200-Jahr-Feier des Luzerner Wahrzeichens

Leuthard wirbt vor dem Löwen für Europa und die Frauen

Hob die jahrhundertealte Verbundenheit der Schweiz mit ihren europäischen Nachbarn hervor: Alt-Bundesrätin Doris Leuthard. (Bild: bic)

Was können wir mit Blick auf die Europafrage, die Flüchtlings- und Corona-Politik und die Gleichstellung vom Luzerner Löwendenkmal lernen? Diese Fragen standen am Dienstag bei der Feier zum 200-jährigen Bestehen im Zentrum. Eines wurde offensichtlich: Der steinerne Löwe kann noch heute als Orientierungspunkt dienen.

Das Löwendenkmal gibt es mittlerweile seit exakt 200 Jahren. Am 10. August 1821 wurde das Monument eingeweiht. Allerdings ging es damals nicht so gelassen zu und her wie zwei Jahrhunderte später bei der Jubiläumsfeier. Für liberal-progressive Kräfte auf dem ganzen Gebiet der heutigen Schweiz war der steinerne Löwe, der vom Patrizier Carl Ludwig von Pfyffer in Auftrag gegeben wurde, damals schlicht eine Provokation.

Denn das Denkmal erinnert an die gefallenen Schweizer Söldner, die beim sogenannten Tuileriensturm am 10. August 1792 in Paris die Königsfamilie und somit das alte royalistische Regime verteidigten. So gab es von liberaler Seite vor 200 Jahren laute Proteste und einen Anlass, den man heute wohl als Gegendemo bezeichnen würde. Es wurde auch versucht, die Einweihungsfeier zu stören und den Löwen zu beschädigen, der heute in normalen Zeiten von jährlich 1,4 Millionen Menschen aus aller Welt besucht wird.

Wofür steht der Löwe eigentlich?

Zur friedlichen Jubiläumsfeier geladen hatte am Dienstag die Stadt Luzern. Gegen 90 Gäste aus Gesellschaft, Politik und Tourismus fanden sich im Park vor dem Löwendenkmal ein. Darunter der gesamte Stadtrat, Regierungsrat Paul Winiker, mehrere Luzerner Politiker, eine Vertreterin der französischen Botschaft sowie die Generaldirektorin der Uno in Genf.

«Objektive historische Fakten werden im Verlauf der Zeit stets unterschiedlich gedeutet und bewertet.»

Beat Züsli, Stadtpräsident Luzern

Beim Gedenken an die Ereignisse von Paris und die Errichtung des weltbekannten Monuments ging es darum, zu verstehen, was uns der Löwe heutzutage erzählen kann. Zu diesem Thema ist unter der Leitung des Luzerner Historikers Jürg Stadelmann gleichzeitig ein 360 Seiten starkes Buch mit dem Titel «In die Höhle des Löwen» erschienen, das sich dem Denkmal und dessen Bedeutungs- und Entstehungsgeschichte aus verschiedenen Disziplinen und Perspektiven annähert.

Viel politische Prominenz fand sich vor dem Löwendenkmal ein. (Bild: bic)

Stadtpräsident will vom Löwen lernen

Den Anfang machte Gastgeber und Stadtpräsident Beat Züsli. «Denkmäler sind nie widerspruchsfrei. Sie erinnern an Personen, Ereignisse oder Umstände, die in irgendeiner Weise umstritten waren. Objektive historische Fakten werden im Verlauf der Zeit stets unterschiedlich gedeutet und bewertet.» So erscheine im Rückblick manches unverständlich, da man meist mit der heutigen Brille darauf blickt. Er sei aber froh, dass man sich heute offen, neugierig und ohne Streit mit dem Löwen auseinandersetzen könne.

«2021 bemühen wir uns, dem Denkmal verschiedene Facetten abzugewinnen», sagte Züsli. «Wir beleuchten das Söldnerwesen, den Reichtum, den es den Luzerner Obrigkeiten brachte, die Verzweiflung und Armut, die die jungen Burschen in den Kriegsdienst trieb, und hinterfragen Begriffe wie Treue und Tapferkeit.» Diese beiden Wörter prangen in Latein prominent über dem Löwen. «Helvetiorum fidei ac virtuti», der Treue und Tapferkeit der Schweizer, heisst es dort.

Was Massnahmen-Skeptiker mit dem Löwen zu tun haben

Züsli hatte auch einen aktuellen Bezug zur Hand. «Es wird wohl eine Anekdote bleiben, dass im Jahr 2021 unter den demonstrierenden Massnahmen-Skeptikern Kaiserfans auszumachen waren. Jene, die sich royalistische Herrschaftsformen zurückwünschen, weil sie die heutigen Demokratien als Diktaturen ansehen», sagte Züsli. In anderen Worten: Der Löwe kann vor diesem Hintergrund ein Mahnmal sein, insofern er von Leuten realisiert wurde, welche die freiheitliche Demokratie mit ihren Bürgerrechten ablehnten und sich die alte Ordnung zurückwünschten, in der es Herrschende und Beherrschte gab.

Der Löwe führt uns also vor Augen, dass unsere heutige Demokratie keinesfalls eine Selbstverständlichkeit ist, sondern hart errungen und weiterhin verteidigt werden muss. Es sei aber vielerorts auf der Welt noch nicht gelungen, dass das Volk bestimmt, wer an die Macht kommt und wer gehen muss, wie alt Bundesrätin Doris Leuthard im Anschluss festhielt.

Züsli stellte noch einen weiteren Aspekt unserer Zeit ins Zentrum seiner Rede. «Der Umstand, dass sich junge Schweizer Männer aus finanzieller Not in Kriegsdienste begeben mussten, kann man nicht so leicht beiseite schieben. Wir müssen alles dafür tun, dass es nie mehr so weit kommt und können uns glücklich schätzen, keine solche Not je erlebt zu haben. Ganz im Gegensatz zu manchen Asylsuchenden.» Wenn er heute in der Schweiz Stimmen vernehme, die wegen ein paar Hundert Geflüchteten unsere Freiheit und unseren Wohlstand gefährdet sehen, stimme ihn das sehr nachdenklich. Zumal die Schweiz als mausarmes Land 1871 nicht weniger als 87'000 halb verfrorene und verhungerte Soldaten der französischen Bourbaki-Armee aufnahm.

Zog diverse Parallelen zur heutigen Zeit: der Luzerner Stadtpräsident Beat Züsli. (Bild: bic)

Alt-Bundesrätin mit Wurzeln nach Luzern

Dass nach zwei weiteren kurzen Ansprachen alt Bundesrätin Doris Leuthard Worte an die Anwesenden richtete, war kein Zufall. «Im 12. und 13. Jahrhundert war die Familie Leuthard Teil des Luzerner Patriziats. Wegen irgendwelchen Skandälchen mussten wir dann aber ins aargauische Freiamt auswandern», erzählte die ehemalige Magistratin. In ihrer Ansprache hob sie unter anderem die seit langer Zeit bestehenden Verflechtungen der Schweiz mit Europa hervor.

«Im 18. Jahrhundert war es völlig normal, dass Königshäuser, Reichs- und Hansestädte oder die Kantone der Schweiz nebeneinander regierten und rege miteinander Verträge abschlossen. Um für ihre Industrieprodukte wie Baumwolle, Seide, Edelmetalle und Schmuck Zoll- und Handelsprivilegien zu erhalten, ging man mit verschiedenen Staaten Allianzen ein. Es gab also schon damals rege internationale Beziehungen mit Streitschlichtungsmechanismen wie Ausschüssen und Diplomatie», so Leuthard.

Im Gedenken an die am 10. August 1792 gefallenen Söldner und Revolutionärinnen wurde eine Schweigeminute abgehalten. (Bild: bic)

«Die EU ist unser engster Partner»

Doris Leuthard erwähnte Frankreich als gemeinsamer Allianzpartner der Kantone. Durch den gemeinsamen Partner sei die alte Eidgenossenschaft gestärkt und die Gründung des Bundesstaates möglich geworden. Man habe erkannt, dass man zusammen stärker ist, als wenn jeder für sich schaut. Diesen Zusammenhalt brauche die Schweiz auch in den kommenden europapolitischen Diskussionen, wo es darum geht, die Rolle des Landes auf dem Kontinent auszuhandeln.

«Wir wissen, dass das Leben in der Schweiz nur dank der Frauen weiterfunktionierte.»

Doris Leuthard

«Das Löwendenkmal kann uns auch an diese internationale Verflechtung unseres Landes erinnern. Schon deshalb ist es von nationaler Bedeutung und ein Mahnmal für unsere Zukunft, wo wir wieder vor Fragen der Verflechtung, Allianzen und bilateralen Verträge stehen», hielt Leuthard fest. Was Frankreich damals als geopolitischer Partner war, sei heute die Europäische Union. Folglich komme man auch in Zukunft ohne eine enge Kooperation mit der EU nicht voran.

Leuthard hebt die Rolle der damaligen Frauen hervor

Doris Leuthard liess es sich nicht nehmen, auch an das 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts zu erinnern. «Natürlich gehe ich davon aus, dass es mit Frauen schneller und vor allem unblutiger gegangen wäre», sagte sie mit Blick auf die Zeit des Wandels und des politischen Umsturzes, an welche das Löwendenkmal erinnert. In den Geschichtsbüchern würden die Frauen indes kaum auftauchen. «Wir wissen aber, dass das Leben in der Schweiz nur dank der Frauen weiterfunktionierte. Söhne und Ehemänner waren im Solddienst und oft weg und die Frauen mussten die Familien versorgen, die Dorfgemeinschaft stärken und verschiedene Dienstleistungen aufbauen», so Leuthard.

Dennoch seien sie noch lange verheiratet und als Arbeitskräfte eingesetzt worden und hätten sich den Zugang zu Bildung, zu einer eigenen Identität, zum politischen System und sogar zum eigenen Bankkonto erkämpfen müssen. «Der Kampf all dieser Frauen war von verschiedenen Mühsalen wie Verzicht und vielen schwierigen Situationen begleitet. Es wäre deshalb ein spannendes Nachfolgeprojekt, das Leben der Ehefrauen und Mütter der gefallenen Soldaten zu erforschen», wagte Leuthard einen Blick in die Zukunft. So werde man beim nächsten Betrachten des Löwendenkmals vielleicht erkennen, dass dort eigentlich eine Löwin fehlt.

Eine prominente Kulisse für eine prominente Stimme: Doris Leuthard bei ihrer Rede vor dem Löwendenkmal. (Bild: bic)

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Heinrich Balmer
    Heinrich Balmer, 17.08.2021, 20:40 Uhr

    Diese schöne Frau hat es zu höchstem Ansehen in der Schweiz gebracht. Ihre Aufforderung, sich mit den Witwen der ehemaligen Söldner – ( über 1, 5 Millionen in aller Herren Dienste) zu befassen, ist unserer Demokratie wirklich würdig. Ein kleines Dorf in Graubünden (Schiers) hatte über 600 tote Männer zu beklagen.

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  • Profilfoto von Etikette
    Etikette, 12.08.2021, 17:49 Uhr

    Ein dickes Lob an den Stadtpräsidenten, dass er Krawatte trägt. Die anderen Herren in der ersten Reihe (auf dem Bild) wirken underdressed.

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  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 11.08.2021, 09:00 Uhr

    Unsäglicher und peinlicher Kriegs-Fetischismus!

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