«D'Wohnig» muss 17 modernen Wohnungen weichen

Adieu, «Nagelhaus»: Zug verliert ein Stück Identität

Das Wohnhaus beim Bahnhof Zug wird diese Tage abgerissen. Rundherum die wuchtigen Neubauten Grafenau Süd, die es förmlich erdrücken.

(Bild: mbe.)

Der Abriss ist im Gang: Momentan verschwindet das Haus beim Bahnhof Zug, wo sich einst die Zwischennutzung «D’Wohnig» befand. Die Liegenschaft hatte ein bewegtes Leben und steht für ein anderes Zug. Bis 2019 wird hier nun ein angepassteres Wohn- und Geschäftshaus gebaut.

Altes macht Neuem Platz. Doch das kleine Wohnhaus an der Albisstrasse 3, das von den viel höheren und wuchtigeren Grafenau-Neubauten umzingelt war und einfach nicht weichen wollte, erlangte am Schluss seines Lebens noch eine gewisse Berühmtheit.

«Die Zeit» verewigte das Häuschen 2012 im Artikel «Das Nagelhaus» (siehe Kasten). Der Schweizer Journalist, der den Beitrag für die deutsche Wochenzeitung schrieb, kam auf den Vergleich mit dem berühmten Haus in China. Der haut zwar nicht ganz hin, aber er zieht.

Zur Erinnerung: In der chinesischen Megacity Chongqing leistete eine Familie mehrere Jahre lang erbitterten Widerstand gegen den Bau eines Shoppingcenters. Darauf kappten die Baufirmen den Strom- und Wasseranschluss und hoben eine zehn Meter tiefe Grube rund um das kleine Haus aus. Die Story ging um die Welt, und mit ihr der Ausdruck «Nagelhaus»; ein Haus wie ein Nagel, der in einem Stück Holz steckt und sich nicht einschlagen lässt.

 

Das letzte Stündchen des Wohnhauses von 1887 hat geschlagen.

Das letzte Stündchen des Wohnhauses von 1887 hat geschlagen.

(Bild: wia.)

Doch dieses Haus in Zug rebellierte nicht (zentralplus berichtete). Die Besitzer des Nagelhauses leisteten auch keinen Widerstand gegen einen mächtigen Gegner. Sie sind es selbst, die bestimmen und gestalten. Die Besitzerin AVIK AG plant schon seit drei Jahren ein Wohn- und Geschäftshaus, das sich den umliegenden bestehenden Gebäuden in Höhe und Aussehen anpasst. Dies aufgrund des rechtsgültigen Bebauungsplans Grafenau Süd.

«Wir haben das OK für den Baustart im März erhalten.»
Lea Rickenbacher, Architektin und Mitinhaberin

Mit Haus familiär verbunden

Die heutige Besitzerin und Zuger Architektin Lea Rickenbacher, die im Namen der AVIK AG das Neubauprojekt entworfen hat, ist ausserdem mit dem heutigen Haus emotional verbunden. «Meine Mutter ist dort aufgewachsen», sagt Richenbacher. Deren Name soll nicht in die Zeitung. Kristina Konrad, ihre Tante, habe zeitweise ebenfalls dort gewohnt. Und Rickenbacher war auch persönlich bekannt mit den Zwischennutzern, doch davon später mehr.

Laut Lea Rickenbacher wird das Haus in diesen Wochen Stück für Stück rückgebaut, wie man so schön sagt. Eine spektakuläre Sprengung oder Ähnliches wird es nicht geben. «Wir haben das OK für den Baustart im März erhalten», sagt die Architektin. 17 neue Mietwohnungen sollen entstehen, dazu Gewerberäume im Erdgeschoss und im Obergeschoss. Wer ab 2019 reinkommt, ist noch nicht bestimmt.

So soll es zukünftig an der Albisstrasse in Zug aussehen.

So soll es zukünftig an der Albisstrasse in Zug aussehen.

(Bild: zvg)

Einsprachen von Nachbarn hätten das Projekt um ein halbes Jahr verzögert. Es sei um kleinere Sachen wie das Aussehen der Balkone sowie ein Wegrecht gegangen. Die Einsprachen wurden inzwischen abgelehnt.

Zwischennutzungen bis September 2016

Diese Verzögerung ermöglichte viel Kreativität in Zug: Zwei bis drei verschiedene Zwischennutzungen, je nachdem, was man dazuzählt, hat das Haus in den letzten zweieinhalb Jahren erlebt. Und es war ein unvergessliches Erlebnis für die Beteiligten: Denn das Haus war innen viel schöner als von aussen. Alter Parkettboden, hohe Decken, Täfer und schöne alte Küchen zeugten von einer Zeit, als Architektur sich noch an Ästhetik orientierte und nicht an Rendite und Quadratmeterpreisen. Allerlei nostalgische Objekte zeugten von alten Zeiten. Gerne erwähnt werden die kleinen Dosen für Mehl, Reis und Zucker, die natürlich noch neue Besitzer fanden.

Blick ins Innere der Wohnung im Erdgeschoss, die als «d'Wohnig» zwischengenutzt wurde.

Blick ins Innere der Wohnung im Erdgeschoss, die als «d’Wohnig» zwischengenutzt wurde.

(Bild: zVg)

Kunstprojekte, Hühner, Qui Gong, Kocherlebnisse

Während der von der Stadt Zug unterstützten Kunstausstellung «Ohne Rast» war die Wohnung im Erdgeschoss des Hauses Albisstrasse 3 ein Refugium für «Getriebene und Vertriebene». Im Rahmen eines Kunstprojekts verzichteten Besucher darin auf jegliche Form von elektronischen Kommunikationsgeräten und Kameras. Man durfte einfach «sii» in der schönen alten Wohnung.

Wohnhaus von Landis und Konrads

Das Haus mit der Adresse Albisstrasse 3 hat rund 130 Jahre auf dem Buckel gehabt. Es war einst das Wohnhaus und die Werkstätte von Johann Landis, der die Landis Bau AG gründete. Landis Bau bekam 1949 einen neuen Teilhaber namens Viktor Konrad, dessen Familie das Haus später bewohnte. Die Liegenschaft sei zeitweise ein «Nest des Widerstandes» gewesen, schrieb Journalist Michael Soukup für den Artikel «Das Nagelhaus» (Die Zeit, 2012). Ein Haschladen war mal dort. Zeitweise wohnte auch der junge Jo Lang im Haus zur Untermiete. Er kannte Kristina Konrad, die später nach Nicaragua auswanderte und die sandinistische Revolution filmte. Deren Mutter, Annemarie Konrad, schmiss den späteren grünen Nationalrat laut Soukup raus, weil er Flugblätter an Arbeiter der Landis & Gyr verteilte. Die mittlerweile 94-jährige Annemarie Konrad war es auch, die das Haus vor fünf Jahren an ihre Enkelin Lea Rickenbacher überschrieb.

Es folgte die Zwischennutzung «D’Wohnig» von Patrick Bützer und seinen Kolleginnen und Kollegen. Bützer ist Teil des Vereins «Netzwerk Paettern», der die Wohnung während eines Jahres von Ende 2015 bis September 2016 verwaltete und für Projekte vergab. Vinyasa Yoga, Qi Gong, Kochen mit Unbekannten, Kafistube, die Projekte und Ideen waren mannigfaltig und das Leben vibrierte.

Eine kleine Episode war das Projekt des Künstlerduos Hoffnung und Kiwi, welche die Wohnung einige Wochen bespielten und zum Beispiel ein Huhn darin hielten. All das ist jetzt endgültig vorbei. Leere tote Fenster zeugen vom baldigen Ende des Hauses.

«Ich hoffe, dass es in Zug auch in Zukunft solche Möglichkeiten geben wird.»
Mercedes Lämmler, Stelle für Kultur Zug

Kulturschaffende bedauern das Ende

Mercedes Lämmler 
von der städtischen Stelle für Kultur bedauert das Ende. «Das Haus war für das Zuger Kulturleben ein wirklich toller und wichtiger Ort und ich hoffe, dass es in Zug auch in Zukunft solche Möglichkeiten geben wird.»

Die kulturelle Nutzung sei dank privater Initiative möglich geworden. «Es war ein schönes Zusammenspiel zwischen privatem Eigentümer und der städtischen Kulturförderung. Insbesondere dank dem grossen Engagement des Vereins Netzwerk Paettern wurde das Haus ein Jahr lang belebt und mit Kultur gefüllt», zieht Lämmler ein Fazit.

Schöner Parkettboden statt billigem Laminat: Die Wohnungen im Haus aus dem 19. Jahrhundert.

Schöner Parkettboden statt billigem Laminat: Die Wohnungen im Haus aus dem 19. Jahrhundert.

(Bild: zVg)

Hausbesitzern gefiel die Zwischennutzung

Auch von Seiten der Besitzer verlief die Zwischennutzung positiv. Architektin Lea Rickenbacher kannte die Zwischennutzer. «Mit Patrick Bützer habe ich die Kantonsschule besucht.» Insofern war der Graben zwischen Besitzern und Zwischennutzern, falls man von einem solchen sprechen will, sehr klein oder nicht existent. Man kannte sich.

«Die Erfahrung mit der Zwischennutzung war sehr positiv. Es war ein Geben und Nehmen.»
Lea Rickenbacher

«Die Erfahrung mit der Zwischennutzung war sehr positiv. Es war ein Geben und Nehmen», sagt die Mitinhaberin des Hauses. «Grundsätzlich würde ich dem wieder zustimmen.»

Also wieder nichts gewesen mit der Analogie zum «Nagelhaus» oder mit den oft wilden Geschichten von besetzten Häusern in anderen Schweizer Städten. Dafür eine echte kleine zugerische Geschichte, die viel Raum für Spekulationen offen lässt.

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