Wo sind Zugs Randständige?

Abseits der heilen Welt

Das Podium 41 ist die Drehscheibe für Randständige in Zug. (Bild: GGZ)

Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, fallen in Zug nicht auf. Viele von ihnen wandern über kurz oder lang nach Zürich oder Luzern ab, denn in Zug zahlbaren Wohnraum zu finden, ist für Randständige besonders schwierig. Aber wo sind die, die bleiben?

Es gibt sie, die Alkoholiker in Zug. Die Drogenabhängigen, die psychisch Kranken, die Asylbewerber, die allesamt nicht ins System passen. Nicht genug leisten können, um in der Privatwirtschaft zu funktionieren. Der Kanton Zug ist klein, aufgeräumt, wirtschaftlich stark. Die Gesellschaft zu einem grossen Teil gutverdienend, leistungsfähig, tüchtig. Doch was, wenn man den Rand dieser Gesellschaft betrachtet? Dort sind die Menschen, die durchs Raster fallen, die krank, süchtig, arbeitsunfähig sind. Was in Zürich und Luzern eine offensichtliche Szene ist, ist in Zug versteckt.

Das Podium als Deutschschule

Vor dem Podium 41 nahe des Zuger Hafens ist immer was los, auch wenn es, wie an diesem Abend, stark windet und kalt ist. Es sind vor allem Männer, die sich treffen, Schweizer und Ausländer. Aufmerksamkeit auf sich zu lenken ist einfach, als Frau sowieso. Die Hürde, jemanden anzusprechen, ist hier klein. Wer an einem kalten Dezemberabend hier draussen sitzt, scheint als gleichwertig aufgenommen zu werden. Kaum bin ich da, fragt ein junger Asylbewerber aus Syrien, ob er mir etwas zu trinken holen soll. Er ist seit sieben Monaten in der Schweiz, spricht gebrochenes Deutsch. Das Podium 41 ist seine Deutschschule. Hier findet er Anschluss.

Ein Schweizer erzählt, dass er hierher kommt, da es angenehmer sei, hier zu kiffen als am See vorne oder in der Stadt. «Dort gucken sie blöd», erklärt er. Der Schweizer sagt, er arbeite zwar, komme aber abends gerne wegen der Gesellschaft her. «Hier fühle ich mich wohl, zwischen all diesen Leuten. Viel mehr, als ich mich in einem schicken Grandcafe je wohlfühlen würde.» Warum wisse er auch nicht. Hier scheint nicht gewertet zu werden. Das hat etwas Tröstliches. Ein Schweizer um die 60 Jahre taucht auf. Er hat offensichtlich ein Alkoholproblem und kommt her, weil er zuhause einsam ist. Er gibt sich einverstanden damit, meine Fragen zu beantworten, schweift jedoch immer wieder ab, ohne wirklich Auskunft zu geben. Ein weiterer Mann, gross, breit, um die dreissig, erzählt gereizt, wie ihm heute beim Verkauf der «Gasseziitig» in Luzern der gute Platz geklaut wurde. «Ich musste nur schnell auf die Toilette und schon hatte mir der andere meinen Platz weggenommen. Trotzdem sei es ein guter Tag gewesen. Etwa 230 Franken habe er verdient. Und schenkt mir eine seiner übriggebliebenen Zeitungen.

Obdachlose in Zug?

Das Podium 41 ist die Drehscheibe für Randständige in Zug. Hier bekommt man im Sommer mittags für fünf Franken etwas Warmes zu Essen. Im Winter ist die Mittagsbeiz auf dem Yellow-Schiff. Es gibt im Podium 41 keinen Konsumzwang, Wärme und Gesellschaft sind gratis. An den Tischen vor dem Haus wird das Kiffen toleriert. Laut den Gästen kommen auch Leute von Uri und Zürich hierher.

In Zug ist die Quote der Sozialhilfebezüger mit 1,7 Prozent tief. Der Schweizer Durchschnitt liegt bei 3,1 Prozent. Grund dafür sei laut Sandra Heine von der Zuger Gassenarbeit, dass Sozialhilfebezüger auf grössere Städte wie Luzern oder Zürich ausweichen, da in Zug insbesondere die Wohnmöglichkeiten sehr eingeschränkt seien. Aber gibt es denn Obdachlose in Zug? 

«Offiziell nicht, aber es gibt ein paar wenige Menschen, die schlafen während des Winters in Tiefgaragen oder Wartehäuschen, viele schlüpfen eine Nacht hier, eine Nacht da unter», sagt Heine. Sie ist überzeugt: Das Bedürfnis nach einer Notschlafstelle wäre durchwegs da.

Das Zuger Sozialamt sei laut eigenen Angaben noch nie mit einem solchen Anliegen konfrontiert worden, weswegen auch nie eine Bedarfserhebung durchgeführt worden sei. «Es gibt eher Signale, dass es im Bereich ‹Betreutes Wohnen› einen zusätzlichen Bedarf gibt, insbesondere bei jungen Erwachsenen», sagt Jris Bischof, Leiterin des Sozialamtes. Diesem Problem werde nun vorerst mit zusätzlichen Jugendwohnungen begegnet, man wolle die Entwicklung aber weiter beobachten.

Bei der Gassenarbeit gibt es eine Liste, wo günstig Zimmer gemietet werden können. Wobei «günstig» der falsche Begriff ist. Da stehen Zimmer drauf, die 1’600 Franken kosten pro Monat. Häufig sind es Personalräume in Restaurants oder Hotels, «und wenn ich anrufe, heisst es zwar, die Zimmer seien frei. Doch sobald ich erkläre, dass ein Randständiger sie mieten möchte, werden plötzlich viel höhere Preise genannt.»

Das Wohnheim ist stets voll

Abhängige, die psychische Probleme haben, finden im Wohnheim Eichholz ein Zuhause. Es handelt sich dabei um das alte Männerheim in Steinhausen, in dem heute Männer und Frauen wohnen, welche aus psychischen Gründen Probleme haben, sich in der Gesellschaft einzugliedern. «Bei uns haben diese Leute Begleitung, mehr Kontrolle und Struktur. Wären sie alleine in ihrer Wohnung, würden sie vielleicht mehr trinken oder nähmen ihre Medikamente nicht», sagt die Institutionsleiterin Franziska Wirz. Die 39 Plätze seien immer belegt, erklärt sie weiter, insbesondere, weil man im Wohnheim Eichholz Menschen mit einer Doppeldiagnose, also Sucht und psychische Beeinträchtigung, aufnehme.

Das ist nicht überall so. Die Stiftung Phönix hat in Zug ebenfalls Zimmer für psychisch Kranke, nimmt dort bewusst keine Drogenabhängigen an. Die Bewohner des Wohnheims Eichholz bleiben meist längerfristig. «Zwischen zwei und 35 Jahren», sagt Wirz. Kommt denn je wieder jemand raus aus dem Wohnheim? Es gebe schon zwischendurch Austritte, erklärt Wirz, «doch die Wohnungssituation in Zug ist schwierig für diese Menschen.»

Auf dem Zugerberg gegen die Sucht ankämpfen

Drogenabhängigen steht zudem das «Lüssihaus» zur Verfügung. Es handelt sich dabei um eine Suchthilfe-Institution des Vereins «Drogen Forum Zug». Sieben Personen bietet das Haus betreute Wohnplätze mit Tagesstruktur. Aufgenommen werden auch Menschen, die wegen ihrer Erkrankung immer wieder Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken benötigen. Ziel eines solchen Aufenthaltes ist, dass Drogenabhängige wieder selbständig wohnen und einer Beschäftigung nachgehen können.

Auf dem Zugerberg betreibt die gemeinützige Gesellschaft Zug zudem die «Sennhütte», eine Institution zur therapeutischen Behandlung und Rehabilitation. Dort kommen jedoch nur Abhängige hin, die den Entzug bereits hinter sich haben und gewillt sind, ihre Abhängigkeit zu überwinden. Und die anderen? Die bleiben unauffällig. Oder sie reisen ab, nach Luzern oder Zürich.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von knorli1977
    knorli1977, 28.12.2014, 17:25 Uhr

    Ich bin Suchtpatient(Politoxikoman) und lebe imLH in Baar.Aber als betrofener muss ich sagen,von den Ämter und öfentlichenstellen,kan man keine soforthilfe erwarten.Sei es Finanziell oder Menschlich.Hatte bisher sehr schlechte Erfahrungen gemacht.Voralem durch das Sozialamt meiner Wohngemeinde.Am meisten Hilfe erhielt ich bisher nur durch die Gassenarbeit Zug,durch Sandra und Ricarda. Sie sind auch immer unter uns und sind da bei Problemen.Daher noch ein dickes Dankeschön an die Gassenarbeit Zug.

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