Rudolf Schweizer will Luzerner Stadtrat werden

«Wäre ich ein Wutbürger, würde ich Ihnen eins an den Grind hauen»

Der 53-jährige Carrosseriespengler Rudolf Schweizer tritt als parteiloser Kandidat für den Luzerner Stadtrat an.

 

(Bild: jal)

Der parteilose Rudolf Schweizer hegt ein tiefes Misstrauen gegenüber der Justiz, beschimpft SVP-Kandidat Thomas Schärli als Banause und will den Südpol schliessen – trotzdem bezeichnet er seine Kandidatur für den Stadtrat als «todernst». Wieso, erklärt er im gleichermassen grossen wie unkonventionellen Interview.

Am 27. November kommt es in Luzern zur Ersatzwahl für den Stadtratssitz des zurückgetretenen Stefan Roth (CVP). Auf der Poleposition steigt CVP-Kandidatin Franziska Bitzi Staub ins Rennen, die als Einzige von anderen Parteien – FDP, Grünen, GLP und BDP – unterstützt wird. Herausgefordert wird die 43-Jährige von SVP-Kandidat Thomas Schärli (36) und dem parteilosen Rudolf Schweizer.

Der 53-jährige Carrosseriespengler Rudolf Schweizer wohnt erst seit kurzem in Luzern und ist bereits im Frühling für den Stadtrat angetreten. Er blieb chancenlos. Und auch am 27. November gilt er als aussichtsloser Kandidat (zentralplus berichtete). Trotzdem glaubt er an seine Chance, oder hofft zumindest, dass es zu einem zweiten Wahlgang kommt.

zentralplus hat sich mit Rudolf Schweizer über seine politischen Positionen unterhalten – kein einfaches Unterfangen. Das liegt nicht daran, dass er keine Ideen hätte oder langweilig wäre. Aber oft holt er bei seinen Antworten weit aus, schweift unmittelbar zu anderen Themen ab, setzt viele persönliche Erlebnisse aus seiner Lebensgeschichte voraus, die schwierig zu verifizieren und deren Zusammenhänge für Aussenstehende manchmal schwer nachvollziehbar sind. So kann er im selben Satz vom Neoliberalismus zu den Regierungsratslöhnen übergehen, eine Anekdote über Simonetta Sommarugas Mann erzählen, den er mal im Eigenthal getroffen hat, um am Ende über die Wirtschaftlichkeit von Autorenlesungen zu sprechen.

zentralplus: Rudolf Schweizer, Sie treten für die Parteilosen an und präsentieren sich als Alternative zu CVP- und SVP-Vertreter. Wo stehen Sie politisch?

Rudolf Schweizer: Ich bin ein Querpolitiker und schaue immer das grosse Ganze an.

zentralplus: Was heisst das: links-rechts-bürgerlich-liberal? Welche Partei wählen Sie?

Schweizer: Ich bin parteilos orientiert. Was ich mache, ist eine Querpolitik nach ökologischen und ökonomischen Grundsätzen. Ich will die Ökologie stärken und wegkommen vom Neoliberalismus. Die kleinen Unternehmen müssen ganz anders funktionieren als die gestopften Manager in den oberen Etagen, die einfach ihre Krawatte anziehen und grosse Löhne kassieren.

«Ich musste – wie ein Flüchtling – mein Haus verlassen und in einem Notschlafzimmer wohnen.»

zentralplus: Da könnten Sie auch zu einer linken Protestpartei. Wieso sind Sie parteilos?

Schweizer: Weil wir in Luzern einen grossen Korruptionssumpf haben. Ich habe das mit dem Strommarktmissbrauch selber erlebt.

zentralplus: Was meinen Sie damit?

Schweizer: Im Krienser Gewerbegebiet Obernau, wo ich meinen Betrieb habe, wurde mir ein willkürlicher Strompreis gemacht, der wahrscheinlich über Vetterliwirtschaft zustande kam. Ich verlangte vom Vermieter, den Strom zurückzuzahlen. Auch bei ewl habe ich interveniert. Aber die reagierten nicht. Und als ich das dem Staatsanwalt und dem Einwohnerrat meldete, haben die das Ganze – weil die alle von derselben Partei sind – gedeckelt. Jetzt komme ich und verlange volle Transparenz. Wie Eduard Snowden vielleicht. Aber ich bin nicht Snowden, ich bin Rudolf Schweizer.

zentralplus: Das sind schwere Anschuldigungen. Wie kommen Sie darauf?

Schweizer: Das ist so. Und das Schlimmste ist: Ich habe durch die finanziellen Probleme und den ganzen Skandal meine Familie verloren. Meine Frau, die mit dem ewl-Buchhalter verwandt ist, hat mich verlassen, weil ich Schadenersatz verlangte. Ich musste – wie ein Flüchtling – mein Haus verlassen und in einem Notschlafzimmer wohnen.

Kleingewerbler und Querdenker

Rudolf Schweizer ist im Entlebuch aufgewachsen und lebte bis letztes Jahr in Malters. Der 53-Jährige führt einen eigenen Carrosseriespengler-Betrieb in Kriens, hat zwei Kinder in Ausbildung und lebt in Trennung von seiner Frau.

Vor einem Jahr ist Schweizer für die Liste der Parteilosen zu den nationalen Wahlen angetreten – blieb aber chancenlos. Genauso erging es ihm letzten Frühling, als er bereits einmal für den Luzerner Stadtrat kandidierte. Am 27. November kandidiert er gleich auf vier Listen mit den folgenden Namen: Parteilose Schweizer, Komitee Erhaltung Kleingewerbe (KEK), Stopp der Marktunterwanderung (SDM), Ganzeinheitliche Gesundheitsförderung (GGF). Mehr dazu auf seiner Website.

Seine Hobbies gemäss eigenen Aussagen: «Analysieren, Politik, ‹Weitwandern›, Schmerzen zu ertragen.»

zentralplus: Sie beschuldigen sehr viele Leute.

Schweizer: Nein, das tue ich nicht.

zentralplus: Natürlich.

Schweizer: Ja, aber die haben Fehler gemacht und müssen das ins Reine bringen. Das betrifft nicht nur mich, sondern tausende Leute in der Schweiz. Deshalb braucht es Reformen – und von den drei Kandidaten bin ich der Reformer.

zentralplus: Man könnte auch sagen: Sie sind ein Wutbürger.

Schweizer: (vehement) Nein, das stimmt nicht. Wäre ich ein Wutbürger, würde ich Ihnen eins an den Grind hauen. Aber das tue ich nicht.

zentralplus: Dann wären Sie insbesondere gewalttätig. Ich rede von einem Wutbürger, der die Faust im Sack macht.

Schweizer: Ich mache nicht die Faust im Sack. Ich bin der Reformer und Aufklärer. Ich kläre die Bevölkerung über Sachgeschäfte auf, die nicht korrekt laufen. Mir hat man etwas weggenommen: meine Familie. Aber jetzt biete ich etwas: ein politisches Programm. Ein Wutbürger macht das nicht, der geht gar nicht mehr wählen.

zentralplus: Sie äussern ein sehr grosses Misstrauen gegenüber der Justiz und Institutionen des Rechtsstaates.

Schweizer: Die Institutionen funktionieren nicht richtig, die haben eine Funktionalstörung. 

zentralplus: Als Stadtrat wären Sie aber Teil davon. Wie soll das gehen?

Schweizer: Das ist kein Problem, ich werde die Institutionen reformieren. Die muss man auf Vordermann bringen. Wenn das gelingt, blüht diese Stadt.

Möchten am 27. November 2016 gewählt werden: Franziska Bitzi Staub (links, CVP), Thomas Schärli (SVP) und Rudolf Schweizer. (Bilder: zVg)

Möchten am 27. November 2016 gewählt werden: Franziska Bitzi Staub (links, CVP), Thomas Schärli (SVP) und Rudolf Schweizer. (Bilder: zVg)

zentralplus: Werden wir konkreter. Was sind die drängendsten Probleme, die Sie als Stadtrat angehen würden?

Schweizer: Wir haben genügend Wohnungen, aber die sind viel zu teuer. Man müsste ein Konzept erarbeiten, sodass die teuren Wohnungen günstiger werden.

zentralplus: Sie fordern gesetzlich festgelegte Mietzinslimiten?

Schweizer: Nein, kein Gesetz. Die Immobilienverwalter müssten selber Vorschläge machen, wie sie das gestalten.

zentralplus: Auf welcher Grundlage denn? Jeder Vermieter hat ja ein Interesse an möglichst rentablen Wohnungen.

Schweizer: Man müsste mit dem Hauseigentümerverband und dem Mieterverband ein  Rahmenabkommen machen.

«Man muss das Kleingewerbe stärken und die Menschen besser in die Wirtschaft eingliedern.»

zentralplus: Aber das müsste verbindlich sein, oder?

Schweizer: Das wären zuerst Empfehlungen, und wenn es nicht geht, müsste man ein Gesetz machen. Aber damit schreitet man in den Markt ein, das wäre auch nicht gut. Deshalb schlage ich ein Rahmenabkommen vor.

zentralplus: Und Sie glauben, dass die Menschen sich dann freiwillig daran halten?

Schweizer: Natürlich, der Mensch hat die Fähigkeit, sich anzupassen.

zentralplus: Wo würden Sie sonst ansetzen?

Schweizer: Ein wichtiger Punkt betrifft die Arbeit. Man muss das Kleingewerbe stärken und die Menschen besser in die Wirtschaft eingliedern. Man könnte Arbeitslose oder Flüchtlinge beispielswiese in der Landwirtschaft einsetzen anstelle von Motormaschinen, die sowieso Gesundheitsschäden verursachen.

zentralplus: Das wird sich finanziell nicht lohnen – wer soll diese Löhne zahlen?

Schweizer: Nein, wir haben nur das Gefühl, dass es sich nicht lohnt. Aber wir müssen den Jungen Arbeit und damit eine richtige Zukunft geben. Sehen Sie: Wenn wir immer mehr Autos produzieren, haben wir ein Überangebot und die Autos sind weniger wert. So werden sie schneller ersetzt und wir verkommen zur Wegwerfgesellschaft.

zentralplus: Aber die Menschen können sich mehr leisten, wenn die Produkte günstiger sind.

Schweizer: Das Ziel ist, von der Wegwerfgesellschaft wegzukommen, das ist der ökologische Punkt. Das ökonomische Ziel ist, Menschen eine Arbeit zu geben. Das ist mein Programm: Wir müssen die Wirtschaft in Balance bringen.

Sein politisches Programm hat Rudolf Schweizer auf eine Stellwand gedruckt: Arbeit und Soziales seien seine Schwerpunkte.

Sein politisches Programm hat Rudolf Schweizer auf eine Stellwand gedruckt: Arbeit und Soziales seien seine Schwerpunkte.

(Bild: jal)

zentralplus: Kommen wir zu einem anderen Thema. Thomas Schärli verlangt die Schliessung des Stadttheaters. Was sagen Sie zum Thema?

Schweizer: Thomas Schärli ist ein Banause. Er kann die Bühnenbildner und die anderen Theater-Mitarbeiter dann bei seinem Coop anstellen, die können dann an der Kasse arbeiten, dann brauchen wir diese elektronischen Kassen nicht mehr.

zentralplus: Gut, das ist ein anderes Thema. Wie stehen Sie zum Theater?

Schweizer: Ich bin für das Theater. Eine vernünftige Renovation des Theaters finde ich gut, aber es braucht nicht zehn Bühnen. Die Stadt will ja die Bahnhofstrasse begrünen, aber man sollte unbedingt die Box beim Theater stehen lassen. Das ist ein attraktives Konzept. Dafür würde ich den Südpol schliessen.

zentralplus: Warum wollen Sie das städtische Kulturzentrum Südpol schliessen?

Schweizer: Weil das nicht rentiert. Ich würde ein Schulhaus draus machen, schliesslich muss die Stadt in Schulhäuser investieren und Luzern Süd wächst mit dem Mattenhofquartier enorm.

«Es wäre völliger Blödsinn, wenn ich mich in die Finanzen einarbeiten müsste.»

zentralplus: Im Gegensatz zu Bitzi Staub und Schärli haben Sie keine politische Erfahrung. Wieso trauen Sie sich die Arbeit als Stadtrat zu?

Schweizer: Ich würde veranlassen, dass es eine Rochade gäbe.

zentralplus: Inwiefern?

Schweizer: Martin Merki, der ja die Finanzen seit dem Rücktritt von Stefan Roth führt, würde die Finanzdirektion übernehmen, weil er sich da bereits auskennt. Es wäre völliger Blödsinn, wenn ich mich da einarbeiten müsste. Und weil ich für Soziales und Arbeit einstehe, würde ich Merkis Department übernehmen.

zentralplus: Abgesehen davon, dass Sie das nicht selber entscheiden: Das Sozialdepartement zu führen würden Sie sich zutrauen?

Schweizer: Ja, das wäre für die Stadt gut, weil ich ein Entwickler bin und diesen Bereich sozialer gestalten würde.

zentralplus: Als Stadtrat muss man einiges wissen. Wir testen Ihre Kenntnisse: Wie hoch sind die Schulden der Stadt Luzern voraussichtlich Ende Jahr?

Schweizer: Uh, die werden sicher hoch sein. Aber die genaue Zahl weiss ich nicht. (Anmerkung der Redaktion: Die richtige Antwort wäre 167,2 Mio. Franken gemäss Budget 2016)

zentralplus: Dann eine Frage aus Ihrem bevorzugten Gebiet: Wie hoch ist die Sozialhilfequote der Stadt?

Schweizer: In Kriens, das weiss ich, lag sie zuletzt etwa bei 3,6 Prozent (überlegt kurz). Ich denke, in der Stadt wird das ähnlich sein (Anm. d. Red: 2015 betrug die Sozialhilfequote in der Stadt Luzern 3,5 Prozent). Aber das Wichtigste ist ja eben, dass wir diese Quote senken, dass wir den jungen Menschen eine Zukunft geben.

Rudolf Schweizer im «Übergwändli»: Damit will er zeigen, dass er für die Anliegen der Handwerker einsteht.

Rudolf Schweizer im «Übergwändli»: Damit will er zeigen, dass er für die Anliegen der Handwerker einsteht.

(Bild: rob)

zentralplus: Sie sind ein Aussenseiter und in keiner Partei …

Schweizer: (unterbricht den Satz) Natürlich bin ich unabhängig, aber ich habe viele Leute hinter mir, ansonsten hätte ich nicht vier Listen zustande gebracht.

zentralplus: Manche bezeichnen Ihre Kandidatur als Witz.

Schweizer: (laut) Das ist kein Gag, es ist mir ernst, todernst.

zentralplus: Aber Sie wissen ja, dass Sie nicht die Mehrheit der Stimmen erreichen werden.

Schweizer: Alles ist möglich, das Feld ist offen. Ich denke, es wird Folgendes passieren: Manche wollen weder CVP noch SVP, weil sie enttäuscht sind – wie in Amerika. So wird der Kuchen von Franziska Bitzi immer kleiner – und dann gibt es einen zweiten Wahlgang.

zentralplus: Was ändert sich bei einem zweiten Wahlgang?

Schweizer: Im ersten Wahlgang im Frühling hatte ich zirka 500 Stimmen, im zweiten dann bereits rund 1760. Durch die Präsenz mit meinem Programm konnte ich meinen Stimmenanteil erhöhen. Ich leiste Aufklärung darüber, was nicht funktioniert. Die Leute machen sich Gedanken – das ist ein Lernprozess für die Bevölkerung. Abgesehen davon finde ich, dass es eigentlich keinen fünften Stadtrat braucht. Man sieht ja jetzt, dass es auch zu viert funktioniert.

«Ich rede auf der Strasse oft mit Leuten, die über die Politik fluchen und nicht mehr wählen gehen.»

zentralplus: Wie viele Stimmen erhoffen Sie sich am 27. November?

Schweizer: Ich denke, mein Wähleranteil wird nochmals grösser, ich rechne mit rund 5000 Stimmen. Auch Thomas Schärli wird wohl ähnliches Potenzial entwickeln, ich werde ihn wahrscheinlich sogar schlagen.

zentralplus: Als Stadtrat müssen Sie zuhören und auf die Anliegen der Bevölkerung eingehen können. Können Sie das?

Schweizer: (vehement) Ja klar. Ich bin oft auf der Strasse und rede mit Leuten, die sagen, sie haben der CVP den Austritt gegeben. Leute, die über die Politik fluchen, die nicht mehr wählen gehen.

zentralplus: Sie leben erst seit kurzem in Luzern. Was sagen Sie Leuten, die Ihren Anspruch auf das Stadtratsamt als anmassend bezeichnen?

Schweizer: Es stimmt, dass ich vorher in Malters gewohnt habe. Aber ich arbeite seit Jahrzehnten in der Stadt, kenne das Gewerbe hier und kaufe in der Stadt Produkte ein. Ich kenne die Stadt wohl besser als manch anderer.

 

Hinweis: Hier finden Sie die Interviews mit Thomas Schärli: «Gebranntes Kind der CVP» will Luzerner Theater schliessen und Franziska Bitzi Staub: CVP-Spitzenkandidatin hegt Zweifel an Tiefsteuerstrategie.

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