Stimmungsbild nach dem Franken-Schock

Zuger Wirtschaft: War’s das mit der Krise?

Siemens reagierte auf die Frankenstärke mit Entlassungen. Der Industriekonzern strich 2015 am Standort Zug 150 Stellen – fast jeden dritten Arbeitsplatz in der Produktion. Am Neubau hält er aber fest.

(Bild: mbe.)

Wie geht es der Zuger Wirtschaft nach 16 Monaten mit dem starken Franken? Der Zuger Volkswirtschaftsdirektor Matthias Michel spricht von «beeindruckenden Produktivitätssteigerungen». Die Gewerkschaft Unia sieht das anders. Viele Arbeiter in der Zentralschweiz hätten ihren Job verloren – trotz Mehrarbeit bei gleichem Lohn.

Der starke Franken ist ein Wettbewerbsnachteil für exportierende Firmen. Seit dem Entscheid der Nationalbank, den Euro-Mindestkurs aufzuheben, ist die Zentralschweizer Wirtschaft deshalb unter grossem Druck. Die Folgen blieben nicht aus: Siemens hat 150 Arbeitsplätze in Zug abgebaut, Landis + Gyr verlagerte 50 Stellen nach Griechenland, die Firma Besi aus Cham verlagerte einen Drittel ihrer 150 Stellen nach Asien. Und Roche baut ebenfalls ab (zentralplus berichtete). Wir wollten deshalb wissen, wie es der Zuger Wirtschaft 16 Monate nach dem Frankenschock geht.

Nicht alles habe mit der Frankenstärke zu tun und man müsse immer die Gesamtentwicklung sehen, sagt der Zuger Volkswirtschaftsdirektor Matthias Michel dazu. Er erwähnt Roche Diagnostics: «Vor zehn Jahren hatte die Firma noch 600 Mitarbeiter in Rotkreuz, heute sind es bereits rund 2500.» Das seien innerbetriebliche Optimierungen.

Industrie-Firmen kämpfen mit starkem Franken

Michel kennt nicht jede der 30’000 ansässigen Firmen im Kanton Zug. Doch einen Anhaltspunkt, wer von der Frankenstärke betroffen ist, habe die Umfrage des Technologieforums Zug von Ende 2015 geliefert. Danach waren von 130 Industriefirmen, die antworteten, 70 Prozent von der Frankenstärke betroffen. «Die meisten Unternehmen hatten genug Umsatz und Aufträge, doch die Ertragslage hat sich verschlechtert», so Michel. Deshalb habe man zum Beispiel bei Siemens und bei V-Zug eine temporäre Arbeitszeiterhöhung beschlossen, um die Produktivität zu steigern. Gemäss derselben Umfrage hätten 35 Prozent der Firmen angegeben, dass ihr Ertragsniveau unterhalb des akzeptablen Bereichs liege, aber auch noch nicht kritisch sei.

Matthias Michel, Volkswirtschaftsdirektor

Matthias Michel, Volkswirtschaftsdirektor

(Bild: zvg)

«Die Frankenstärke war das dominierende Thema des vergangenen und des laufenden Jahres», sagt der FDP-Regierungsrat. Trotzdem kam es laut dem Volkswirtschaftsdirektor nicht zu einer grossen Entlassungswelle im Kanton. «Viele KMU haben nicht einfach Personal entlassen, um Kosten zu sparen.» Sie hätten vielmehr ihre Kostenstruktur angepasst, zum Beispiel im Managementbereich.

Und ihre Produktivität erhöht. «Bei Besuchen in Produktionsfirmen habe ich ausserdem festgestellt, dass die Produktionslinien konsequent optimiert werden. Sodann geben viele Firmen in kleinen Bereichen Gas.» Das Engagement der Angestellten habe ihn beeindruckt. «Alle reissen sich am Riemen, arbeiten ein wenig länger oder sparen einmal eine Kaffeepause ein. Dieses Engagement aller hat mich beeindruckt.»

«Alle reissen sich am Riemen, arbeiten ein wenig länger oder sparen einmal eine Kaffeepause ein.»
Matthias Michel, Volkswirtschaftsdirektor Kanton Zug

KMU haben Krise erstaunlich gut gemeistert

Fazit: Die Massenentlassungen sind ausgeblieben, es sind keine namhaften Firmen abgewandert. «Ich hatte Anfang 2015 mehr Bedenken», sagt Michel. Gerade Kleinbetriebe hätten die Krise erstaunlich gut gemeistert. «Nicht nur die Chefs und Chefinnen, auch die Angestellten haben mitgeholfen, dass die Arbeitsplätze in Zug behalten werden können. Ich kann da nur Chapeau sagen!» 

Arbeitslosigkeit leicht höher

Laut Matthias Michel rechnete BAK Basel vor dem historischen Frankenentscheid der Nationalbank mit einer Arbeitslosigkeit von 2,3 Prozent im Kanton Zug fürs Jahr 2015. «Effektiv waren es dann 2,6 Prozent.» Das sei ein wenig mehr, aber nicht dramatisch. Und rund ein Prozent tiefer als der schweizerische Durchschnitt von 3,7 Prozent.

Im Kanton Zug arbeiten 77 Prozent der Beschäftigten im Handel und Gewerbe (schweizweit 74%). 20,7 Prozent der Zuger arbeiten in der Industrie (CH: 22%) und nur gerade noch 1,8 Prozent in der Landwirtschaft (CH: 3,3%).

Matthias Michel gibt auch eine Prognose ab. Der starke Franken sei nur eine vieler Rahmenbedingungen, die Schweiz bleibe ein teures Produktionsland. «Der Druck wird deshalb sicher anhalten und der Strukturwandel weitergehen. Die klassische Produktion wird weiter schrumpfen oder durch die Digitalisierung abgelöst.»

Departement Informatik unterstützt

Der Zuger Regierungsrat denkt, dass das Angebot von IT-Fachleuten auf der anderen Seite wachsen wird. Die Antwort der Zentralschweizer Kantone darauf sei das neue Departement Informatik der Fachhochschule Zentralschweiz in Rotkreuz. Der Kanton Zug habe sich aktiv dafür engagiert und werde jährlich zwei Millionen Franken als so genannte Standortabgeltung zahlen (zentralplus berichtete). Zudem hatte der Kantonsrat einen Aufbaubeitrag von einer Million Franken beschlossen. Am 19. September soll das Departement Informatik der Hochschule Luzern (HSLU) eröffnet werden.

Lieber Geld in Ausbildung investieren

Er sei der Ansicht, dass es nicht die Aufgabe des Staates sei, die Wirtschaft direkt mit Steuergeldern zu subventionieren. «Vor allem in der Westschweiz sieht man das aber anders», fügt Matthias Michel hinzu. Sein Amtskollege aus dem Kanton Freiburg habe soeben bekannt gegeben, dass der Kanton über 20 Millionen in die Unterstützung von Innovationen und Startups investiere. «Von solchen Massnahmen halten wir im Kanton Zug wenig. Wir investieren lieber in die Ausbildung. Das hat eine nachhaltigere Wirkung.» Wichtig bleibe sodann – gerade in Zeiten der Verunsicherung – die Kontaktpflege mit den ansässigen Unternehmen.

Gewerkschaft: Politiker haben versagt

Ganz anders sieht die Lage nach dem Frankenschock die Gewerkschaft Unia. «Politiker wie Herr Michel und seine Partei, die FDP, machen auf Schönwetter», sagt Giuseppe Rea, Regionalsekretär der Unia Zentralschweiz. «Es sind massiv Arbeitsplätze verloren gegangen durch den falschen Entscheid der Nationalbank, auch in der Zentralschweiz.» Es gäbe Unternehmen, die an den Standort Schweiz geglaubt hätten, die aber einfach nicht mehr mithalten könnten.

«Als die UBS hustete, flossen die Milliarden.»

Giuseppe Rea, Unia-Regionalsekretär

Die Arbeitnehmer hätten gratis Mehrarbeit geleistet. «Die Produktivität wurde stark hinaufgeschraubt», sagt Giuseppe Rea. «Deshalb haben aber viele trotzdem ihre Stelle verloren und die Zeche bezahlt.» Rea nennt als Beispiele die Landis + Gyr und die Siemens in Zug. Roche in Rotkreuz baue ab, und habe am Donnerstag gleichzeitig Gewinn bekannt gegeben. Im Kanton Luzern nennt Rea als prominentes Beispiel die Firma Folag AG Folienwerke in Sempach. «Sie ging im September 2015 Konkurs und 145 Personen verloren ihre Stelle.»

«Wenn man dann sagt, alle hätten zu diesem Ergebnis beigesteuert, muss ich schmunzeln», sagt Giuseppe Rea. Der Unia-Regionalsekretär wirft der Politik und den Kantonen vor, nichts gegen die Frankenstärke unternommen zu haben. «Sie hätten beim Bund aktiv werden sollen, stellten sich aber stattdessen auf den Standpunkt, man dürfe der Nationalbank nicht ins Geschäft hineinreden.» Bei der Bankenrettung sei das anders gewesen. «Als die UBS hustete, flossen die Milliarden.»

«Ein anhaltender Kursschock wäre Gift für die Wirtschaft»

Die Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz (IHZ) vertritt rund 700 Unternehmen aus den Kantonen Luzern, Schwyz, Ob- und Nidwalden und Uri; die Zuger Firmen sind der Zürcher Handelskammer angeschlossen. Adrian Derungs von der IHZ erklärt, wie die Innerschweizer Wirtschaft mit dem Franken-Schock umgegangen sind und wagt eine Prognose.

Adrian Derungs von der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz in Luzern.

Adrian Derungs von der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz in Luzern.

(Bild: zVg)

 
Zentralplus: Herr Derungs, wie sind die Zentralschweizer Unternehmen mit dem Frankenschock seit Januar 2015 fertig geworden, haben sie den Schock verdaut?
 
Adrian Derungs: Grundsätzlich Ja. Die Unternehmen haben sich an die Situation angepasst, pragmatisch und abhängig von der Betroffenheit der Branche sowie der individuellen Konstellation des Unternehmens. Eine Studie zur Frankenstärke der EPFL und der Uni Genf veranschaulicht die unterschiedliche Ausgangslage für die Unternehmen, indem sie die international tätigen Unternehmen in zwei Klassen unterteilt, die «Exporteure» und die «Internationalen». Die Internationalen haben ihren Hauptsitz in der Schweiz und organisieren ihre Konzerntätigkeit und die weltweite Produktion von hier aus; diese Gruppe ist wenig vom Frankenschock betroffen. Im Gegensatz dazu traf der Frankenschock die Exporteure mit voller Wucht. Sie produzieren teuer in der Schweiz, exportieren ins Ausland und generieren Einnahmen in einer anderen Währung, oft in Euro. So werden die Margen durch den Währungseffekt aufgefressen.
 
Zentralplus: Was haben die Firmen unternommen?
Derungs: Zu beobachten war zunächst eine Phase, in der die Unternehmen den Schock gewissermassen verdauen mussten. Als erste Handlungsoptionen boten sich weitere Produktivitätssteigerungen an. Betroffene Unternehmen haben ihre gesamte Kostenstruktur, vom Einkauf bis zum Verkauf, überprüft, um Kosten senken zu können. Auch im Bereich der Investitionen wurden Projekte auf die lange Bank geschoben. Der Schock kam zudem oft verzögert, da Unternehmen von Währungs- und Kursabsicherungen im Inland profitieren konnten, noch über hohe Auftragsbestände verfügten und so gewissermassen von ihrer Substanz lebten. In einer zweiten Phase, in der wir uns gegenwärtig weiterhin befinden, mehren sich die Meldungen, wonach solid finanzierte Unternehmen Zukäufe im Ausland tätigen oder etwas aufwändiger dort selber Produktionsstätten aufbauen. So werden Teile der Produktion ins Ausland ausgelagert. Damit verbunden ist leider in manchen Fällen auch ein Stellenabbau in der Schweiz. Eine für alle betroffenen Menschen schmerzhafte Folge der Frankenstärke.
 
Zentralplus: Wie lautet Ihre Prognose für die Zentralschweizer Wirtschaft?
Derungs: Natürlich gibt es im internationalen Kontext viele Unabwägbarkeiten, die wir nicht voraussehen können, wie z.B. kriegerische Konflikte, Terrorismus oder die Entwicklungen im Zusammenhang mit der EU. Aber in Bezug auf die Frankenstärke gehen wir davon aus, dass sich der Strukturwandel von der Produktion hin zur Organisation und zum Dienstleistungswesen weiter fortsetzen wird. Wichtig ist dabei die Tatsache, dass der Frankenschock nicht alleiniger Grund für diesen Strukturwandel darstellt, sondern einen bestehenden Trend vielmehr beschleunigt. Zudem ist dieser Strukturwandel nicht neu sondern bereits seit Jahrzehnten im Gang. Wichtig erscheint uns, dass dies ein Strukturwandel bleibt, der unsere Unternehmen «fit» hält und der – trotz teils schmerzhaften Prozessen – bewältigbar bleibt. Gefährlich wäre hingegen ein Strukturbruch. Das heisst z.B. ein weiterer, rascher und anhaltender Kursschock.

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