Beim Datenschutz bleibt Luzern Schlusslicht

«Die Situation spitzt sich immer mehr zu»

Die Digitalisierung sei ein zweischneidiges Schwert, findet der Luzerner Datenschutzbeauftragte Reto Fanger. (Bild: jal)

Die Digitalisierung schreitet schneller voran, als der Luzerner Datenschutzbeauftragte Reto Fanger arbeiten kann. Er fordert seit Jahren mehr Unterstützung. Doch trotz rekordhoher Arbeitslast hat der Regierungsrat eine Aufstockung der Stelle sistiert. Mit unklaren Folgen.

Es ist ein Rekord, der beim Luzerner Datenschutzbeauftragten Reto Fanger keine Freudensprünge auslöst: 2015 hatte er mit 305 neuen Geschäftsfällen so viel zu tun wie nie zu vor. Das Problem dabei: Obwohl er immer mehr Anfragen erhält und in immer mehr aufwendige Projekte einbezogen wird, ist die Datenschutzaufsicht seit über zehn Jahren nicht aufgestockt worden. Fanger bekleidet eine 50-Prozent-Stelle, sein Mitarbeiter ein 40-Prozent-Pensum. Zum Vergleich: Der gut dreimal kleinere Kanton Zug hat seine Datenschutzstelle mit 160 Stellenprozent dotiert.

Mehr noch: Von den elf mittelgrossen kantonalen Datenschutzstellen stehe Luzern klar als Schlusslicht da, was die finanziellen Ausgaben für den Datenschutz betreffe, sagt Fanger. Das habe eine interne Umfrage der Konferenz der Kantonsregierungen gezeigt. «Wir geben jährlich nicht mal 50 Rappen pro Kopf für den Datenschutz aus.»

Seit Jahren bläst der Luzerner Datenschutzbeauftragte daher ins gleiche Horn: Er braucht mehr Personal. «Die Situation spitzt sich immer mehr zu», warnt Reto Fanger (zentralplus berichtete).

Kurze Freude

Aussicht auf Besserung kam letztes Jahr auf. Der Regierungsrat beschloss im Frühling, die Datenschutzstelle um 100 Prozent aufzustocken. Doch die Freude bei Fanger war nur von kurzer Dauer: Aus Spargründen nahm die Regierung den Entscheid im Herbst wieder zurück.

«Grund für die Rückstellung war die angespannte Finanzsituation im Hinblick auf das Budget 2016», begründet Regierungspräsident Marcel Schwerzmann (parteilos). Zudem verweist er darauf, dass der Kantonsrat letzten Herbst eine Bemerkung überwiesen hat, wonach die Stellenerhöhung beim Datenschutzbeauftragten noch einmal zu überprüfen sei.

«Das Missbrauchspotenzial ist gross.»

Reto Fanger, Luzerner Datenschutzbeauftragter

Diese Überprüfung erfolgt laut Schwerzmann derzeit im Rahmen der Arbeiten zur Botschaft zum Konsolidierungsprogramm 2017. Solange die Überprüfung nicht abgeschlossen sei, könne er nicht sagen, ob der Stellenetat 2017 erhöht wird oder nicht.

Horwer Drohnenfall als Beispiel

Doch, wo konkret spüren die Luzerner die fehlenden Ressourcen? «Das Missbrauchspotenzial ist gross», sagt Reto Fanger. Möglicherweise hätten zum Beispiel unberechtigte Personen Zugriff auf persönliche Daten. Das kann nicht nur durch Hackerangriffe geschehen, sondern auch, indem die Informationen durch unverschlüsselte Mails versendet oder irrtümlich von einem Amt zum nächsten weitergegeben werden.

Besonders fatal ist das natürlich bei sensiblen Daten, zum Beispiel bei Patientendossiers des Kantonsspitals, Strafregisterauszügen, Steuererklärungen oder Gefährdungsmeldungen der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde. «Womöglich merken die Betroffenen das gar nicht, weil wir keine Zeit für Kontrollen haben und das niemand aufdeckt», sagt Fanger.

Nicht nur die Weitergabe von Informationen kann die Rechte der Bürger verletzen, sondern auch das unrechtmässige Sammeln von Daten. Für nationales Aufsehen sorgte in dieser Hinsicht kürzlich der Drohnen-Fall in Horw: Die Gemeinde liess mit einer Drohne etliche Villen am Seeufer filmen, um illegale Bauten zu dokumentieren (zentralplus berichtete).

Datenschützer Reto Fanger verlangte, dass die Bilder gelöscht werden, weil die Aufnahmen unverhältnissmässig seien, keine rechtliche Grundlage haben und die Anwohner nicht genügend informiert worden seien. Doch die Gemeinde weigerte sich und will die Aufnahmen behalten. Fanger hat daraufhin Beschwerde beim Regierungsrat eingelegt, der Fall ist hängig.

Eine bis zwei Kontrollen

Als unabhängige Aufsichtsstelle ist der Datenschützer zuständig für die Kantonsverwaltung, für 82 Gemeinden (alle ausser die Stadt Luzern, die eine eigene Stelle hat) und Organisationen mit Leistungsaufträgen, wie etwa die Universität, das Kantonsspital oder die Psychiatrie. Eine bis zwei Kontrollen, sogenannte Audits, führt der Luzerner Datenschutzbeauftragte pro Jahr durch. Systematische und regelmässige Überprüfungen liegen laut Fanger nicht drin.

 

Ebenfalls zu kurz kommt die Kontrolle des Schengen-Informationssystems, eine riesige Datenbank mit fast 50 Millionen Datensätzen, auf welche die Polizei und das Migrationsamt Zugriff haben. «Es kann sein, dass ein Polizist in dieser Datenbank eine Abfrage über jemanden macht – einfach aus Neugier, weil ihm diese Person gefällt oder weil sie prominent ist», nennt Fanger ein Beispiel. Die kantonalen Datenschutzbeauftragten müssten jährlich einmal stichprobenartig die Computersysteme prüfen: In Luzern kommt es laut Fanger nur alle zwei bis drei Jahre zu einer «oberflächlichen» Kontrolle.

Bewusstsein vorhanden

Und die Digitalisierung wirft immer mehr Fragen auf. In der zunehmend günstigeren Technik – Stichworte: Drohnen, Speicherplatz, Datenbanken – sieht Fanger denn auch die grösste Herausforderung. Denn sie verursacht immer grössere Datenmengen, die ausgewertet werden können. Ein zweischneidiges Schwert: «Wir nutzen diese Errungenschaften, aber zahlen es mit unseren persönlichen Informationen.»

Und nicht nur im privaten Alltag hält dieser Trend Einzug, sondern auch bei den Behörden. Bei etlichen Gemeinden ein Thema ist zum Beispiel Cloud Computing – wo die Verwaltung ihre Daten also extern speichern lässt. «Wenn ein privater Anbieter heikle Daten aufbewahrt, stellen sich zahlreiche grundlegende Fragen. Aber wir sind fast nicht in der Lage, diese zu beantworten», sagt Fanger. Er wisse zum Beispiel nicht, ob es im Kanton Luzern bereits Gemeinden gibt, die Cloud Computing über private Anbieter nutzen.

«Wir nutzen die technischen Errungenschaften, aber zahlen es mit unseren persönlichen Informationen.»

Reto Fanger, Datenschutzbeauftragter

Fanger beobachtet aber gleichzeitig, dass das Bewusstsein für heikle Fragen im Umgang mit Personendaten sowohl in der Bevölkerung als auch bei der Verwaltung gestiegen ist. «Fast jeder besitzt heute ein Smartphone, nutzt Apps und surft auf Social Media: Parallel zur technischen Entwicklung ist der Datenschutz ein grosses Thema geworden.» Für ihn ein Grund, wieso die Anfragen an ihn zunehmen.

Status quo für Regierung vertretbar

Obwohl Fanger jedes Jahr in seinem Tätigkeitsbericht auf das Problem hinweist, geschieht nichts. Also alles halb so schlimm? Zu diesem Punkt gehen die Meinungen auseinander.

«Klar, es funktioniert auch, wenn man nicht so genau hinschaut», sagt Fanger mit einem ironischen Unterton. Bei ihren Kontrollen stelle die Datenschutzaufsicht jedoch immer Abweichungen fest. «Wir erhalten auch laufend Reklamationen aus der Bevölkerung, denen wir nachgehen, soweit wir können.»

Wie viele Stellen der Datenschutz in Luzern bräuchte, will Fanger indes nicht konkret beziffern. Für ihn ist aber klar: «Die letztes Jahr beschlossene und wieder gestrichene Erhöhung um 100 Prozent würde nicht reichen, um mit vergleichbaren Kantonen mitzuziehen, aber es wäre besser als die heutige Situation.»

«Angesichts der angespannten finanziellen Situation erachten wir den Status quo als vertretbar.»

Marcel Schwerzmann, Regierungspräsident

Laut Schwerzmann sei dem Regierungsrat bewusst, dass es im Rahmen der heutigen Dotierung nicht einfach sei, die wachsenden Aufgaben des Datenschutzes zu erfüllen. Trotzdem sagt er: «Angesichts der angespannten finanziellen Situation des Kantons erachten wir den Status quo im Bereich Datenschutz aber als vertretbar.» Da der Umfang und die Komplexität auch in anderen öffentlichen Aufgabenbereichen zunehme, sei eine strikte Priorisierung und die Beschränkung auf das Notwendige erforderlich. Der Effizienzdruck sei umso höher, als in der kantonalen Verwaltung seit 2012 ein genereller Stellenstopp gilt, so Schwerzmann.

Der Luzerner Datenschützer Reto Fanger will die Politik der Regierung nicht kommentieren. «Das ist letztlich eine politische Frage.» Und die will er den Politikern überlassen: «Es ist nicht meine Aufgabe, politische Prozesse anzustossen.»

 

Fälle aus der Praxis

Der Luzerner Datenschutzbeauftragte hat letztes Jahr 264 Anfragen von Privatpersonen, Gemeinden und Verwaltungen bearbeitet. Die folgenden Beispiele zeigen die Bandbreite der Fragen:

  • Darf die Gemeinde meine Adresse an die Billag weitergeben?

Das wollte eine Privatperson vom Datenschutzbeauftragten wissen. Der Betroffene hat der Gemeinde am neuen Wohnort mitgeteilt, dass seine Adresse nicht weitergegeben werden darf – und hat trotzdem Post der Billag erhalten. Das ist zulässig, so der Datenschützer, die Billag ist gesetzlich ermächtigt, Adressen abzufragen.

  • Darf man Schulareale mit Videokameras überwachen?

Das wollte eine Kantonsschule von Reto Fanger klären lassen, weil sie die Schuleingänge überwachen wollte. Der Datenschützer kam zum Schluss: Videokameras sind zulässig, wenn dadurch Straftaten wie Vandalismus verhindert oder geahndet werden können und dies verhältnismässig ist. Allerdings: Die Standorte der Kameras müssen bekannt sein und die Aufnahmen nach 100 Tagen gelöscht werden.

  • Eine Lehrperson ist unerwartet gestorben – darf man seine Mails anschauen?

Das liess eine Schule beim Datenschutzbeauftragten abklären. Seine Einschätzung: Nur die geschäftlichen Mails dürfen bearbeitet werden und zwar nur durch den Vorgesetzten. Was gemäss Betreff offensichtlich privat ist, darf weder geöffnet noch kopiert werden. Das Konto muss anschliessend deaktiviert werden.

  • Darf der Veterinärdienst über den Erstatter einer Anzeige Auskunft geben?

Eine Hundehalterin erkundigte sich beim Datenschützer über einen besonderen Fall. Jemand hat dem Veterinärdienst gemeldet, dass ihr Hund Menschen belästige. Daraufhin wurden ihr vom Amt mit Massnahmen und Kosten gedroht. Sie wollte wissen, wer die Reklamation gemeldet hat – doch das Amt verweigerte die Auskunft. Gemäss Reto Fanger zu Recht: Grundsätzlich muss das Amt keine Informationen über Dritte herausrücken. Falls indes ein Verwaltungsverfahren eröffnet würde, wäre der Frau Akteneinsicht zu gewähren – und damit unter Umständen der Anspruch auf den Namen dieser Person. 

  • Darf die Kirche dokumentieren, wer ihre Toilette benutzt?

Das wollte eine Kirchgemeinde wissen. Der Hintergrund: Die Kirchgemeinde hat im Nachbarhaus ein WC gemietet, was ein Mitglied als Geldverschwendung erachtet. Dieses verlangte daraufhin, dass dokumentiert wird, wer wann die Toilette benützt. Der Datenschützer beurteilt diese Forderung klar als unzulässig. Sie entbehre jeder gesetzlichen Grundlage und sei nicht verhältnismässig. Wenn schon, müsste eine Zählung anonym erfolgen.

 

 

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