Zuger Politik findet unter Basketballkörben statt

Alles auf einen Chlapf: Kantonsrat gibt Gas in Sachen Coronavirus

Wenig Theater, viel Effizienz: Das Zuger Kantonsparlament tagte wegen der Seuche in der Dreifachturnhalle der Kanti Zug. Alle Corona-Geschäfte wurden überwiesen – einzig die Idee der SVP zu einer Standesinitiative wurde abgeschmettert.

Freundliche Polizisten, die den Weg weisen, ein Lunchsäckli für alle und haufenweise Platz. Das sind die Begleitumstände der ersten – und öffentlichen – Zuger Kantonsratssitzung nach Ausrufung des Notstandes.

Die Parlamentarier sitzen an kleinen Tischchen in der abgetieften Halle, halten mindestens zwei Meter Abstand in alle Richtungen. Das Medieninteresse ist beachtlich. Das Publikumsinteresse indes hält sich in Grenzen. Drei oder vier Besucher verlieren sich auf der Empore, ihre Namen und Telefonnummern wurden am Eingang notiert – falls Contact Tracing notwendig werden würde.

26 Traktanden – viel zu tun

Sichtlich erleichtert eröffnet Kantonsratpräsidentin Monika Barmet-Schelbert (CVP) die Sitzung. Sie ist froh, dass das Parlament endlich die aufgestaute Arbeit erledigen kann. Die Traktandenliste umfasst acht Seiten, darunter verschiedene Vorlagen, die in der Februarsitzung des Parlaments nicht mehr behandelt werden konnten.

«Bitte fassen Sie sich kurz», sagt Barmet und gibt als Ziel aus, um 11 Uhr 30 die Turnhalle wieder zu verlassen. Das scheint aber erst einmal unwahrscheinlich.

ALG-Fraktionschef Anastas Odermatt schaut in die Weite des improvisierten Tagungszentrums. (Bild: mam)

Gleich zu Beginn häufen sich die Nichtüberweisungsanträge zu Vorstössen. Nach so langer Politabstinenz geniessen es die Kantonsrätinnen und Kantonsräte, den politischen Gegnern lustvoll eins ans Schienbein zu geben.

Corona-Schäden: Bund soll alles blechen

Spektakulärer Höhepunkt ist das Begehren der Zuger SVP, eine Standesinitiative einzureichen, mit der das nationale Epidemiegesetz «dringlich und rückwirkend» geändert werden soll. Der Bund soll für die von ihm verfügten Massnahmen «obligatorisch, prioritär und kausal haften».

Die Idee, rückwirkend eine Staatshaftung einzuführen, mag dadaistisch klingen. SVP-Fraktionschef Manuel Brandenberg verteidigt sie dennoch mit Verve und rhetorischem Geschick. Es gehe darum, den durch die Coronakrise Geschädigten, die derzeit als arme Bittsteller auftreten müssten, einen Rechtsanspruch zu verschaffen, sagt er. Es gehe ganz einfach um das Prinzip: Wer zahlt, befiehlt.

Sozialdemokrat stimmt mit der SVP

SP und CVP wollen auf den Vorschlag nicht eingehen und beantragen Nichtüberweisung des Geschäftes. Die Alternativen sehen es gleich. Nachdem CVP-Kantonsrat Heini Schmid mehrfach in den Saal gerufen hat: «Nicht der Staat ist an der Coronakrise schuld, sondern das Virus» und FDP-Kantonsrat Adrian Moos die Idee als staatspolitischen Unsinn gebrandmarkt hat, kommt es zur Abstimmung.

Zuger Kantonsrat in Corona-Zeiten: Protokolliert wird im Geräteraum der Dreifachturnhalle. (Bild: mam)

56 Parlamentarier sind für Nichtüberweisung –  damit ist die Idee einer rückwirkenden Einführung einer Schweizer Staatshaftung vom Tisch. Ausser den Volksparteilern hat einzig der Baarer Sozialdemokrat Alois Gössi für die Überweisung der Standesinitiative gestimmt.

Verfahren abgekürzt

Nach dem verbalen Schlagabtausch schaltet das Parlament mehrere Gänge höher und arbeitet sich durch die Berge von Vorlagen. Sämtliche Vorstösse zur Corona-Krise sollen am 25. Juni auf den Tisch kommen.

Dann berät das Kantonsparlament auch über die Jahresrechnung 2019 und die Verwendung des Überschusses von 175,4 Millionen Franken. Damit das klappt, werden sämtliche Postulate und Motionen an die erweiterte Staatswirtschaftkommission überwiesen, die sich unter dem Vorsitz von Andreas Hausheer (CVP) eine Meinung über die Sinnhaftigkeit der Vorstösse bildet und auch gleich die Regierung zu einem Mitbericht einlädt. So kann man einen Verfahrensschritt überspringen und alles zusammen besprechen.

Viele Zuger Corona-Vorstösse

Namentlich gibt es ein Postulat von Freisinnigen zu den Überbrückungskrediten für lokale Unternehmen, ein Postulat von FDPlern zu einer Anlaufstelle für Zuger Unternehmen und Selbstständige und ein solches zur Stärkung der Liquidität der Unternehmen und Selbstständigerwerbenden. Die Fraktion Alternative – die Grünen hat ein Postulat zur unbürokratischen Unterstützung für Kleingewerbler und Selbstständige eingereicht.

Die SP wartet mit einer Interpellationen zum Schutz von Corona auf, die FDP mit Fragen zur Stabilität der Zuger Wirtschaft. Weiter gibt es Kreditbegehren zu bewilligen, die längst schon diskutiert sind. Etwa ein Stützungsfonds für die Verwaltung und die Gerichte wegen der Corona-Krise (zentralplus berichtete) und die Kantonshilfe für Kitas (zentralplus berichtete).

Akt der Landesverteidigung

Die Kantonsräte arbeiten sich konzentriert durch technische Vorlagen, diskutieren Details des neuen Datenschutzgesetzes, bis gegen Ende der Session das Blut einiger Abgeordneten nochmal ordentlich in Wallung gerät.

«Wir durchleben eine Zeit, die uns vor Augen führt, wie unser Land in Abhängigkeit von China geraten ist.»

Jean-Luc Moesch, Kantonsrat CVP

Es geht um eine Grundsatzfrage und auch ein bisschen um das Coronavirus respektive um sein Herkunftsland. Gewissermassen um einen Akt von Landesverteidigung, für die sich nun die CVP und die SVP in die Brust werfen. Anlass ist die Energieversorgung respektive der Aktienanteil von 0,9 Prozent des Kantons Zug an der Axpo Holding AG.

NOK-Gründungsvertrag von 1914 ersetzen

Der Gründungsvertrag der Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK) aus dem Jahre 1914 soll durch einen Aktionärsbindungsvertrag der Axpo Holding abgelöst werden. Darin ist die Möglichkeit vorgesehen, Anteile an Dritte zu verkaufen – und das ruft Ängste hervor. Davor, dass wichtige Infrastrukturunternehmungen in die Hand ausländischer Investoren geraten.

Politik unter dem Basketballkorb: Eindruck der Zuger Kantonsratssitzung in der neuen Dreifachturnhalle der Kanti. (Bild: mam)

«Wir durchleben soeben eine prägende Zeit, die uns vor Augen führt, wie unser Land in Abhängigkeit von China und anderen Ländern geraten ist», sagt der Chamer Christdemokrat Jean-Luc Moesch.

Wasserkraft in Gefahr

Er erwähnt chinesische Investitionen in europäische Häfen, die Gefahr von Marktdominanz, erzählt, wie die Bundesrepublik Deutschland in letzter Minute mit einer Teilverstaatlichung dazwischengrätschen musste, damit die Stromerzeugung nicht in die Hände der Chinesen fiel.

Beni Riedi aus Baar fasst sich kürzer: «Die SVP-Fraktion möchte keine Scheiche oder Chinesen an den Hebeln unserer Schweizer Wasserkraft!» Wie auch die CVP möchte daher die SVP auf den Aktionärsbindungsvertrag nicht eintreten.

Griff zum Branchli und zum Sandwich

Relativ knapp verlieren die beiden Parteien gegen eine Mehrheit aus Freisinn und den beiden Linksparteien. SP und ALG fürchten nicht die chinesische Gefahr – sie kritisieren an der Axpo, dass sie nicht schneller aus der Atomkraft aussteigt.

Einige Anwesende haben derweil den Apfel, das Branchli oder das Schinkensandwich aus dem Lunchsäckli geholt, um sich zu stärken, als Kantonsratspäsidentin Monika Barmet die Sitzung knapp vor 13 Uhr schliesst.

Raus in den Regen

Die Stimmung ist nun sehr gelöst in der Dreifachturnhalle der Kanti Zug. «Es ist hier viel ruhiger als im Kantonsratssaal» sagt Barmet, «vielleicht sollten wir unsere Sitzungen dauerhaft hierher verlegen», scherzt sie.

Dann treffen sich die Politiker noch zu einem Schwatz auf Distanz, schauen in den Nieselregen hinaus und freuen sich, ein Stück Normalität zurückgewonnen zu haben.

Improvisiertes Kafferäumchen in Zug: Für jede Kantonsratsfraktion gabs ein Separates.
Themen
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon