hielten ein Frauenstimmrecht für unnötig.

Nur knapp zwei Jahre später wurden die Luzerner Männer erneut an die Urne gebeten. Eine kommunale Vorlage brachte die Frage auf, ob Gemeinden das Recht haben sollen, das Frauenstimmrecht auf kommunaler Ebene einzuführen. Auch hier sagten die Männer wiederum mehrheitlich Nein. 28’028 Männer legten ein Nein in die Urne – gerade einmal 9’103 Männer ein Ja.

«Werden Sie Mitglied und tragen dazu bei, eine wichtige Frauenfrage auf echt schweizerische Art zu lösen.»

Bund der Luzernerinnen gegen das Frauenstimmrecht

Die Bekämpferinnen des Frauenstimmrechts leisteten erbitterten Widerstand gegen eine «Verpolitisierung von Frauen». 1959 gründete sich der «Bund der Luzernerinnen gegen das Frauenstimmrecht». Innert kürzester Zeit sollen sich diesem 15’000 «Frauen und Töchter» angeschlossen haben.

Mittels Infoschreiben und einem Zettel zur Beitrittserklärung suchten die Mitglieder im Juli 1959 weitere Anhängerinnen, die das Frauenstimmrecht genauso unsympathisch finden. «Werden Sie Mitglied und tragen dazu bei, eine wichtige Frauenfrage auf echt schweizerische Art zu lösen», schreiben die Frauen.

So weibelten Frauen für weitere Verbündete im Kampf gegen das Frauenstimmrecht. (Bild: Staatsarchiv Luzern)

Gegner wollten Frauen vor der «Verpolitisierung» bewahren

In einem öffentlichen Aufruf, eine Art Flugblatt, werden Luzerner gewarnt. «Mitbürger, seid auf der Hut!», heisst es da. Die Frauenrechtlerinnen würden mit der Abstimmung versuchen, das Frauenstimmrecht im ganzen Kanton einzuschmuggeln. «Wollt ihr, dass eure Frauen und Töchter, eure Mütter und Schwestern, in die oft rüden politischen Händel hineingezogen werden?»

Jedes Jahr, so beklagen sich die anonymen Schreiber, müssten die Männer in Luzern «zehn- und mehrmal» an die Urne. «Sollen in Zukunft auch unsere Frauen mit all dem belastet werden?» Die Antwort wissen sie selbst: «Nein! Sie wollen es selber nicht. Nur eine Minderheit von Frauenrechtlerinnen behauptet das Gegenteil.»

«Die Frau ist die Hüterin der Familie. Sie ist die willkommene Mitarbeiterin des Mannes in der Erziehung und Fürsorge.»

Zitat aus einem Flugblatt

Auch der Bund der Luzernerinnen gegen das Frauenstimmrecht wird erwähnt. Dieser sei der Beweis schlechthin, dass Frauen schlichtweg nicht politisieren wollen. Und es kommt noch dicker: «Die Frau ist die Hüterin der Familie. Sie ist die willkommene Mitarbeiterin des Mannes in der Erziehung und Fürsorge. Vor politischen Händeln aber, an denen sie ihrem Wesen nach kein Interesse haben kann, wollen wir sie bewahren», heisst es im Flugblatt weiter.

1970 kam es zu einer überraschenden Wende in Luzern

Nur zehn Jahre nach dem Nein der Luzerner kam es zu einer überraschenden Wende. Am 25. Oktober 1970 nahmen die Stimmberechtigten das Frauenstimmrecht auf Kantons- und Gemeindeebene deutlich mit 25’170 Ja- gegen 14’781 Nein-Stimmen an. 

Während in einem Zeitungsartikel Frauen als «politisch mitverantwortliche Mitbürgerinnen» willkommen geheissen werden, zeigen sich in anderen Zeitungsspalten kontroverse Meinungen. Das zeigt ein Blick in die «Luzerner Neueste Nachrichten» vom 26. Oktober 1970.

«Hätten die Frauen gestimmt, wäre es wahrscheinlich anders herausgekommen.»

Vorstandsmitglied des Bundes der Luzernerinnen gegen das Frauenstimmrecht nach dem Luzerner Ja zum Frauenstimmrecht

Während sich die Gattin des Schultheissen von Luzern, Magrit Kurzmeyer, über das Resultat freut, feuerte ein Vorstandsmitglied des Bundes der Luzernerinnen gegen das Frauenstimmrecht erneut dagegen. «Die Leute sind eben so leicht beeinflussbar. […] Hätten die Frauen gestimmt, wäre es wahrscheinlich anders herausgekommen.»

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