Eine bröckelnde Legende feiert

100 Jahre Kino Moderne – der sterbende Kino-Schwan der Stadt Luzern

So präsentierte sich das Kino Moderne im Jahr 1971. Inklusive eines kleinen Cafés, rechts. (Bild: Hans Eggermann/ ©Stiftung Fotodok)

Corona hat viele Geburtstagsfeiern vermiest. Eine davon ist das 100-jährige Jubiläum des ältesten Kinos der Stadt Luzern, des Kinos Moderne. Grund genug, einen Blick in die bewegte Vergangenheit des Lichtspielhauses zu werfen. Eine kurze Chronik über Bibelfilme, «Könige» und Emil Steinberger.

Zentral an der Pilatusstrasse gelegen, zeigt das Kino Moderne – wenn denn nicht gerade eine Pandemie wütet – eine Bandbreite von Mainstreamfilmen im Originalton oder Opernübertragungen. Es ist eines der letzten Einsaal-Kinos der Stadt Luzern und das einzige, das noch mit einem Balkon und geschwungener Foyer-Treppe an den Glanz früherer Tage erinnert.

Anlässlich des 100-jährigen Geburtstags wirft hier ein ehemaliger Mitarbeiter des ältesten noch stehenden Kinos der Stadt Luzern einen Blick zurück auf eine Zeit, als die Bilder gerade laufen lernten.

Prolog

Spulen wir den Film zurück. Das Kino Moderne mag heute vielleicht das älteste Kino der Stadt sein, aber es war mitnichten das erste. Am Anfang stand der transportierbare Kinematograf, der erste Filmprojektor, der im Auftrag der Familie Lumière erbaut wurde und bei Wanderausstellungen und Messen zum Einsatz kam.

Das Wunder der bewegten Bilder stiess auch in Luzern auf Begeisterung. So sehr, dass verschiedene Gesuchsteller im Jahr 1907 Anträge an den Stadtrat stellten, die Konzession für einen ständigen Kinematografen zu erhalten.

Bis der zunächst skeptische Stadtrat und Regierungsrat einlenkt, dauert es noch bis zum Frühjahr 1908. Dann eröffnet der Kinematograf Pathé an der Pilatusstrasse 34 seine Türen. Das erste Kino der Stadt Luzern. Betrieben wurde dieses von den drei italienischen Brüdern Morandini, die sich für ihre Unternehmung einem grossen finanziellen Risiko aussetzen mussten – aber letztlich zu ihrem Happy End kamen.

A Star is Born

Nachdem im Laufe der kommenden Jahre Kinos wie Pilze aus dem Boden spriessen – bis 1920 gibt es mit dem Flora, Apollo, Royale, Renoma, Lichtspiele zum Gütsch und Viktoria eine ganze Vielzahl von kurz- und langlebigen Betrieben – richten wir die Kamera auf einen eher unscheinbaren Darsteller: Das Kino Viktoria im Kellerhof an der Pilatusstrasse 21 – dem Standort des heutigen Moderne.

Auch hier haben die Morandinis im Kampf um Zuschauer ein Kino eingerichtet, das 1912 seine Türen öffnet. Von wem und wie das Kino konkret geführt wurde, ist unklar. Fest steht aber, dass die Gebrüder im Jahr 1920 Umbauarbeiten veranlassten und das Kino am Stephanstag mit dem festlich klingenden Namen «Grand Cinéma Moderne» eröffneten.

Der Hauptdarsteller betritt die Szene

Am 26. Dezember 1920 um 2 Uhr Nachmittags wurden die Türen erstmals geöffnet für das «grösste, modernste Kino am Platze», wie es in alter Sprache in einer Zeitungsannonce heisst. Geboten werden «vorzüglich geheizte Räume» und eines «der grössten Meisterwerke des Jahres 1920».

Als erster Film flimmerte nämlich das italienische Bibelepos «Joseph und seine Brüder» über die Leinwand des Grand Cinéma Moderne. Oder wie es in der Anzeige holprig heisst: «Ein wunderbarer Kunstfilm aller Zeiten, für welchen kein Geldopfer gescheut wurde.»

So sah der Saal des Kino Moderne bis zum Jahre 1942 aus.
Bis zum ersten grossen Umbau präsentierte sich das Grand Cinema Moderne als edles Salonkino mit Seitenbalkonen. (Hans Eggermann/ ©Stiftung Fotodok) (Bild: (Hans Eggermann/ ©Stiftung Fotodok))

Mit diesem, heute in Vergessenheit geratenen Stummfilm (die «vorzügliche Musikbegleitung» wurde vom Künstler-Trio Kapellmeister E. Kabisch beigesteuert) begann die hundertjährige Geschichte eines Kinos, das gekommen war, um zu bleiben und viele seiner Artgenossen überlebte.

The Grand Opening

Nur: Ganz offiziell war die Eröffnung im Dezember 1920 noch nicht. Die Polizeidirektion des Kantons Luzern war erst am 10. März 1921 mit dem Betrieb des Grand Cinéma Moderne einverstanden. Die Betriebsöffnung sei bis dahin «provisorisch» gestattet gewesen.

Acht Jahre fungierten die Gebrüder Morandini als Direktoren des Moderne, bevor sie das Kino verliessen und die Leitung an Joseph Keller, einen Bauunternehmer der Gebrüder Keller AG, übergaben. Weit gingen die Morandinis jedoch nicht – sie gründeten das Kino Capitol am Bundesplatz.

Wanderjahre eines Kinos

1942 wurden die ersten Umbauten nötig. Die romantisch-edle Innenausstattung im Saal mit Säulen und geschwungener Decke verschwindet. Bis zu einem weiteren Umbau 1954 geht die Leitung des Kinos durch mehrere Hände. Keller aber bleibt dem Moderne bis 1959 treu.

Vorbei mit der Romantik. Das Moderne hat 1954 eine breitere Leinwand bekommen und dafür die Seitenbalkone eingebüsst. (Hans Eggermann/ ©Stiftung Fotodok)

Der zweite Umbau erfolgt, um damit mit der sich stetig entwickelnden Kinotechnik Schritt zu halten. Erste 3D-Versuche, stereophoner Ton und vor allem das Breitbildformat Cinemascope sind die neuen Wundermittel, die dem Kino einen Vorteil gegenüber der «gewaltig drohenden Konkurrenz des Fernsehers» verschaffen soll, wie Joe Niederberger in einem Bericht des «Vaterlands» zur Neueröffnung schrieb.

Dank dem Umbau sei das Kino seinem Namen getreu modern geworden. Auch hat man die Seitenbalkone weggerissen, dafür den hinteren Balkonbereich ausgeweitet und radial bestuhlt.

Filmspass fürs Wochenende

Unter der Leitung des studierten Berner Musikers Max Frikart begann das Moderne mit der Einführung von Wochenendprogrammen, die man zu Beginn für besondere Filmanlässe und Retrospektiven nutzte und erst später zum normalen Spielprogramm gehörten. Heute erscheint ein Betrieb ohne Wochenenden undenkbar, gehören die Wochenenden doch zu den umsatzstärksten Spieltagen. Frikart nutzte das Foyer des Moderne gerne auch für Film- und Kunstausstellungen.

Die letzte Vorstellung unter Frikarts Leitung erfolgt am 31. März 1968 mit Jerzy Skolimowskis Drama «Le départ». Sein Nachfolger war ein Mann, der aus der heutigen Schweizer Kulturszene nicht mehr wegzudenken ist: der Luzerner Kabarettist Emil Steinberger.

Emil übernimmt

Steinberger ist bei seinem Antritt als Leiter des Moderne gerade mal 35 Jahre alt. Er hatte sich bereits als Leiter des Kleintheaters verdient gemacht und war für die Gebrüder Keller AG mit seinem jugendlichen Elan und Unternehmergeist die passende Nachfolge für Frikart. Er weitete das Wochenendprogramm vom Samstagabend auch auf Freitag- und Sonntagabend aus und brachte dem Publikum ausländisches Filmschaffen ebenso näher wie die Werke von Walt Disney.

Das Foyer im Jahr 1971. Die alte Kasse wird heute als Büro genutzt, die Garderobe rechts im Dunkeln dient heute als Lagerraum. (Bild: Hans Eggermann/ ©Stiftung Fotodok)

1971 kommt es zu einem weiteren Umbau. Nebst neuer Farbgebung ist es vor allem die Leuchtreklame an der Gebäudefassade, die den laufenden Film annoncierte, die als Blickfang dient – und bis 2020 erhalten blieb.

Emil gründete 1973 mit dem Atelier ein eigenes Kino an der Theaterstrasse, blieb dem Moderne aber noch bis 1980 treu.

Emil Steinberger leitete das Moderne rund 12 Jahre lang. (Bild: Nils Fisch)

Auftritt: «Kinokönig»

Mit Georg Egger tritt 1986 der nächste grosse Player auf die Bühne. Der oft als «Kinokönig» benannte Unternehmer baute sich über die Jahre hinweg ein kleines Kinoimperium auf, besass die Kinos Capitol, Broadway, Piccolo, Moderne, Rex und später auch das Limelight.

Als 2000 mit dem Maxx Filmpalast in Emmenbrücke das erste Multiplex-Kino der Deutschschweiz öffnet, kriegen das die kleineren Kinos zu spüren. Eggers Beschwerdeversuch gegen das Maxx blitzte vor dem Verwaltungsgericht ab. Statt jedoch weiter gegen den neuen Platzhirsch anzugehen, verbündete er sich mit ihm und im April 2001 kam es zu einem Zusammenschluss zwischen dem Maxx Filmpalast und Eggers L-Kino-Gruppe.

Der einstige «Kinokönig» von Luzern: Georg Egger im Jahr 1996. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Egger bleibt bis Ende 2007 auf seinem Kino-Thron, bis er den Entschluss fasst, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen und sein Reich nach Zürich zu verkaufen.

Zürich, übernehmen Sie!

2008 übernimmt die Zürcher Kitag – Kino Theater AG – schliesslich Eggers Imperium. Die Kitag gehört neben der Pathé zu den grossen Playern in der Schweizer Kinolandschaft. Aber während Multiplex-Kinos immer beliebter und lukrativer werden, verkommen Einsaalkinos wie das Moderne zu bedingt rentablen Préstigeobjekten.

Zwar gibt man dem Moderne innen einen neuen Anstrich, unternimmt aber keine weiteren Investitionen. «Seither haben wir keine grösseren baulichen Veränderungen vorgenommen», bestätigt Olivia Willi von der Blue-Cinemas-Pressestelle.

Der Charme bröckelt – aber bleibt

Die fehlenden Investitionen machen sich auch allmählich bemerkbar. Viele Sitzpolster sind durchgesessen, der Überzug verblasst oder aufgerissen, die Klappsitze knarren und wackeln. Und trotzdem: Der Charme bleibt. Auch hinter den Kulissen. In der Projektionskabine zeugen alte Filmposter von den Lieblingen der Operateure, im kleinen, engen Büro hinter der ehemaligen Kasse hängen Grusskarten von ehemaligen Mitarbeitern.

Während der folgenden Jahre wird das Moderne nebst dem Tagesprogramm hauptsächlich genutzt, um Sondervorstellungen wie Ladies Nights, Bollywood-Abende oder Kinderprogramme zu zeigen – bis auch diese ins Maxx nach Emmenbrücke ausgelagert werden – oder ganz wegfallen.

2012: A Digital Odyssey

Den Sprung ins digitale Zeitalter schafft aber auch das Moderne. Als 2012 die Digitalisierung der Kinos voranschreitet – statt auf teuer kopierte 35-mm-Filmrollen zu setzen, sollen nun digitale Projektoren und Serveranlagen für eine einfachere und auf weite Sicht günstigere Handhabung sorgen – steht das Kino Moderne nach dem Maxx an zweiter Stelle und wird noch vor dem Capitol umgerüstet.

Somit wird die Projektionskabine des Kino Moderne im Frühjahr 2012 «ausgemistet» und auf den neusten Stand der Technik gebracht – womit aber auch die nostalgische Magie des Kinos einiges an Glanz verliert.

Das Kino wurde immer wieder für Premieren genutzt. Hier für den Schweizer Mystery-Thriller «Tyfelstei» im Jahr 2014. (Bild: H. Notter)

Wo in der Projektionskabine einst 35-mm-Filmband über Spulen durch den ganzen Raum geflitzt ist, wo es gerattert und nach Staub gerochen hat, steht heute ein rechteckiger Projektor, ein Bedienfeld, ein Computer und eine Serveranlage. Die Filme wurden bis vor rund zwei Jahren mehrheitlich als Festplatte geliefert, auf den Server kopiert und so gespielt. Der Beruf des Operateurs reduzierte sich zunehmend aufs Knöpfedrücken am Bildschirm.

Mittlerweile sind auch die Festplatten eine aussterbende Spezies. «Wir kriegen die meisten Filme direkt auf den Server kopiert», erzählt ein Mitarbeiter. Das Knöpfedrücken geht also weiter – bis auch das in naher Zukunft vermutlich durch Automation übernommen wird.

Zurück in die Zukunft

Wir nähern uns der Gegenwart. 2020, während der Coronakrise scheint etwas zu gehen. Die charmante, aber leicht in die Jahre gekommene Aushangfläche verschwindet praktisch über Nacht und macht einer uni-weissen Fläche Platz, auf der nun nicht mehr die Filmtitel stehen werden, sondern ein schlichtes «blue Cinema Moderne» und das Swisscom-Logo, das klar zeigt, wem das Kino nun gehört.

Zuletzt stand das Kino Moderne unter der Leitung der Swisscom.
So präsentiert sich das Moderne heute. (Bild: cbu) (Bild: cbu)

Die Swisscom – bis anhin Mitaktionärin der Kitag AG – gab im September die Übernahme bekannt und fasste ihr gesamtes Unterhaltungsangebot unter dem Namen «blue» zusammen (zentralplus berichtete).

Epilog

Ob und wie der Betrieb im altehrwürdigen Moderne nach der Pandemie weitergehen wird, muss sich erst noch zeigen. Auf eine Anfrage seitens zentralplus konnte die Blue-Pressestelle keine Auskünfte geben.

Fest steht, dass es Kinos nach der Öffnung noch schwerer haben dürften als vor der Corona-Krise. Gerade auch, weil Streaming-Dienste während des Lockdowns einen Boom erlebt haben und selbst grosse Studios kommende Blockbuster zeitgleich im Kino wie auch ihren Plattformen anbieten – oder gar exklusiv auf dem heimischen Bildschirm (zentralplus berichtete).

Last Man Standing

Bleibt also abzuwarten, ob das 100-Jahr-Jubiläum das letzte sein wird und das «Grand Cinéma Moderne» schliesslich doch neben Artgenossen aus vergangenen Tagen wie dem Flora, ITA, Apollo, Limelight, Broadway, ABC, Rex und Madeleine zu Grabe getragen wird – oder ob das Kino auch diese Krise meistern kann.

Es wäre nicht das erste Mal, dass sich der vermeintlich tote Held erhebt, um dem Zuschauer ein Happy End zu bescheren …

Viele der Informationen zu der Geschichte des Kino Moderne stammen aus dem Buch «Geschichte des Luzerner Kinos» von Felix Bucher aus dem Jahr 1971, das anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums verfasst wurde.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von H. Muster
    H. Muster, 08.03.2021, 12:44 Uhr

    Ist dieses Haus nicht denkmalgeschützt? Falls ja, wieso durfte je überhaupt eine solche weisse Fassadenverkleidung angebracht werden?

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  • Profilfoto von Ursi Niklaus
    Ursi Niklaus, 07.03.2021, 10:33 Uhr

    Sehr gut geschrieben. Als Luzernerin auch spannend, die Geschichte der Stadtkinos wieder einmal aufzufrischen.

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