Luzernerin hat der Schweiz den Rücken gekehrt

«Alles ist ein bisschen chaotischer – das gefällt mir»

Ein kleines Reich mitten in Umbrien: Die Luzernerin Madeleine Duquenne ist nach Italien ausgewandert. (Bild: zvg)

Die Corona-Pandemie hat die Welt 2020 praktisch stillgelegt. Das macht sich auch in den Auswanderungszahlen bemerkbar. Letztes Jahr haben so wenige Menschen im Ausland ein neues Leben begonnen wie seit Jahren nicht mehr. Eine, die es trotzdem gewagt hat, ist die Luzernerin Madeleine Duquenne.

Ein neues Leben beginnen abseits der Hektik, inmitten von Oliven-, Aprikosen- Feigen- und Granatapfelbäumen im eigenen Garten. Das ist nicht allen gegeben. Im Mai dieses Jahres hat Madeleine Duquenne (50) der Schweiz den Rücken gekehrt und lebt seither in der Gemeinde Magione in der Region Umbrien.

Magione zählt knapp 15'000 Einwohner. Im Sommer stieg das Thermometer zeitweise bis auf 36 Grad und es liegt rund sieben Autostunden weit entfernt von Luzern. Wer jetzt an Dolcefarniente denkt, liegt aber falsch.

zentralplus: Madeleine Duquenne, Sie haben in der Schweiz den Job an den Nagel gehängt, die Wohnung gekündigt und sind Anfang Mai nach Italien gefahren. Für immer?  

Duquenne: Niemand weiss, was morgen ist und was das Leben noch bereithält. Deshalb kann ich nicht sagen «für immer». Aber der Plan ist es schon, hier in Italien alt zu werden und wenn die Zeit gekommen ist, auch das Rentenalter zu geniessen. Die Italiener werden sehr alt dank ihrem guten Klima, der Sonne und der gesunden Küche.

«Mit vierzig wurde mir mehr und mehr bewusst, dass ich diese Arbeit nicht durchhalten werde bis zum Rentenalter.»

Madelaine Duquenne, ausgewanderte Köchin

zentralplus: Hatten Sie genug von der Schweiz?

Duquenne: Das möchte ich nicht so sagen. Die Schweiz ist ein wunderschönes Land und ich bin dankbar dafür, dass ich in diesem Land geboren bin und leben durfte.

zentralplus: Hat der Wunsch auszuwandern schon lange in Ihnen geschlummert?

Duquenne: Die Idee nach einer Veränderung war eigentlich schon ein paar Jahre da. Aber ans Auswandern habe ich nicht im Traum gedacht. Ich wollte mich eher beruflich verändern. Ich bin Koch von Beruf und das geht in die Knochen. Mit vierzig wurde mir mehr und mehr bewusst, dass ich diese Arbeit nicht durchhalten werde bis zum Rentenalter. Die Hektik hat mir immer mehr zugesetzt. Teilweise war der Arbeitsalltag so hektisch, dass ich abends nicht mehr wusste, wie ich zu Hause die Treppenstufen bewältigen soll.

zentralplus: Was hat Ihnen in der Schweiz selbst nicht mehr gefallen?

Duquenne: Das Leben leben hat mir gefehlt. Es drehte sich alles wie in einem Hamsterrad: morgens in aller Herrgottsfrühe aufstehen, arbeiten, abends müde ins Bett fallen und dann wieder alles von vorne. So quasi leben, um zu arbeiten – anstatt arbeiten, um zu leben. Mit meinem damaligen Kochlohn konnte ich mir auch keine Auszeiten leisten.

zentralplus: Woher kam der Anstoss, aus dem Hamsterrad auszubrechen?

Duquenne: Ich vermute, den Anstoss für ein Umdenken kam von meinem Vater: Er wurde kurz nach der Pension sehr krank. Immerzu auf Pflege angewiesen, konnte er sich bald nicht mehr bewegen und verlor sein Augenlicht. Dabei hatte er noch so viele Pläne und Träume, die er realisieren wollte nach der Pensionierung. Reisen, die Welt kennenlernen und einfach noch die Zeit geniessen. Das machte mich sehr traurig und öffnetet mir die Augen. Ich sagte mir: «Das Gleiche passiert dir nicht.» Ein Leben lang schuften, Geld auf die hohe Kante scheffeln und all die Pläne und Wünsche auf die Jahre nach der Pensionierung verschieben. Keiner weiss, ob er im Rentenalter noch Zeit hat. Also habe ich beschlossen, jetzt zu tun, was ich möchte und was mich glücklich macht.

«Man sagt, Umbrien sei die neue Toscana. Das grüne Herz Italiens. Sogar die Italiener sagen, Umbrien sei die schönste Gegend Italiens.»

zentralplus: Wie sind Sie auf die Provinz Perugia gekommen?

Duquenne: Die Region Umbrien war nicht geplant. Anfangs standen die Dolomiten auf dem Plan. Doch zu viele Berge durften es auch nicht sein. Im Winter möchte ich auch mal die Sonne sehen. Wir liebäugelten auch mit der Toscana.

zentralplus: Wir?

Duquenne: Ja, eine langjährige gute Freundin und ich. Sie wohnte bis im Frühling in England. Wir kannten uns von früheren, gemeinsamen Fotoreisen. Die toskanischen Häuser mit ihren Zypressen bei den Auffahrten und den Pinienbäumen im Garten haben es mir angetan. Doch als Normalsterblicher ist es schwierig, da ein Haus zu erwerben. Man sagt Umbrien, sei die neue Toscana. Das grüne Herz Italiens. Sogar die Italiener sagen, Umbrien sei die schönste Gegend Italiens.

zentralplus: Sie haben Ihren Job gekündigt. Wie kommen Sie über die Runden in Umbrien?

Duquenne: In Italien sind die Lebensunterhaltskosten viel tiefer als in der Schweiz. Hier bezahlt man keine Krankenkasse, dafür etwas mehr Steuern. Im Schnitt braucht man monatlich dreimal weniger Geld als in der Schweiz. Meine Freundin konnte hier ein renovationsbedürftiges altes umbrisches Bauernhaus erwerben. Seit wir hier sind, bauen wir um. Am Anfang gab es kein Strom und Wasser. Nebst unserer Wohnung haben wir zusätzlich zwei Wohnungen umgebaut. Diese werden wir ab Ostern vermieten. Aber, um auf den Punkt zu kommen: Momentan lebe ich von meinen Ersparnissen. Ich hatte in der Schweiz kaum Zeit, Geld auszugeben (lacht).

zentralplus: Sie sind auch eine talentierte Fotografin und haben für den FCL fotografiert. Fotografieren Sie viel in Italien?

Duquenne: Wann immer ich Zeit dazu finde, ja. Meine Freundin ist hauptberuflich Fotografin und arbeitet mit Bildagenturen zusammen. Diesen Herbst begleiteten wir einen Fotoveranstalter auf einer Fotoreise in die Dolomiten mit zehn Teilnehmern und gaben Kurse.  Nebst den Mieteinnahmen wird das im nächsten Jahr eine weitere Einnahmequelle sein. Wir haben Fotoreisen geplant bis ins Jahr 2023: England, Dolomiten, Engadin.

«Was habe ich gestaunt, als der Gärtner sagte, er käme um 6 Uhr. Das ist hier völlig normal.»

zentralplus: Wie sieht so Ihr ganz normaler Tag aus in Italien?

Duquenne:  Das ist sehr unterschiedlich: Im Sommer ist es hier so heiss, dass ich oft um 5:30 oder 6 Uhr aufstand. Nach dem Kaffee ging es meist in den Garten oder ich strich Wände oder schliff Fensterläden. Um 12 Uhr war es draussen zu heiss. Sogar im Schatten. Was habe ich gestaunt, als der Gärtner sagte, er käme um 6 Uhr. Das ist hier völlig normal. Nach dem Mittag ist dann meistens Siesta angesagt und ab 15 Uhr verrichtet man verschiedene Dinge im Haus. Ich habe jedes Möbelstück selber zusammengeschraubt. Gestern habe ich die Liegestühle und Sonnenschirme gereinigt und versorgt, denn jetzt kommen nachts die Wildschweine (lacht).

zentralplus: Konnten Sie schon Italienisch, als sie ankamen? Und wie sind Sie in ihrer neuen Heimat aufgenommen worden?

Duquenne: Nein, ich habe schnell gelernt. Wenn man ständig mit den Einheimischen in Kontakt ist, lernt man sehr rasant. Und ich las italienische Comics. Die Italiener geben dir nie das Gefühl, ein Ausländer zu sein. Sie sind sehr hilfsbereit. Nicht unbedingt pünktlich (lacht), aber wenn sie sagen, dass sie kommen, kommen sie. Alles ist hier ein bisschen chaotischer und komplizierter als in der Schweiz und das gefällt mir. Auf den italienischen Ämtern ist es oft ein Tohuwabohu. Keiner weiss so recht wie, wo und wann. Aber schlussendlich bin ich, mit ihrer grossen Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit, immer am richtigen Ort gelandet.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von M.
    M., 23.11.2021, 22:18 Uhr

    Alles Gute, Madeleine.

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