Luzerner Regierungsratskandidaten

Michaela Tschuor will als Vermittlerin Akzente setzen

Hier veranstaltet Wikon regelmässig Kulturanlässe. Die Gemeindepräsidentin Michaela Tschuor vor dem wiederhergestellten Spycher Lanz. (Bild: Michael Flückiger)

Die Wikoner Gemeindepräsidentin und Juristin Michaela Tschuor (Mitte) will Kanton und Gemeinden wieder näher zusammenbringen. Soziales – insbesondere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und eine verantwortungsbewusste Gesundheitspolitik liegen ihr besonders am Herzen.

In Wikon, dem äussersten Zipfel des Kantons Luzern mit direkter Nachbarschaft zu Zofingen (AG), scheint an diesem warmen Februarvormittag die Sonne. Michaela Tschuor (45), Gemeindepräsidentin des Dorfes mit rund 1'500 Einwohnerinnen, stellt sich vor dem Spycher Lanz zum Fototermin.

Der die Hauptstrasse säumende Holzbau im Besitz der Gemeinde ist ein Relikt einer vergangenen Zeit. Die Gemeinde hat ihn anlässlich der 750-Jahr-Feier von Wikon im Jahr 2006 in den ursprünglichen Zustand versetzt. Heute finden darin regelmässig Kulturanlässe statt.

«Für mich ist es nicht selbstverständlich, eine Heimat zu haben.»

Michaela Tschuor, Regierungsratskandidatin (Mitte) aus Wikon

«Wenn ich vorwärtsgehen will, muss ich wissen, woher ich komme», meint die Mutter von drei Kindern im Alter von 15, 14 und 12 Jahren. Deswegen sei für sie die Pflege der Tradition auch wichtig. Die Tochter eines Managers aus dem deutsch-schlesischen Geschlecht der Naydowsky ist im deutschen Ruhrpott geboren. Als Kind hat sie mit ihrer Familie mehrmals den Wohnort gewechselt.

Als sie 13 Jahre alt war, ist ihre Familie anfänglich ins benachbarte Brittnau (AG) gezogen. «Für mich ist es nicht selbstverständlich, eine Heimat zu haben», sagt sie und ergänzt: «Dass ich in Wikon Wurzeln schlagen konnte und mich im Wiggertal heimisch fühle, empfinde ich als glückliche Fügung.»

Von der Wahlkampfleiterin zur Regierungsratskandidatin

Der Juristin, die mit dem Tierarzt Flurin Tschuor verheiratet ist, war es daher ein Anliegen, ihren Kindern eine feste Struktur zu bieten. Das Thema Heimat und Verwurzelung hat sie ins Zentrum ihrer Präsentation zur Nomination in Hochdorf gestellt. Und hat von den Delegierten klar die meisten Stimmen geholt (zentralplus berichtete).

Zuvor hatte sie als Wahlkampfleiterin der Mitte zwei Jahre lang den ganzen Kanton Luzern bereist. Ursprünglich mit dem Ziel, die Wiederwahl der beiden Mitte-Regierungsräte und eine möglichst gute Mitte-Vertretung im Kantonsrat zu bewerkstelligen. Doch auf einen Schlag kam alles anders. Regierungsrat Guido Graf (64) aus Pfaffnau zog seine Kandidatur überraschend zurück.

Michaela Tschuor wurde vom Wahlkreis Willisau als Ersatz vorgeschlagen und gab infolgedessen ihr Amt als Wahlkampfleiterin ab. Dass sie jetzt als Auserkorene eines kantonsweiten Auswahlverfahrens antreten kann, stärkt ihr den Rücken.

Medizinethikerin statt Ärztin

«Ursprünglich wollte ich Medizin studieren und Ärztin werden», sagt Michaela Tschuor. Sie sei dann aber davon abgekommen, «weil ich Bedenken bekommen habe, ob sich dies mit einer Familie vereinbaren lässt.» Heute würde sie anders urteilen. Dem Gesundheitsthema ist sie verbunden geblieben.

«Die Politik darf die Ärzteschaft und die Eltern nicht allein lassen mit der Frage des späten Schwangerschaftsabbruchs.»

Nur geht sie dieses aus juristischer Perspektive an. Exemplarisch zeigt sich dies an ihrer Dissertation. Diese behandelt die medizinethische und rechtliche Frage eines späten Schwangerschaftsabbruchs respektive des Umgangs mit den Föten.

Die Politik darf sich nicht aus ethischen Fragen heraushalten

Eine schwierige Frage, die in der Schweiz bis heute gesetzgeberisch nicht befriedigend geklärt ist – im Gegensatz zu anderen Ländern. Ihr sei nicht wohl dabei, wie polarisierend das Thema heute diskutiert werde. Trotzdem ist sie überzeugt: «Die Politik darf die Ärzteschaft und die Eltern nicht allein lassen mit der Frage des späten Schwangerschaftsabbruchs, sondern muss hier gesellschaftlich Verantwortung übernehmen und eine zeitgemässe Lösung finden.»

Fragen der Ethik spielen im Denken und Handeln von Michaela Tschuor eine zentrale Rolle. In der Tierklinik ihres Mannes mit 80 Mitarbeiterinnen hat sie Einsitz in der Geschäftsleitung und ist dort für Personalwesen und Compliance verantwortlich.

Sie arbeite gern mit Tieren und Menschen. Schon als Studentin hat sie einen Blindenhund ausgebildet. Aktuell hat die Familie drei Hunde. Jeden zweiten Sonntag geht sie gemeinsam – ihr Mann ist ein begeisterter Jäger – mit den beiden Wachtelhunden in die Hundeschule. «Das ist für uns stets entspannte Familienzeit», freut sich die Tierliebhaberin über diese Insel in ihrem Alltag.

Schwierige Bewährungsprobe in der Gemeinde Wikon

Ihre für die Regierungsratskandidatur wichtigste Bewährungsprobe hat sie in der Gemeindeexekutive bestanden. Ihren Weg in die Politik hatte sie dank der ehemaligen Wikoner Sozialvorsteherin Marta Brülhart (Mitte) gefunden. 2012 hatte sie deren Nachfolge im Gemeinderat übernommen. Einfach war das nie.

«Obwohl nicht mit allen Vorwürfen einverstanden, haben wir zugehört und uns bemüht, die Anliegen ernst zu nehmen und niemanden zu übergehen.»

Michaela Tschuor zur Krisenbewältigung in Wikon

Denn die Gemeinde hat seit vielen Jahren mit Querelen zu kämpfen. Über lange Zeit hat sich in Wikon ein Misstrauen gegenüber den Behörden angestaut. Bis es schliesslich zum Eklat kam. Als Gemeindepräsident René Wiederkehr 2019 wegen anonymer Drohungen zurücktrat, stand die Gemeinde vor einem Scherbenhaufen.

«Wir hatten damals die Wahl, als Gemeinderat geschlossen zurückzutreten oder die Probleme entschlossen anzugehen», erinnert sich Michaela Tschuor. Sie hat das Gemeindepräsidium übernommen, aber sich ausbedingt, dass keine Schlammschlachten geführt werden. Zupass kam ihr dabei, dass sie als Sozialvorsteherin bereits wusste, wer welche Positionen vertritt.

Dialog und systematische Aufarbeitung der Konflikte

Zuerst ging es darum, in bilateralen Gesprächen wie auch über den Weg formeller Zusammenkünfte herauszufinden, wo der Schuh drückt. «Ich wollte verstehen, woher das Misstrauen gegenüber den Behörden kommt», sagt Michaela Tschuor. «Obwohl nicht mit allen Vorwürfen einverstanden, haben wir uns bemüht, die Anliegen ernst zu nehmen und niemanden zu übergehen.»

In einer zweiten Phase liess der Gemeinderat die Situation von externer Stelle analysieren. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse leitete sie den Changeprozess ein. «Auf diesem Weg haben wir Leute mitnehmen können, andere haben wir verloren», blickt sie zurück. Heute gebe es ein einheitliches Verständnis, die Bevölkerung werde als Kunde behandelt. Zuhören, aufnehmen, erklären sei der Weg.

«Als Politikerin bin ich in den seltensten Fällen Fachperson, also vermeide ich es möglichst zu polarisieren.»

Michaela Tschuor zu ihrem Selbstverständnis

Vieles hat sich in der Folge entspannt. Konflikte gibt es aber nach wie vor. Wie zum Beispiel aktuell bezüglich des Lastwagenverkehrs auf der Bahnhofstrasse – eine Kantonsstrasse – und der Forderung nach einer Tempo-30-Zone.

Gesunde Distanz zu ihrer eigenen Rolle

Dazu sagt Michaela Tschuor: «Ich habe gelernt, solche Auseinandersetzungen auszuhalten und biete nach Möglichkeit Hand und suche den kleinsten gemeinsamen Nenner». Sie wolle stets möglichst viel Sachlichkeit in die Diskussion hineinzubringen.

Michaela Tschuor bringt im Gespräch zum Ausdruck, dass sie eine gewisse Distanz zu ihrer Rolle hat und sich primär in den Dienst der Sache stellt. «Als Politikerin bin ich in den seltensten Fällen Fachperson, also vermeide ich es möglichst zu polarisieren.»

«Die Gemeinden fühlen sich zu wenig verstanden vom Kanton. Da gibt es noch Luft nach oben.»

Als frischgebackene Regierungsrätin hätte sie schon mal einen klaren Fokus: «Die Gemeinden fühlen sich zu wenig verstanden vom Kanton. Da gibt es noch Luft nach oben.» Unter anderem sei sie sich nicht sicher, ob die Dienststellen des Kantons ihren Ermessensspielraum angemessen ausnutzten. So etwa in der Landwirtschaft, in der eine rigide Auslegung der Gesetze oftmals Innovation verunmögliche.

In einem kurzen Video erzählen die Regierungsratskandidaten, was sie motiviert und weshalb sie gewählt werden sollen.

Vordringliches Interesse am Sozial- und Gesundheitsdepartement

Michaela Tschuor steht dazu, dass sie im Falle einer Wahl gerne das Sozial- und Gesundheitsdepartement übernehmen würde. Dies ungeachtet zahlreicher Warnungen, dass es kaum etwas zu gewinnen gebe.

Michaela Tschuor ist keine, die allzu forsch auf die Themen stürzt. Zuerst bemüht sie sich um ein Verständnis der Gegebenheiten. So hat die im letzten Sommer für Ludwig Peyer nachgerutschte Kantonsrätin ihre ersten Sessionen vor allem dazu genutzt, zu beobachten (zentralplus berichtete). Sie ist jetzt beispielsweise gespannt auf den Kommissions-Vorschlag betreffend die Ausgestaltung des Leistungskatalogs der drei Spitäler Luzern, Sursee und Wolhusen (zentralplus berichtete).

So sieht Michaela Tschuors Smartspider aus – sehr eingemittet, mit Ausnahme der Aussenpolitik. (Bild: Screenshot: Smartvote)

Dass hier Sparmassnahmen anstehen und sich Fragen zum Gewinn stellen, ist ihr nur allzu klar. «Unsere Spitäler haben einen stetigen Investitionsbedarf, wenn sie Gewinn erwirtschaften, muss dieser reinvestiert werden können.» Und sie betont: «Unser Gesundheitswesen ist keine Milchkuh, der Kanton darf hier keinen Gewinn für sich abschöpfen.»

Neue Finanzstrategie hat sich bewährt

Apropos Sparen: Die neue Finanzstrategie des Kantons mit Sparmassnahmen zulasten der Gemeinden hat ihr zugesetzt. Trotzdem: «Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass diese richtig ist. So schaffen wir den Turnaround bei den Kantonsfinanzen.» Entsprechend unterstützt sie auch die Steuergesetzrevision mit Entlastung der juristischen Personen.

Wenn es in Wirtschaft, Forschung und Entwicklung vorangehe, gebe es auch genug Luft für soziale Anliegen. Und: «Unterstützung kann auch anders als finanziell erfolgen.»

«Ich habe schon lange angekündigt, dass nach zwölf Jahren oder spätestens im 2024 Schluss ist.»

Michaela Tschuor zu ihrem Amt als Gemeindepräsidentin von Wikon

Besonders nahe liegen ihr aber die sozialen Themen. Als Präsidentin des Gemeindeverbandes Sozialberatungszentrum Willisau / Kinder und Erwachsenenschutzbehörde Willisau-Wiggertal hat sie festgestellt, dass Jugendliche mehr Unterstützung brauchen beim Thema Sucht: «Der Kanton darf sich hier nicht aus der Leistungsvereinbarung rausnehmen, er muss die Verantwortung mittragen.»

Tschuor möchte zwei Frauen in der Luzerner Regierung

Michaela Tschuor wünscht sich, dass neu zwei Frauen in den Regierungsrat vorstossen. Als Kandidatin der wählerstärksten Partei im Kanton Luzern hat sie ausgezeichnete Chancen, dass sie eine davon ist. Zur Frage, wer die zweite Frau sein soll, will sie sich nicht äussern.

Ob es ihr nicht weh tun würde, das Amt der Gemeindepräsidentin von Wikon aufzugeben? «Ich habe schon lange angekündigt, dass nach zwölf Jahren oder spätestens im 2024 Schluss ist», gibt sie entspannt preis. Es brauche wieder frischen Wind.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Treffen mit Michaela Tschuor in Wikon
  • Berichterstattung Zofinger Tagblatt über Konflikte in der Gemeinde Wikon (hinter Paywall)
  • Bisherige Berichterstattung über die Kandidatin
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1 Kommentar
  • Profilfoto von andreas und marie-louise hauswirth-egli
    andreas und marie-louise hauswirth-egli, 27.02.2023, 13:52 Uhr

    Interview im Zentralplus mit Michaela Tschuor, Regierungsratskandidatin Mitte

    Ethisch Denken und Handeln geht anders

    Im Interview vom 7.Februar 2023 mit Frau Tschuor ( seit 2012 Gemeinderätin und seit 2019 Gemeindepräsidentin in Wikon) wird erklärt, Fragen der Ethik spielten in deren Denken und Handeln eine zentrale Rolle. Dazu einige Fakts zur Gemeinde Wikon: 2011 hat das Kantonsgericht zum Bauvorhaben Logistikcenter Galliker festgehalten, dass der Ausbaustandard der Bahnhofstrasse für regelmässige Lastwagenfahrten zu eng bemessen ist und daher ein solches Bauprojekt nicht bewilligungsfähig sei. Im Jahr 2016 haben über 200 Bürger von Wikon den Gemeinderat in einer Petition um ein lebenswertes Bahnhofquartier ersucht. Im Jahr 2019 wurde vom Gemeinderat ein Siedlungsleitbild verabschiedet. In diesem wurde u.a. festgehalten, dass das Bahnhofquartier zu einem attraktiven Wohn- und Arbeitsquartier umgestaltet werden soll. Ausserdem wurde darin behördenverbindlich festgehalten, dass auf dem ganzen Gemeindegebiet keine Logistik erlaubt sein soll und dass Fussgänger (Kindergärtner und Schulkinder)und Velofahrer sichere Wege erhalten sollen.

    Was ist seither passiert? Im Bahnhofquartier wurden und werden jahrelang diverse bauwidrige Zustände toleriert, ohne dass die Gemeinde einschreitet. Betrieben mit sehr hohem Lastwagenverkehr wie Planzer, Hess Muldenservice AG etc., die alle die nur 6 m breite Bahnhofstrasse benutzen wollen, wurden nach 2019 die Baubewilligung erteilt. Mit zwei weiteren Baubewilligungen wurde die Erschliessung des riesigen Gallikerareals mitten im Bahnhofquartier bewilligt, ohne Verkehrssicherheit, Schulwegsicherheit und Lärmfragen abzuklären. Rangiertätigkeiten der Planzer AG mitten in der Nacht sollen nach Ansicht des Gemeinderates von den Anwohnern des Bahnhofquartiers toleriert werden. Schliesslich wohnen sie ja angeblich in einem lärmbelasteten Quartier. Zu Gunsten der Planzer AG, deren riesiges Verkehrsaufkommen nicht nur für Wikon, sondern auch für Reiden und Brittnau eine Katastrophe darstellt, wird die Baubewilligung noch während eines laufenden Gerichtsverfahrens zu deren weiterem Vorteil abgeändert. Und im neuen Zonenplan sollen nun im Bahnhofquartier Logistik in der Arbeitszone IV möglich sein. Und dem nicht genug, im Bahnhofquartier soll in den Arbeitszonen so hoch gebaut werden dürfen, wie es den Bedürfnissen des Baugesuchsstellers entspricht und zudem mit einem Minimalgrenzabstand von 4 m. Ohne Zweifel erfährt das Bahnhofquartier eine Aufwertung, die schweizweit raumplanerisch Beachtung findet, wenn auch im negativen Sinne. Dies alles unter der Federführung einer Juristin, über deren Berufserfahrung im juristischen Bereich, zumindest uns, nichts bekannt ist, ausser ihrer Doktorarbeit im Strafrecht. Als langjährige Verfechter für Umweltanliegen und Lebensqualität werden wir Frau Tschuor nicht wählen.

    A.und M.-L. Hauswirth-Egli, Rechtsanwälte, Wikon

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