Weil er Papi ist, gilt Luzerner als unvermittelbar

Alleinerziehender Handwerker bekommt kein Arbeitslosengeld

Ein Luzerner bekam kein Arbeitslosengeld, weil er für seinen Sohn keine Kinderbetreuung fand. (Bild: Adobe Stock)

Teilzeit zu arbeiten, ist weit verbreitet – und auch gleitende Arbeitszeiten sind keine Seltenheit mehr. Das gilt aber nicht für die Baubranche. Und genau das brachte einen alleinerziehenden Luzerner an den Rand der Existenz.

Der Mann arbeitete bis vor zwei Jahren als Chefmonteur auf dem Bau. Dann wurde der alleinerziehende Vater eines siebenjährigen Buben arbeitslos.

Er meldete sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) an. Er hielt sämtliche Termine ein, verschickte die geforderte Anzahl von Bewerbungen und bekam über mehrere Monate Geld von der Arbeitslosenversicherung. So weit normal.

Dann aber stellte das RAV die Zahlungen ein. Die Begründung: Der Handwerker sei nicht vermittelbar. Arbeitslosengeld bekomme nur, wer bereit und in der Lage sei, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Das sei bei dem Alleinerziehenden nicht der Fall, weil er sich ja um seinen Sohn kümmern müsse.

Kind und Beruf vereinbaren? Auf dem Bau unrealistisch

Der Bub ist bereits in der Schule, wird also jeweils von 8 bis 12 Uhr sowie von 12 bis 16.30 Uhr betreut. An zwei Nachmittagen hat er frei. Seinem Vater schwebte daher vor, künftig 80 Prozent zu arbeiten.

Die Behörde hält es jedoch für aussichtslos, dass der Mann unter diesen Umständen einen Job findet. Und auch das Kantonsgericht Luzern sieht das so. Wer in einer Leitungsfunktion auf dem Bau arbeite, von dem werde erwartet, dass er bei Bedarf länger auf der Baustelle bleibe. Oder auch kurzfristig verfügbar sei. Diese Flexibilität habe der Vater nicht, wenn er fix zwei Nachmittage frei haben und immer um 16.30 Uhr daheim sein müsse.

Kommt hinzu: Auf dem Bau beginnt der Arbeitstag früh. Wenn der Mann erst um 8 Uhr auf der Baustelle sein könne, brauche es ein «übermässiges Entgegenkommen» der potenziellen Arbeitgeberin – und das sei «kaum realistisch». Dies habe sich im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs bereits einmal konkret gezeigt. Dass sich die Mutter um das Kind kümmern könnte, ist offenbar keine Option.

Gleiche Bedingungen für alle

Was die weitverbreitete Gleitarbeitszeit angeht, so hält das Kantonsgericht fest, dass diese «in erster Linie bei in Büros ausgeübten Berufen üblich ist, wo keine jederzeitige Verfügbarkeit notwendig gewährleistet werden muss». Auf dem Bau sei das anders.

Der Mann sei durch seine Betreuungspflichten auch geografisch eng auf die Umgebung eingeschränkt – und könne somit für weitentfernte Baustellen nicht eingesetzt werden. In Bezug auf die Verfügbarkeit müssten Eltern aber die gleichen Bedingungen erfüllen wie alle anderen Personen, um Arbeitslosengeld zu bekommen.

Übersetzt heisst das: Solange der Vater niemanden findet, der die Betreuung seines Sohnes übernimmt, und nicht völlig flexibel ist, hat er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Wie er dieses Problem löst, wird ihm überlassen.

Schwierige Suche nach einer flexiblen Betreuung

Es liegt aus Sicht der Kantonsgerichts am alleinerziehenden Vater, «das Privat- und Familienleben so zu gestalten, dass er nicht daran gehindert ist» zu arbeiten. Nur gestaltet sich diese Vereinbarkeit in seiner Branche ungemein schwierig.

Der Luzerner sucht bereits seit Längerem nach einer passenden Kinderbetreuung. Eine Anmeldung bei einer Kita würde voraussetzen, dass er diese bezahlen kann – was schwierig sein dürfte, solange er weder einen Job hat noch Arbeitslosengeld bekommt.

Die Baubranche ist offensichtlich auf den klassischen erwerbstätigen Mann ausgerichtet, der 100 Prozent arbeitet und so die Familie finanziert. Und zwar so stark, dass ein alleinerziehender Handwerker aus Sicht der Behörden unvermittelbar ist. Was also tun?

Die Nachbarin springt ein

Wenig überraschend besteht die Lösung darin, dass eine Frau einspringt. Eine Nachbarin hat sich bereit erklärt, den Buben jeweils am Mittag und an zwei Nachmittagen zu hüten – bis ein Hortplatz frei wird. Seither gilt für den Handwerker immerhin eine Vermittlungsfähigkeit von 80 Prozent.

Für die Zeit davor – rund vier Monate – bekam der Mann kein Arbeitslosengeld. Wie aus dem Urteil hervorgeht, musste er sich deswegen beim Sozialamt anmelden. Ob der Mann inzwischen eine Stelle hat finden können, ist nicht bekannt. Sein Anwalt erteilt aufgrund des Amtsgeheimnisses verständlicherweise keine weiteren Auskünfte zu dem Fall.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Stefan Ernst
    Stefan Ernst, 10.12.2020, 10:24 Uhr

    Für die Baubranche gibt es einen schier unerschöpfbaren Pool an europäischen Arbeitskräften, kein Wunder muss sie sich nicht um Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf bemühen.

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  • Profilfoto von Marly Enzler
    Marly Enzler, 10.12.2020, 09:04 Uhr

    Das Kind hat ca. 13 Wochen Schulferien, dazu kommen etliche Ausfalltage (Lehrerkonferenz, -weiterbildung etc.). Alle Eltern kennen das zur Genüge, die Schulen und Lehrer kümmerts nicht (die Lösung sind meist die Grosseltern). Die Betreuung eines Schulkinds ist unvereinbar mit einem normalen Anstellungsverhältnis eines/einer Alleinerziehenden. Deshalb liegt das Gericht richtig.

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    • Profilfoto von Gesine Fuchs
      Gesine Fuchs, 14.12.2020, 11:04 Uhr

      Und dann kann doch nicht die Sozialhilfe die Lösung sein, die extrem viel Autonomie den Menschen nimmt, stigmatisiert und kaum zum Leben reicht.
      Es braucht Kinderbetreuung: qualitativ hochstehend, günstig und zu den Zeiten, in denen sie gebraucht wird. Die Schweiz gibt im OECD-Vergleich herzlich wenig für Förderung und Betreuung aus.
      Und es braucht Leute, die den Kulturwandel fördern statt Stereotypen zu verstärken: man weiss ja, was auf dem Bau Sache ist, und Männer und Teilzeit das geht gar nicht – nö, geht auch nicht, wenn niemand was ändert.

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  • Profilfoto von Annina Steiger
    Annina Steiger, 10.12.2020, 09:04 Uhr

    Schlicht skandalös. Unsere Gesellschaft gibt lieber Geld aus für unnütze Dinge – Kampfflugzeuge z.B. – als für Menschen, die es nötig haben.

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