Was macht Corona mit der Demokratie?

Adrian Schmid: «Von einer Diktatur zu reden, ist absurd»

Adrian Schmid zeigt in Luzern, wo 2022 die Weltkonferenz für Volksrechte stattfindet, den neuen Schweizer Demokratiepass. (Bild: jal)

Welche Lehren können moderne Demokratien aus der Pandemie ziehen? Dieser Frage widmet sich 2022 die Weltkonferenz der Volksrechte in Luzern. Adrian Schmid, Präsident der Schweizer Demokratie Stiftung, spricht im Interview über illegale Demos, Verschwörungstheorien und Ueli Maurer im Trikot der Freiheitstrychler.

Die Coronakrise rüttelt nicht nur an unserem Alltag, sondern auch an unseren politischen Institutionen und den Volksrechten. Die Pandemie ist ein Stresstest für die Demokratie. Den Erfahrungen und Lehren aus der Krise widmet sich nächstes Jahr die zehnte Weltkonferenz der Volksrechte, die in Luzern über die Bühne geht (siehe Box).

Mitbegründer des Global Forum und Präsident der Schweizer Demokratie Stiftung ist der Luzerner Adrian Schmid. zentralplus hat den früheren Stadtparlamentarier der Grünen gefragt, was Corona mit der Demokratie anstellt.

zentralplus: Ueli Maurer im T-Shirt der Freiheitstrychler: Was sagt es über den Zustand der Demokratie aus, wenn ein Bundesrat im Gewand der Corona-Kritiker posiert?

Adrian Schmid: Das ist Wahlkampf für eine Partei, welche die letzten Wahlen verloren hat und sich neu positionieren muss. Die gekonnte Provokation eines Bundesrats mag wohl parteipolitisch mobilisieren, aber von der stärksten Partei der Schweiz erwarte ich, dass sie in der schwierigen Situation zu gesellschaftspolitischen Lösungen beiträgt und nicht die Spaltung vorantreibt.

«In der Schweiz jammern wir auf verhältnismässig hohem Niveau, wenn wir die Situation weltweit betrachten.»

zentralplus: Von dieser Spaltung ist oft die Rede. Was hat Corona mit unserer Demokratie gemacht?

Schmid: Die Pandemie hat das Funktionieren der politischen Schweiz arg in Mitleidenschaft gezogen. Sessionen des Parlaments wurden abgebrochen, das Unterschriftensammeln verboten und später durch Massnahmen erschwert, die physische Debatte verunmöglicht, während die Regierung im Krisenmodus wirkte. Sinnvolle Konsenslösungen zu finden, wurde schwieriger. Aber: In der Schweiz jammern wir auf verhältnismässig hohem Niveau, wenn wir die Situation weltweit betrachten.

zentralplus: Der Luzerner Nicolas Rimoldi, Co-Präsident der Bewegung Massvoll, sprach im Kontext der ausgedehnten Zertifikatspflicht von Faschismus, die SVP von einem diktatorischen Regime. Das sind heftige Ausdrücke – was sagen Sie dazu?

Schmid: Von einer Diktatur zu reden finde ich absurd. Wo weltweit können die Stimmberechtigen zum Beispiel bereits zum zweiten Mal über Covid-Massnahmen entscheiden? Wo kann ein Referendum lanciert werden? Uns geht es relativ gut, auch wenn viele Menschen hier unter der Pandemie litten. Weltweit hat die Pandemie die Menschen ökonomisch hart getroffen. Interessant ist: Die Impfbereitschaft in der Schweiz ist tief, während sie zum Beispiel in Portugal und Spanien signifikant höher ist.

Ueli Maurers Auftritt sorgte für Ärger – auch bei der Luzerner Ständerätin Andrea Gmür (Mitte):

zentralplus: Und doch gehen hierzulande regelmässig unzufriedene Menschen auf die Strasse, um gegen die politischen Entscheide zu protestieren.

Schmid: Unzufriedene hat es immer gegeben und wird auch in Zukunft geben, das ist kein neues Phänomen. Man darf diese Stimmen jedoch nicht totschweigen, sondern muss sie ernst nehmen und auf sie zugehen, sie erreichen. Aber genau das ist schwieriger geworden. Denn die Digitalisierung der letzten Jahre hat auch bewirkt, dass sich mehr Menschen in «Bubbles» bewegen, wo ungeheuerliche Fake News und Verschwörungstheorien kursieren.

zentralplus: Die Meinungsäusserungsfreiheit ist ein wichtiges Gut in unserer Demokratie, gerade in der Coronakrise. Ist es legitim, wenn die Behörden – wie zuletzt in Luzern – dafür auch unbewilligte Demonstrationen dulden?

Schmid: Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden. Es ist legitim, mit Kuhglocken auf der Strasse etwas zu lärmen. Die fundamentalen Impfgegner müssen jedoch Antworten liefern, was es bedeutet, wenn sie vom Spitalpersonal auf den Intensivstation aufopfernd gepflegt werden müssen, während dort die Plätze für Menschen mit Herzinfarkten und Krebserkrankungen fehlen.

«Die Pandemie hat uns auf erschütternde Art aufgezeigt, dass die Schweiz die Digitalisierung lange verschlafen hat.»

zentralplus: Krisen wirken oft wie ein Brennglas: Sie offenbaren Stärken und Schwächen. Welche Lehren sollte die Schweiz aus der Pandemie ziehen?

Schmid: Unsere politische Kultur ist heute viel zu stark auf Konfrontation ausgerichtet. Wir benötigen hingegen eine starke partizipative und demokratische Infrastruktur. Nicht der Streit, sondern mögliche Lösungen müssen im Mittelpunkt stehen. Der Austausch und auch die harte Diskussion über politische Inhalte ist für eine Demokratie eminent wichtig. Dazu brauchen wir unter anderem neue Ansätze im Umgang mit der digitalen Demokratie, wie E-Voting oder E-Collecting. Die Kantone mussten zu Beginn der Krise die Coronazahlen per Fax nach Bern schicken: Unglaublich, die Pandemie hat uns auf erschütternde Art aufgezeigt, dass die Schweiz die Digitalisierung lange verschlafen hat.

zentralplus: Die Konferenz in Luzern widmet sich der Demokratie im Post-Corona-Zeitalter und besonders der Kraft der Mitbestimmung. Wieso gerade dieser Aspekt?

Schmid: Es ist eine wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft, jenen eine Stimme zu geben, die nach wie vor von der politischen Teilhabe ausgeschlossen sind. Beispielsweise den Jugendlichen, die in der Pandemie kollektiv unter Hausarrest gestellt wurden. Das Stimmrechtsalter 16 bietet die Chance, dass sie sich stärker einbringen können. Die Menschen mitentscheiden zu lassen, ist eine grosse Stärke der Schweiz. Das gilt auch für die integrierten ausländischen Menschen – in Basel ist die Hälfte der Menschen nicht stimmberechtigt. Luzern hat sich strategisch als Kulturstadt positioniert. Heute wünsche ich mir Luzern als Dialogstadt. Mit unseren Konferenzen wollen wir dazu beitragen.

Weltkonferenz für Volksrechte in Luzern

Luzern wird 2022 Gastgeberin der direktdemokratischen Volksrechte: Die Schweizer Demokratie Stiftung wählte die Leuchtenstadt als Austragungsort des zehnten Global Forum On Modern Direct Democracy. Der Anlass mit rund 500 Teilnehmern aus gegen 50 Ländern widmet sich der Demokratie nach der Pandemie.

Im lokalen Unterstützungskomitee sitzen nicht weniger als sechs ehemalige Präsidenten und Präsidentinnen des Luzerner Stadtparlaments: Laura Grüter Bachmann (FDP), Albert Schwarzenbach (Mitte), Lisa Zanolla (SVP), Andras Özvegy (GLP), Margaretha Reichlin (SP) und Adrian Schmid (Grüne).

Die in Luzern ansässige Stiftung hat diese Woche zudem den Swiss Democracy Passwort lanciert: Eine gemeinsam mit dem Aussendepartement und der Universität Bern erarbeitete Broschüre, die auf Englisch das schweizerische Politiksystem erklärt.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Groucho
    Groucho, 17.09.2021, 09:53 Uhr

    …und dabei sollte man nie vergessen: selbst wenn 8’000 Bürger eine sog. «Gross-Demonstration» besuchen, sind das gerade mal 0,1 % der hiesigen Bevölkerung.
    Auch wenn man in einer Demokratie die Anliegen einer solchen Minderheit ernst nehmen soll: eine relevante Gruppe ist dies nicht.

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  • Profilfoto von Fabrizio
    Fabrizio, 16.09.2021, 14:39 Uhr

    Von einer Diktatur zu reden mag wohl übertrieben sein, eine Demokratie ist aber alles andere als dies!

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    • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
      Kasimir Pfyffer, 16.09.2021, 14:52 Uhr

      Auf welchem Stern leben Sie, Fabrizio? Werden Sie hier in der Schweiz am Wählen und Abstimmen gehindert? Macht die Polizei eine willkürliche Razzia bei Ihnen, werden Sie wegen falscher Anschuldigung ins Gefängnis gesteckt? Verbietet man Ihnen die Ausübung Ihrer Religion? Hindert man Sie am Äussern Ihrer Meinung? Werden Ihre Familienangehörigen bedroht, eingeschüchtert, erpresst oder gefoltert?
      Nein?
      Dann hören Sie bitte auf, die Schweiz als Gegenteil einer Demokratie zu bezeichnen. Ich kann diese Verdrehungen nicht mehr hören.

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    • Profilfoto von Reto
      Reto, 16.09.2021, 15:13 Uhr

      Definition von einer Demokratie:

      1a.
      [ohne Plural] politisches Prinzip, nach dem das Volk durch freie Wahlen an der Machtausübung im Staat teilhat
      «zu den Prinzipien der Demokratie gehört die freie Meinungsäußerung»
      1b.
      [ohne Plural] Regierungssystem, in dem die vom Volk gewählten Vertreter die Herrschaft ausüben
      «eine parlamentarische Demokratie»

      In was leben wird dann? Bitte um Aufklärung wenn Sie sagen wir leben in keiner Demokratie oder waren Sie nicht wählen gegangen? Dürfen Sie ihre Meinung nicht äussern? Da frag ich mich aber wirklich wo Sie leben. Weissrussland?

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