Studie der Hochschule Luzern zeigt

Ältere Menschen sind häufiger das Ziel von Misshandlungen

Gewalt im Alter wird meistens vom familiären Umfeld aus verübt. (Symbolbild) (Bild: Adobe Stock)

Es sind bedrückende Zahlen, die aus der Studie «Gewalt im Alter verhindern» der Hochschule Luzern hervorgehen. Bis zu 500'000 Menschen über 60 werden in der Schweiz jährlich Opfer von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. Aber warum?

Untersucht wurden Fälle im Vertrauensbereich, also in einem familiären oder pflegerischen Umfeld. Überfälle auf offener Strasse oder Ähnliches wurden nicht in die Berechnungen mit einbezogen. Durchgeführt wurde die Studie von Dr. Paula Krüger, Dozentin und Gewaltforscherin an der Hochschule Luzern, im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen.

Wie sich zeigte, sind die Täter hinter solchen Vergehen meistens Personen aus dem näheren familiären oder pflegerischen Umfeld wie Betreuer in Alters- und Pflegeheimen. «In den meisten Fällen steckt hinter den Handlungen keine Böswilligkeit», erklärt Krüger den Sachverhalt. Vielmehr sei gerade im Pflegebereich meistens einfach die Zeit nicht vorhanden, sich eingehend mit jeder pflegebedürftigen Person auseinanderzusetzen. Daraus erfolgt eine Vernachlässigung, die vor allem einsamen Betagten schwer zu schaffen macht.

«Das zeigt, dass Gewalt etwas mit Macht zu tun hat.»

Dr. Paula Krüger, Dozentin & Gewaltforscherin

In Gewaltfällen sei die Täterschaft jedoch meistens eine Person aus dem familiären Umfeld. In der Schweiz gebe es viele Fälle, in denen die Partner oder die Kinder die Betreuung übernähmen – und oft überfordert seien, weil ihnen die richtige Ausbildung dafür fehle. «Diese Überforderung kann sich in Aggressionen äussern, die an der pflegebedürftigen Person ausgelassen werden», so Krüger. Resultate dieser Überforderung zeigten sich oft in Form von Beschimpfungen, groben Berührungen oder Vernachlässigung.

Die untenstehende Grafik zeigt auf, dass die Gewalt häufig von den eigenen, erwachsenen Kindern ausgeht.

(Bild: HSLU / Krüger et al., 2020; Daten aus dem Kanton Zürich: Ott & Schwarzenegger, 2017/2019)

Rollentausch bei Paaren

Eine weitere Erkenntnis der Studie betrifft den Rollentausch zwischen Opfer und Täter, der sich vor allem bei Paaren vollzieht. Wenn schon in früheren Fällen Misshandlungen verübt wurden, wird der Täter – gemäss Studie statistisch häufiger der Mann – nicht selten zum Opfer. «Das zeigt, dass Gewalt etwas mit Macht zu tun hat», sagt Krüger. «Ändern sich die Machtpositionen, kann das zu einer Rollenumkehr führen.»

Das sei eine mögliche Erklärung dafür, warum gemäss offiziellen Statistiken bei Personen unter 60 Jahren die Frauen klar häufiger Opfer von häuslicher Gewalt würden als Männer, während im höheren Alter Frauen und Männer etwa gleich stark betroffen sind.

In der Grafik wird klar ersichtlich, dass Gewalt an Frauen unter 60 Jahren viel häufiger vorkommt als an Männern. Im Alter sind beide Geschlechter ähnlich betroffen.

(Bild: HSLU / Krüger et al., 2020; Daten: Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundesamts für Statistik, 2017)

Geld kann eine Rolle spielen

Doch nicht nur in Paar-Situationen kommt es zu Übergriffen. Auch in der Beziehung zwischen Kind und Eltern kann es zu gewaltsamen Handlungen kommen. Hier steht vermehrt das Muster der Abhängigkeit dahinter. So sei beispielsweise die finanzielle Abhängigkeit erwachsener Kinder von ihren betagten Eltern ein Risikofaktor für Misshandlungen.

Weitere Faktoren sind auch geringes Einkommen – ärmere Menschen sind im Alter eher von Gewalt betroffen als Personen mit hohem Einkommen – und Substanzmissbrauch. Letzteres aber eher als Katalysator der Täterschaft. Abschliessend seien aber auch psychische Erkrankungen wie Depression bekannte Risikofaktoren für Gewalt im Alter.

Der Bundesrat handelt

Der Bundesrat hat aufgrund von Krügers Studie das Innendepartement damit beauftragt, im Rahmen der Prävention und Intervention mit den Kantonen zu prüfen, ob ein nationales Impulsprogramm nötig ist. Zusätzlich will er eine Meldepflicht für Personen einführen, die regelmässig mit pflegebedürftigen und älteren Menschen in Kontakt stehen. Massnahmen, die Paula Krüger begrüsst und anfügt: «Es ist zu hoffen, dass weitere konkrete Massnahmen folgen und das Thema nicht wieder von der politischen Agenda verschwindet.»

Die vollständige Studie der HSLU findest du hier.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von John
    John, 28.11.2020, 19:27 Uhr

    500’000? Nicht wirklich, oder?

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