Zentralschweiz: Niederberger kämpft für neue Hymne

«Der Gott in der Nationalhymne ist keineswegs christlich»

Der langjährige Jesuitenpater und ehemalige Leiter des Lassalle-Haus Lukas Niederberger will die Nationalhymne modernisieren.

(Bild: Reto Schlatter/zvg)

Der Vorschlag für die neue Nationalhymne polarisiert. In der Zentralschweiz erhallt besonders kritisches Echo. Und hier lebt auch die Triebfeder hinter der modernen Hymne: der ehemalige Jesuitenpater Lukas Niederberger. Was ihn am Schweizerpsalm stört und wieso die Schweiz eine neue Visitenkarte braucht, erklärt er im Interview.

Ein neuer Text für die Nationalhymne: Dieses Ziel verfolgt die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) – und stösst dabei auf viel Widerstand, insbesondere auch in der Zentralschweiz. Für Aufsehen sorgte, dass die SGG auf dem traditionsreichen Rütli am 1. August nebst der offiziellen Hymne auch den neuen Text singen lässt. Der Nidwalder SVP-Nationalrat Peter Keller zum Beispiel sprach von einem «Missbrauch der Wiege der Nation» und kündigte an, der SGG die Verwaltung der Rütli-Wiese per Motion zu entziehen. Ebenfalls für harsche Kritik sorgte die SGG, als sie kürzlich alle Gemeinden dazu ermunterte, am 1. August den neuen Text der Hymne zu singen. Eine Umfrage bei den Gemeinden rund um Luzern zeigt: Alle beharren auf dem Schweizerpsalm, falls überhaupt gesungen wird. 

SGG-Geschäftsleiter Lukas Niederberger war langjähriger Leiter des Zuger Bildungszentrums Lassalle-Haus und ist selber in der Zentralschweiz zuhause. Der 52-Jährige verteidigt im Interview das Vorgehen der SGG, spricht über Heimatgefühle und erklärt, wieso er als Theologe das Wort «Gott» nicht in der Nationalhymne singen will.

zentralplus: Herr Niederberger, wo feiern Sie den Nationalfeiertag?

Lukas Niederberger: Natürlich auf dem Rütli, wo die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) als Verwalterin auch die Bundesfeier organisiert.

zentralplus: Das heisst, Sie singen die traditionelle und die neue Nationalhymne?

Niederberger: Ja, genau, den heutigen Hymnetext und den vorgeschlagenen neuen Hymnetext zur gleichen Melodie.

zentralplus: Welchen Stellenwert hat die Hymne für Sie persönlich?

Niederberger: Die jetzige Hymne hat eher einen emotionalen Wert. Sprich: Ich finde es schön, wenn man am 1. August zusammensteht und die Hymne singt. Sie ist identitäts- und gemeinschaftsbildend. Aber inhaltlich kann ich mit dem jetzigen Text herzlich wenig anfangen. Ich wäre froh, erlöst und auch stolz, wenn wir jeweils den von der SGG vorgeschlagenen neuen Text singen könnten.

«Als Bürger einer religiös neutralen Gesellschaft will ich in der Nationalhymne nicht ein transzendentes Wesen anbeten.»

zentralplus: Woran stören Sie sich denn konkret?

Niederberger: Als Theologe finde ich: Zu einem rein männlichen, pantheistischen Nationalgott zu singen, das geht einfach nicht. Der Gott, der dort besungen wird, ist keineswegs christlich.

zentralplus: Gerade christliche Kreise wehren sich aber gegen den neuen Text.

Niederberger: Sie haben Mühe damit, dass Gott als Wort nicht mehr ausdrücklich im Text vorkommt. Aber im neuen Text geht es um Werte, die klar vom Christentum geprägt sind: Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit, Unabhängigkeit.

zentralplus: Sie sind selber katholischer Theologe und haben mehr als 20 Jahre lang im Jesuitenorden gelebt. Wie kommt es, dass Sie den Schöpfergott aus der Nationalhymne verbannen wollen?

Niederberger: Wenn der Mensch als spirituell-religiöses Wesen am Sonntag in der Kirche «Trittst im Morgenrot» singen will, finde ich das gut. Aber als Bürger bin ich Teil einer religiös neutralen Gesellschaft und möchte nicht in der Nationalhymne ein transzendentes Wesen anbeten. Es ist wichtig, Religion und Staat zu trennen.

zentralplus: Sie wohnen selber in der Zentralschweiz. Hier will am 1. August offenbar keine Gemeinde die neue Hymne singen. Erstaunt Sie das?

Niederberger: Ich möchte es mal so sagen: Es freut mich, dass in der Ostschweiz eine Handvoll Gemeinden den neuen Text aufgreifen. Unter anderem die Stadt Wil (SG), wo ich aufgewachsen bin.

«Einige Meinungsmacher in der Zentralschweiz mobilisieren seit Jahren stark gegen unser Projekt.»

zentralplus: Ist die Zentralschweiz also einfach zu konservativ?

Niederberger: Einige Meinungsmacher in der Zentralschweiz mobilisieren seit Jahren stark gegen das Projekt für einen neuen Hymnetext. Exponenten der CVP und SVP-Nationalrat Peter Keller aus Nidwalden sind zwei Beispiele. Zum Glück gibt es aber auch andere wie etwa der frühere Luzerner Bildungsdirektor Toni Schwingruber, der sich für einen neuen Hymnetext einsetzt.

In der Zentralschweiz mobilisieren Meinungsmacher gegen eine neue Hymne, sagt Lukas Niederberger.

In der Zentralschweiz mobilisieren Meinungsmacher gegen eine neue Hymne, sagt Lukas Niederberger.

(Bild: zvg)

zentralplus: An Anlässen wie kürzlich der Fussball-EM singen wenige Athleten die Schweizer Hymne – wenn man mit anderen Nationen vergleicht. Und dennoch wirbelt der Vorschlag einer neuen Hymne so viel Staub auf. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Niederberger: Das Phänomen, dass man über den Status quo jammert und trotzdem nichts verändern will, ist typisch für die Schweiz. Im konkreten Fall gibt es nebst der Kritik am Inhalt auch ein formales Argument: Gewisse Leute und Gemeinden meinen, dass der Vorschlag zu einem neuen Hymnetext vom Bundesrat oder Parlament kommen sollte und nicht aus der Zivilgesellschaft. Das ist ein ziemlich hartes Ignorieren der Zivilgesellschaft.

zentralplus: Es wird kritisiert, der Text habe keine Legitimation.

Niederberger: Wer dies ernsthaft behauptet, ignoriert, dass auch die jetzige Hymne über 100 Jahre lang parallel zur bestehenden Hymne «Heil dir Helvetia» gesungen wurde. Da schrie niemand: «Zuerst muss der Bundesrat ‹Trittst im Morgenrot› erlauben!» Irgendwann merkte man einfach, dass die neue Hymne beliebter ist. Jetzt ist das Vorgehen nicht anders. Wir laden ein, dass die Bevölkerung sich mit dem neuen Text auseinandersetzt. Vielleicht setzt er sich durch, vielleicht nicht.

«Eine Hymne, die eine Gesellschaft verbinden soll, ist ein riesiges Kunststück.»

zentralplus: Sie sagen, der neue Text müsse sich bei der Bevölkerung durchsetzen. Am 1. August scheinen nur wenige Gemeinden diesem Plan zu folgen.

Niederberger: Wir werden erst nach dem 1. August aus der Lokalpresse erfahren, wo der neue Text gesungen worden ist. Wenn er in 50 Gemeinden gesungen wird, wäre das ein riesiger Erfolg. Auch nur schon mit einem Dutzend wären wir zufrieden. Und man muss sagen: Immerhin wird diskutiert. Es gibt kaum eine Zeitung, die nicht darüber geschrieben hat.

zentralplus: Sind Sie denn angesichts der Kritik optimistisch, dass sich der neue Text durchsetzt?

Niederberger: Ja, klar. Es wäre anmassend, dieses Projekt mit dem Frauenstimmrecht zu vergleichen. Aber das hat auch Jahrzehnte gebraucht, bis es sich durchgesetzt hat.

zentralplus: Seit rund drei Jahren leiten Sie das Projekt zur neuen Nationalhymne. Was sagt die Debatte über den Zustand des Landes aus?

Niederberger: Sie zeigt, dass wir eine enorm breit gefächerte Gesellschaft haben. Da wir letztlich auf alle Rücksicht nehmen müssen, ist klar: Eine Hymne, die eine Gesellschaft verbinden soll, ist ein riesiges Kunststück.

«Es gibt natürlich auch Rückmeldungen, die völlig unter der Gürtellinie sind.»

zentralplus: Sie sind das Gesicht der neuen Hymne. Wie persönlich nehmen Sie die Kritik?

Niederberger: Das Ziel des Projekts ist es ja nicht nur, dass irgendwann ein neuer Text gesungen wird, sondern dass eine Wertedebatte ausgelöst wird. Es gab im Künstlerwettbewerb, den die SGG initiiert hatte, auch Beiträge, welche die schönen Wiesen, Berge und Seen besungen haben. Solche Texte gehen zwar ans Herz und wecken Emotionen – und trotzdem sind wir überzeugt, dass die Schweiz eine Hymne braucht, die mit zentralen Werten als Visitenkarte und Leitbild des Landes dienen kann. Uns geht es um die Frage: Was ist unsere Identität in der heutigen Welt, welche Werte wollen wir fördern und nach aussen vermitteln? Insofern sind kritische Rückmeldungen sogar gewünscht. Aber es gibt natürlich auch Rückmeldungen, die völlig unter der Gürtellinie sind. Die sind schwieriger zu ertragen.

Der Unkonventionelle

Lukas Niederberger ist seit 2013 Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, die einen neuen Text für die Nationalhymnen vorschlägt. Aufgewachsen in Wil (SG) absolvierte Niederberger im Benediktinerkloster in Engelberg die Matur. 1985 trat er dem Jesuitenorden bei, studierte Philosophie und Theologie und wurde zum Priester geweiht.

Niederberger leitete während 13 Jahren das Bildungszentrum Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn im Kanton Zug und fiel durch seine offene, unkonventionelle und teils provokative Art auf. Für Aufsehen sorgte der Jesuitenpater zum Beispiel, als er einen abgewiesenen Flüchtling versteckte oder schwule Paare traute.

2007 trat er nach über 20 Jahren aus dem Jesuitenorden aus, weil er sich in eine Frau verliebte. Vorübergehend war er für die Abteilung Asyl im Kanton Zug zuständig, bevor er vor allem publizistisch tätig wurde und das kantonale Pfarrblatt leitete. Der 52-Jährige wohnt in Rigi-Klösterli.

zentralplus: Würden Sie sich als Patriot bezeichnen?

Niederberger: Das Wort «Patriot» setzt Patria voraus, das Vaterland. Da würde ich sagen: Patriot und Matriot, also Vater- und Mutterland. Ich glaube fest daran, dass der Mensch eine Heimat braucht. Schwierig wird es für mich, wenn Patriotismus mit Nationalismus gleichgesetzt wird und man sich anderen Nationen überlegen fühlt. Aber eine gesunde Freude an der Heimat finde ich etwas Schönes.

zentralplus: Sie sind bekannt als Person, die keine Kritik scheut. Ist der Entscheid, auf dem Rütli die neue Hymne zu singen, auch gezielte Provokation?

Niederberger: Nein, die Provokation suche ich nicht. Da die moderne Schweiz kein nationales Denkmal hat, ist das Rütli als Naturdenkmal der Alten Eidgenossenschaft sehr symbolträchtig – und es lässt Herr und Frau Schweizer nicht kalt, was auf der Wiese passiert.

zentralplus: Mehrere Nationalräte wollen im Herbst erreichen, dass die Eidgenossenschaft der SGG die Verwaltung des Rütli wegnimmt. Was sagen Sie dazu?

Lukas Niederberger: Als die SGG 1860 das Rütli der Eidgenossenschaft schenkte, waren mit der Schenkung mehrere Bedingungen verbunden. Unter anderem die Verwaltung durch die SGG. Die SGG ist überzeugt, dass Regierung und Parlament den Schenkungsvertrag nicht ernsthaft in Frage stellen wollen. Und die SGG ist ebenso überzeugt, dass Regierung und Parlament grundsätzlich sehr froh sind, dass die SGG das Rütli verwaltet. Denn diese Tätigkeit verlangt viele personelle und finanzielle Ressourcen, die den Staat entlasten. Die SGG ist durchaus offen für Kritik an ihrer Tätigkeit als Verwalterin. Und sie nimmt auch gerne konstruktive Ideen und Impulse entgegen, wenn es darum geht, den Zusammenhalt von Land und Gesellschaft an diesem bedeutungsvollen Ort zu fördern.

 

Der neue Text zur Hymne, den die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft in einem Wettbewerb als Sieger erkoren hat.

 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Markus Mathis
    Markus Mathis, 02.08.2016, 16:18 Uhr

    Schlage vor, dass wir zur originalen Hymne «Rufst du mein Vaterland» zurückkehren. Passt besser in unsere gewaltaffine Zeit. Vor allem bleiben wir dann vor dem Chörnlipicker-Lappi-Text der SGG verschont.

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