Polit-Analyst Mark Balsiger zu den Zuger Wahlen

«Unsicher, ob Laura Dittli der gleiche Coup gelingt»

Gelingt Laura Dittli (Mitte) der Sprung in die Zuger Regierung? Polit-Analyst Mark Balsiger (im Bild) relativiert. (Bild: zvg)

Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation: Die nationalen Themen prägen den Zuger Wahlkampf. Wem das nützen könnte und wieso Corona keine Rolle mehr spielt, sagt Polit-Analyst Mark Balsiger im Interview.

zentralplus: Mark Balsiger, welche Themen dominieren den Zuger Wahlkampf?

Mark Balsiger: Traditionell – und das ist keine Zuger Spezialität – sind kantonale und kommunale Themen zu wenig dringlich, um sich prominent festzusetzen. Ausser eine lokale Begebenheit ist so kontrovers, dass sich eine Partei damit profilieren kann. Da dies fehlt, beobachten wir in Zug den Klassiker: Die nationalen Themen treiben Wähler und Kandidaten um.

zentralplus: Krieg, Krise, Kaufkraft – das sind derzeit oft gehörte Stichworte.

Balsiger: Die drei prägenden Themen sind die Energieversorgung, der Ukrainekrieg, also Sicherheitspolitik, sowie die Inflation. Bei den letzten kantonalen Wahlen im März in Bern und Nidwalden spielten weder die schwindende Kaufkraft noch der drohende Strommangel eine Rolle. Interessant ist also, dass Zug der erste Kanton ist, der zeigen wird, ob diese drei Herausforderungen sich auf die Wahlergebnisse niederschlagen.

«Im Unterschied zur Klimawahl von 2019 ist die Energiefrage heute kein Winning-Thema.»

zentralplus: Wie könnte sich das an der Urne bemerkbar machen?

Balsiger: Nehmen wir das Beispiel der Sicherheitspolitik, für die bürgerliche Parteien traditionell mehr Interesse und Herzblut haben. Wir beobachten mit Thierry Burkart und Gerhard Pfister zwei nationale Parteipräsidenten, die sich dazu früh und geschickt positionierten. Das spielt der FDP und der Mitte sicher in die Karten – und könnte diesen Parteien im sehr bürgerlich dominierten Kanton Zug nützen. Die linke Seite hingegen erlitt mit der inzwischen zurückgezogenen Initiative gegen den F-35-Kampfjet eine Niederlage.

zentralplus: Nutzen die Zuger Parteien diese Aktualitäten in ihrem Wahlkampf geschickt aus?

Balsiger: Wenn für ein Thema bereits ein Resonanzraum besteht, muss man ihn nur noch zum Klingen bringen. Das ist die grosse Kunst des Wahlkampfs. In Zug höre ich davon wenig.

zentralplus: 2019 war auf eidgenössischer Ebene eine Klima- und Frauenwahl. Jetzt ist das Thema Energieversorgung erneut aktuell. Können die Grünen davon profitieren?

Balsiger: Klima und Energie sind natürlich verwandte Themen. Wir sehen jetzt ein Potpourri von Vorschlägen aller Parteien. Verkürzt kann man sagen: Die Linken wollen mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die Bürgerlichen sehen die Versorgungspflicht als oberste Priorität, egal woher die Energie kommt. Im Unterschied zur Klimawahl von 2019 ist die Energiefrage heute kein Winning-Thema.

zentralplus: Und wie sieht es mit der Reputation der wirtschaftsliberalen Kräfte aus? Im Zuge des Krieges und der Sanktionen gegen Russland ertönte ja nicht nur von links, sondern auch von aussen Kritik am Kanton Zug und seinem Umgang mit russischen Oligarchen und Rohstofffirmen. Wird dies den Bürgerlichen in Zug am 2. Oktober schaden?

Balsiger: Die Problematik mit den vielen Konzernen und Briefkastenfirmen ist in Zug schon lange bekannt. Obwohl sich Finanzdirektor Heinz Tännler zunächst um eine klare Haltung wand, wurde er nie als Regierungsrat infrage gestellt. Ich glaube nicht, dass die Sanktionen die Zustimmung zum Zuger Wirtschaftsmodell grundlegend ins Wanken bringen. Aber es ist eines der Dauerthemen der Alternative – die Grünen (ALG) und bestätigt die Partei darin, weil sie den Finanzplatz Zug stets kritisierte.

«Die Wählerinnen in der Waadt sind offener für Experimente und Abwahlen.»

zentralplus: Das heisst, es könnte auf linker Seite zu einer besseren Mobilisierung führen?

Balsiger: Das ist möglich. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass im Kanton Zug nur eine von vier Personen links wählt.

zentralplus: Müsste Tabea Zimmermann Gibson, die ALG-Regierungsratskandidatin, diese Karte besser spielen? Indem sie einen aggressiveren Wahlkampf führt und stärker auf die wunden Punkte der Bürgerlichen zeigt?

Balsiger: Da bin ich skeptisch. Die Wählerschaft goutiert es in der Regel nicht, wenn eine Kandidatin voll auf einen Bisherigen zielt. Tabea Zimmermann muss es gelingen, bis weit in die Mitte hinein Stimmen zu holen – das war auch das Erfolgsrezept von Manuela Weichelt bei den Regierungsratswahlen 2007. Das Ziel ist es, sich als wählbare Alternative zu positionieren, ohne auf rechter Seite Abwehrreflexe auszulösen. Ein aggressiver Auftritt dürfte da kaum hilfreich sein.

zentralplus: Wie beurteilen Sie die Chance auf eine Rückkehr der Linken in den Regierungsrat?

Balsiger: Mit rund 25 Prozent Wähleranteil gehört die Linke grundsätzlich in die Zuger Regierung. Es ist ein bemerkenswerter Strategiewechsel, dass sich SP und ALG auf eine gemeinsame Kandidatur einigen konnte. Das ist sicher besser, als wenn sie sich gegenseitig bekämpfen und am Ende nur Blessuren davontragen. Da die Bisherigen mit grosser Wahrscheinlichkeit wiedergewählt werden, gibt es einen Zweikampf um den siebten Platz zwischen Tabea Zimmermann und Laura Dittli von der Mitte.

Tabea Zimmermann (ALG), Tabea Estermann (GLP) und Laura Dittli (Mitte, v. l.) wollen in die Zuger Exekutive. (Bild: moc)

zentralplus: Und wer von den beiden hat die besseren Karten?

Balsiger: Das hängt davon ab, wie gut es Zimmermann gelingt, sich als wählbare Kandidatin zu präsentieren. Und ob es den Wählern wichtiger ist, dass die Linken im Regierungsrat vertreten sind oder die jüngere Generation. Ich bin allerdings nicht sicher, ob Laura Dittli der gleiche Coup gelingt wie ihrer Schwester im Frühling in der Waadt.

zentralplus: Valérie Dittli wurde dort überraschend in den Regierungsrat gewählt (zentralplus berichtete). Wieso zweifeln Sie, dass Zug anders tickt?

Balsiger: Zum einen gab es in der Waadt ein gemeinsames Ticket der bürgerlichen Parteien. In Zug spannen SVP, FDP und Mitte hingegen nicht zusammen. In der Waadt forderten die Bürgerlichen die rot-grüne Mehrheit heraus und gewannen. Zum anderen sind die Wählerinnen in der Waadt offener für Experimente und Abwahlen. Sie wählten mit Dittli eine junge Deutschschweizerin aus einer Partei ohne Hausmacht und sagten sich: Macht sie ihre Arbeit nicht gut, wählen wir sie in vier Jahren wieder ab. Das ist eine andere politische Kultur.

«Die Abstimmungen vom kommenden Sonntag können einzelne Parteien beflügeln oder lähmen.»

zentralplus: Wenn Zug eher konservativ ist, könnte das aber für Mitte-Kandidatin Dittli sprechen, obwohl sie noch jung ist.

Balsiger: Ihre Chancen sind sicher intakt. Sie ist im ganzen Kanton bekannt und gut vernetzt.

zentralplus: Man sagt, in unsicheren Zeiten tendierten die Menschen eher zum Bewährten. Stimmen Sie dem zu – und was bedeutet das für die Zuger Wahlen?

Balsiger: Das hat sich tatsächlich in Erhebungen schon mehrfach gezeigt und ist eine sehr menschliche Reaktion. Es dürfte bei den Zuger Wahlen tendenziell die historischen Parteien stärken.

zentralplus: Die aktuellste Wahlumfrage von «20 Minuten/Tamedia» für die eidgenössischen Wahlen 2023 attestiert FDP und GLP Gewinne, während die Grünen Wahlanteile verlieren. Dürfen sich deswegen auch die liberalen Parteien in Zug Hoffnungen machen?

Balsiger: Die Verschiebungen sind minim, und die Umfrage ist nur eine Momentaufnahme. Von der gesamtschweizerischen Ebene eine Tendenz für Zug abzuleiten, wäre hoch spekulativ. Einen Einfluss dürften hingegen die Abstimmungen vom kommenden Sonntag haben: Sie können einzelne Parteien beflügeln oder lähmen. Kommt zum Beispiel die AHV-Reform durch, verliert die SP ihre Vetomacht in der sozialen Frage, was sich sowohl auf linker wie auch auf bürgerlicher Seite in Zug auf die Schlussmobilisierung auswirken kann.

zentralplus: Zum Abschluss: Die Pandemie prägte die letzten knapp drei Jahre, aber als Wahlkampfthema ist sie kaum präsent. Welche Chancen dürfen sich die beiden Kandidaten der Bewegung Aufrecht in Zug machen?

Balsiger: Die meisten Menschen mögen nicht mehr über Corona diskutieren, das Thema war lange genug omnipräsent. Die Wahlen in Nidwalden, Bern und in der Stadt Zürich zeigten, dass die Aufrecht-Listen keine Chancen hatten. Wieso sollte es ausgerechnet in Zug besser funktionieren, wo die Bewegung nicht einmal volle Listen zustande brachte? Das wäre eine grosse Überraschung. Gleichzeitig möchte ich betonen: Es ist wertvoll, dass die Massnahmenkritiker nicht nur Lärm machen, sondern auch bei Wahlen antreten. So kann die Bevölkerung demokratisch entscheiden, ob sie mehr Verantwortung übernehmen sollen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Mark Balsiger
  • Wahlumfrage «20 Minuten/Tamedia»
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