Luzerner Dok-Film erklärt es

Warum Frauen kein Stimmrecht wollten

Mit ihrem Lädeli war sie die Seele des Dorfes Hundwil, das kantonale Frauenstimmrecht wollte sie aber nicht: Klara Knecht. (Bild: Langjahr-Film)

Landesweit erhielten die Frauen erst vor 50 Jahren das Stimmrecht – das versteht heutzutage kein Mensch mehr. Der Filmemacher Erich Langjahr hat mit seinem Streifen «Männer im Ring» aber ein Zeitdokument geschaffen, das Einblick in ein verändertes Rollenverständnis gibt.

«Ich habe einfach das Gefühl, dass man über Politik zuerst in der Familie reden sollte», sagt Anni Schüle kurz vor der letzten Männerlandsgemeinde in Appenzell Ausserrhoden. Sie führt das Zepter im Restaurant Harmonie, das direkt am Landsgemeindering in Hundwil liegt. Eine resolute junge Frau mit kurzen Haaren tritt aus der Küche und entgegnet: «Wenn man in der Familie miteinander reden kann, dann kann man auch in der Politik miteinander reden.»

Dies ist eine Schlüsselszene aus Erich Langjahrs Dokumentarfilm «Männer im Ring», den der in Zug geborene und in Root wohnhafte Filmemacher über die Landsgemeinde 1989 gedreht hat. Damals gestanden die Ausserrhoder Männer den Frauen das Stimmrecht auf kantonaler Ebene zu. Der Film wurde heuer digital restauriert und gelangt im Rahmen des Jubiläums zu 50 Jahren Frauenstimmrecht als Reprise in die Deutschschweizer Kinos.

Warum erst so spät?

Was damals diskutiert wurde, ist heute «selbstverständlich», wie die Luzerner Kantonsratspräsidentin Ylfete Fanaj (SP) an der Jubiläumsfeier des Luzerner Vereins 50 Jahre Frauenstimmrecht im Oktober im Hotel Schweizerhof sagte. Auch für ältere Semester ist kaum mehr nachvollziehbar, warum die Frauen in der Schweiz das Stimmrecht auf Bundesebene – und in Luzern und Zug auch auf kantonaler Ebene – erst vor 50 Jahren erhalten haben und nicht schon lange Zeit zuvor.

Hier hilft Langjahrs Dok-Film, der zwar 19 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene gedreht wurde, aber die Motivation der Stimmberechtigten nachzeichnet. Schliesslich kommen darin mehrere Frauen zu Wort, die das Stimmrecht gar nicht wollten.

Druck von aussen

Zum Hintergrund: 1989 hatten die Frauen nur noch in den beiden Appenzell kein Stimmrecht auf kantonaler Ebene. Beide Halbkantone führten Landsgemeinden durch – ebenso wie damals Glarus, Obwalden und Nidwalden, die aber den Frauen in den 1970er-Jahren den Zutritt zum Ring ermöglicht hatten.

Die Ausserrhoder hatten an der Landsgemeinde bereits fünf Mal das Frauenstimmrecht verworfen, aber ihre Verweigerungshaltung schien nicht länger opportun. Viele wollten sich vom Rest der Nation nicht länger als ewiggestrige Hinterwäldler verhöhnen lassen. Zum Showdown kam es 1989 an einer eindrücklichen Landsgemeinde. Eine riesige Menge bevölkerte das weite Rund in Hundwil – oder verfolgte die Entscheidung als Zaungäste.

Teilhabe an der Wirtschaft

Erich Langjahr nähert sich dem Ereignis an, indem er die Anwohner des Rings in Hundwil porträtiert: Die Metzger und Bäcker, die Beizer und die Lädelibesitzerinnen, die sich auf den grossen Tag vorbereitet haben. Sie vermieten Sitzplätze in den Zimmern ihrer Häuser an die Touristen, die das Spektakel aus erhöhter Position mitverfolgen.

Langjahr zeigt neben den Männern auch Frauen, die in verantwortlicher Position in ihren Betrieben mitarbeiten. Zwei davon sind überdies vom Strukturwandel betroffen. Das Verschwinden der Tante-Emma-Läden betrifft auch den Lebensmittelladen und die Mercerie des Dorfes – die Inhaberinnen bereiten sich auf den Ausverkauf vor.

Opfer des Strukturwandels: Antoinette Müller, die in Hundwil eine Mercerie führte und früher auch Medikamente vertrieb. (Bild: Langjahr-Film)

Politik als Folklore

Neben der Beobachtung des lokalen Mikrokosmos interessiert sich Langjahr für die Meinung der Akteure in der Stimmrechtsfrage. Die Beizerin findet, die politische Haltung gehöre zuerst in der Partnerschaft ausdiskutiert und festgelegt. Etwas Ähnliches wird von einem männlichen Anwohner kolportiert. Der meint, nach Einführung des Frauenstimmrechts brauche er nicht mehr selber die Landsgemeinde zu besuchen – er könne dann auch seine Gattin hinschicken.

«Der Zugang zu Bildung ist, was Frauen selbstständig macht.»

Brigitte Mürner-Gilli (CVP), alt Regierungsrätin, Meggen

Klara Knecht, die Inhaberin der Dorfladens, glaubt, mit den Frauen als Teilnehmerinnen sei die Landsgemeinde wohl nicht mehr das Gleiche. Sie vertritt das Bild der Landsgemeinde als folkloristisches Ereignis, das zuvor von der politischen Propaganda so gezeichnet wurde.

Mürner: «Konnte das nie begreifen»

Gegner des Frauenstimmrechts argumentierten, die Landsgemeinde gleiche einem Vatertag. Für Frauen gebe es schliesslich schon einen Muttertag und ausserdem könnten sie ja auf Bundesebene und auf gemeindlicher Ebene abstimmen. Dieses Argument entspricht im weiteren Sinn jenem 20 Jahre vorher, als Gegner des Frauenstimmrechts auf Bundesebene behaupteten, dieses sei «unschweizerisch».

Sie kenne eine Handvoll Frauen, die gegen die Einführung des Frauenstimmrechts gestimmt hätten, sagt Brigitte Mürner-Gilli. Sie nahm 1987 als erste Frau im Luzerner Regierungsrat Einsitz. Eine habe es sogar ausdrücklich zugegeben. «Ich konnte das nie begreifen», sagt Mürner-Gilli.

Lebenswirklichkeit ändert sich

Doch die Tradition, die dahinterstecke, habe sie selber noch als Kind mitbekommen, sagt Mürner-Gilli. Ein Rollenbild, in welchem die Frau als Hausfrau vorgesehen war und darin ihre Kompetenzen hatte. Ausserhalb hatte der Mann das Sagen. Diese Rollenteilung sei oftmals von Frauen übernommen worden– vielleicht auch, weil sie nicht den gleichen Zugang zu Bildung hatten wie heute. «Der Zugang zu Bildung ist, was Frauen selbstständig macht.»

Insgesamt habe sich die Lebenswirklichkeit geändert, auch wenn die Gleichberechtigung noch nicht erreicht sei. Männer, die im Haushalt mithelfen oder bei der Kinderbetreuung selbstverständlich mitwirken, hätten vor über 50 Jahren keineswegs zur Normalität gehört.

In Appenzell habe sich dieses Rollenbild länger als in anderen Gegenden erhalten, mutmasst Mürner. «Es ist eine der konservativsten Ecken der Schweiz und auch patriarchalisch geprägt.»

Beten, Singen, Abstimmen

Die Männer in Langjahrs Dok-Film drücken sich übrigens eher vorsichtig aus – vorab die älteren. Am Tag der Landsgemeinde, den der Film in epischer Breite zeigt, bilden die Befürworter des Frauenstimmrechts die Mehrheit. Nach dem gemeinsamen Beten und dem Absingen des Landsgemeindeliedes schreiten die «Bundesgenossen» zu den Sachgeschäften und dabei gehen mehr Hände für ein Ja in die Höhe – zumindest vermittelt Langjahrs Film diesen Eindruck.

Nur als Zaungäste zugelassen: Frauen schauen den Ausserrhoder Männern zu, die 1989 übers kantonale Frauenstimmrecht abstimmen. (Bild: Langjahr-Film)

Viele Junge waren damit aber nicht einverstanden. Langjahr hat festgehalten, wie sie nach der Landsgemeinde in den Beizen poltern und ihrem Unmut über die schnelle Entscheidung Luft machen.

Fast gleich viele Stimmen

Augenfällig ist, dass trotz des fast gleichen Stimmenanteils auf das sogenannte Mehren verzichtet wurde. Beim Mehren wird die Abstimmung sektorenweise wiederholt und beurteilt, bis die Mehrheitsverhältnisse deutlich werden.

Gewährsleute sagen, dass es bei jeder Wiederholung einer Abstimmung mehr und mehr Nein-Stimmen zu geben pflege. Der schnelle Entscheid war also auch ein taktischer Zug des Ausserrhoder Regierungsrats, der sich nicht ein weiteres Mal vor der Schweiz blamieren wollte.

Die Einführung des kantonalen Frauenstimmrechts an jenem Tag bedeutete keineswegs das Ende der Landsgemeinde. Die Ausserrhoder kamen noch bis 1996 im Ring zu Hundwil und Trogen zu ihrem politischen Ritual zusammen. Dabei wurden 1994 erstmals zwei Frauen in die Regierung gewählt. Die Abschaffung der Landsgemeinde wurde 1996 im Ring abgelehnt.

Ausserrhoder Landsgemeinde in Hundwil in den 1980er-Jahren.

Argumente gegen Landsgemeinde

Erst 1997 kam das Aus per Urnenabstimmung – wie kurz darauf auch in Nid- und Obwalden. Dabei gaben drei Argumente gegen die Landsgemeinde den Ausschlag: Die soziale Kontrolle in der offenen Abstimmung, die durchs Mehren nicht genau nachvollziehbare Beurteilung bei knappen Entscheiden und vorab die Tatsache, dass all jene von der politischen Teilhabe ausgeschlossen wurden, die am Tag der Landsgemeinde nicht im Ring erscheinen konnten.

Landsgemeinden gibt es heute noch in Glarus und Appenzell Innerrhoden. Daneben existieren aber auch dort – wie in den anderen Kantonen – Parlamente.

Den Innerrhodern musste Ende 1990 das kantonale Frauenstimmrecht vom Bundesgericht aufgezwungen werden. An ihrem politischen Ritual haben sie freilich festgehalten. An der Landsgemeinde 1991 in Appenzell stimmten die Frauen zusammen mit den Männern gegen die Abschaffung der jahrhundertealten Form.

Frauenstimmrecht – Geschenk für unser Land

Erich Langjahr nennt seinen Film «Männer im Ring» «mein persönliches Geschenk zum 700. Geburtsjahr der Schweizerischen Eidgenossenschaft» im Jahr 1991. Es ist der dritte Teil seiner Heimat-Trilogie – nach «Morgarten findet statt» (1978) und «Ex Voto» (1986). Der betörende Soundtrack zum Film stammt vom Luzerner Musiker und Komponisten Mani Planzer (1939–1997).

In der Reprise kommt Langjahr mit einem anderen Kurzfilm, in dem eine Frau die Hauptrolle spielt, in die Kinos: In «Made in Switzerland» hat er 1980 den Besuch der britischen Königin Elizabeth II. in der Schweiz festgehalten.

In Luzern läuft die Reprise ab 29. November im Kino Bourbaki; in Zug sind die Filme am 1. Dezember im Kino Seehof zu sehen.

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