Interview mit Piraten-Präsident Alan Timme

Ein Physiker auf Beutefang im Kanton Zug

Alan Timme, der Präsident der Piratenpartei Zentralschweiz, an seinem Arbeitsort in Rotkreuz.

(Bild: pbu)

Alan Timme, der frisch gewählte Präsident der Piratenpartei Zentralschweiz, hat einen politischen Schnellstart hingelegt. Im Interview erzählt der 27-jährige Kapitän, mit welchen politischen Manövern er die Piraten zu neuer Stärke führen möchte, woran es etablierten Politikern mangelt – und weshalb es in England zum Brexit gekommen ist.

Zu Jahresbeginn 2015 stieg Alan Timme aus Baar an Bord bei der Piratenpartei Zentralschweiz. Zunächst nur stiller Beobachter, steht der 27-jährige Unternehmensberater und studierter Physiker seit Anfang Juli 2016 bereits an der Spitze der Partei. Wir treffen den frischgebackenen Kapitän auf ein Mittagessen in Rotkreuz. Und keine Angst: Es kommt noch eine ganze Breitseite von Piratenmetaphern.

zentralplus: Alan Timme, wie kommt man als studierter Physiker in die Politik?

Alan Timme: Per Zufall, könnte man sagen. Politik hat mich zwar schon immer interessiert. Ich habe aber weder durch mein kollegiales noch durch mein familiäres Umfeld jemals Zugang dazu gehabt. Die Politik wurde mir nicht in die Wiege gelegt. Politik wird auch nicht in der Schule erklärt. So musste ich mir selbst erst ein Bild machen. Als ich das Gefühl hatte, einen Überblick zu haben, entschloss ich mich, politisch aktiv zu werden. Ich habe mich darüber informiert, wofür die einzelnen Parteien stehen und wie ihre Wahlprogramme aussehen. Schnell wurde mir dabei klar, dass die einzige Partei, die meine Ansichten repräsentiert, die Piraten sind.

«Ich wollte kein Aktivist sein, der nicht weiss, wofür.»

zentralplus: Und dann haben Sie sich von null auf hundert ins politische Gewässer gestürzt?

Timme: Nein, am Anfang war ich nur passives Mitglied der Piraten. Das heisst, im ersten Jahr habe ich nur den Newsletter gelesen. Mir war wichtig, die Partei und ihr Programm zunächst ausgiebig kennenzulernen. Ich wollte kein Aktivist sein, der nicht weiss, wofür. Nach gut einem Jahr habe ich doch relativ gut verstanden, wofür die Piraten stehen. Ab dann wurde ich aktiv, ging zu Versammlungen und habe das Amt des Quästors übernommen. Dies auch mit dem Hintergedanken, dass mich das noch enger ans Parteigeschehen bindet.

zentralplus: Mit der Bindung hat es nun definitiv geklappt, und zwar im Eiltempo – eineinhalb Jahre nach Ihrem Beitritt wurden Sie bereits zum Parteipräsidenten ernannt.

Timme: Das Ganze hat sich auf natürliche Weise so entwickelt. Ich bin der Piratenpartei beigetreten wegen ihrer Ausrichtung. Weil wir die gleichen Überzeugungen vertreten. Und nun vertrete ich diese Ausrichtung nach aussen.

zentralplus: Mit welchen Punkten konnten die Piraten Sie überzeugen?

Timme: Für mich am wichtigsten sind Progressivität und Unabhängigkeit. Das zeichnet die Piraten aus. Die Partei ist relativ klein. Das hat den Vorteil, dass wir flexibel sind und agil auf politische Themen reagieren können. Auf der anderen Seite hängen damit aber auch Nachteile zusammen: Wir werden aufgrund unserer Grösse von etablierten Parteien vielleicht nicht allzu ernst genommen und können aufgrund dessen politisch nicht so viel bewirken. Aber genau daran will ich arbeiten.

«Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass das Deck geschrubbt wird.»

zentralplus: Da gegenzusteuern liegt ja jetzt in Ihren Händen. Was sind Ihre politischen Ziele?

Timme: Ich möchte dazu beitragen, dass die Partei wächst. Ich möchte sie weiterbringen, um in Zug etwas bewirken zu können. Als Kapitän habe ich dafür zu sorgen, dass die Segel geschlossen in eine Richtung zeigen, und diesen Kurs nach aussen hin zu repräsentieren. Ich habe nicht vor, die Partei gänzlich neu auszurichten. Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass das Deck geschrubbt wird. Es gilt, klar Schiff zu machen, um dann parat zu sein, wenn es ums Auslaufen geht.

zentralplus: Und wohin wird die Fahrt gehen?

Timme: Wir müssen uns vergrössern. Das ist das A und O. Wir wollen zu einer ernst zu nehmenden Kraft in der Politlandschaft werden. Ich bin zwar Präsident der Piratenpartei Zentralschweiz, aber unser Fokus richtet sich diesbezüglich klar auf den Kanton Zug. Hier konnten wir bereits einiges bewirken und verfügen über eine gewisse Präsenz. Nicht zuletzt wegen des Kantonsratssitzes von Jolanda Spiess-Hegglin. Ich möchte diesen Wind, der hier unsere Segel wölbt, nutzen, um neue Mitglieder zu gewinnen und unsere Basis zu vergrössern. Das ist schlussendlich das, was wir brauchen, um weiterzukommen. Denn mit der aktuellen Grösse sind wir limitiert in dem, was wir bewirken können. Als erste Priorität gilt es darum, unsere Präsenz aufrechtzuerhalten und auszubauen. Priorität zwei besteht darin, unser Bild nach aussen zu tragen, den Leuten zu zeigen, was wir machen, wofür wir stehen und wie unser politisches Programm aussieht.

zentralplus: Haben Sie denn schon konkrete Ideen, wie Sie das umsetzen wollen?

Timme: Wir haben Podiumsdiskussionen und andere Events geplant, die dazu beitragen sollen. Unsere Wählerschaft besteht vor allem aus jungen Leuten. Da gibt es noch grosses Potenzial an politischen Abstinenzlern. Diese versuchen wir aktiv mit an Bord zu holen. Wir vertreten die Interessen der Jungen, daher liegt es natürlich in unserem Interesse, die Jungen zu mobilisieren. In meiner Position muss ich nicht die Leute von meiner Meinung überzeugen, sondern versuchen, die Leute politisch zu aktivieren. Denn da liegt das Problem: Die Jungen haben zwar eine Meinung, sind aber politisch nicht aktiv.

«Stände- und Nationalräte brauchen eine Expertenkommission, um das Thema Internetneutralität überhaupt zu verstehen.»

zentralplus: Wie sieht das Parteiprogramm der Piraten unter der Führung von Alan Timme aus?

Timme: Wir orientieren uns natürlich an der nationalen Partei. Unsere drei Leitwörter fassen unser Programm sehr gut zusammen: humanistisch, liberal und progressiv. In diese Richtung stossen wir vor. Um etwas konkreter zu werden: Eines unserer Hauptthemen ist die Kryptographie und die Sicherheit im Internet. Ganz generell geht es uns um Themen, für welche sich die etablierten Parteien aufgrund ihres Durchschnittsalters nicht eignen, darüber zu bestimmen. Stände- und Nationalräte brauchen beispielsweise für das Thema Internetneutralität eine Expertenkommission, um den Sachverhalt überhaupt zu verstehen. Genau in dieser Sache braucht es die Kraft einer jüngeren Generation aus Digital Natives. Dort bieten wir der Gesellschaft einen Mehrwert. Natürlich haben wir auch zu etablierten politischen Themen unsere Meinung. Aber unsere Stärke liegt klar bei diesen Nischenthemen.

Zur Person

Alan Timme (27) ist in Samstagern (ZH) aufgewachsen. Seit gut zweieinhalb Jahren lebt er in Baar. Er absolvierte die International School in Kilchberg und war anschliessend in verschiedenen Gastronomiebetrieben tätig, um sich sein Studium finanzieren zu können. Dieses absolvierte er am King’s College in London, welches er mit dem Bachelor in Physik und Astrophysik abschloss.

Daraufhin kehrte er in die Schweiz zurück und stieg vor vier Jahren bei der IMS Health in Rotkreuz in den Pharmabereich ein. Mittlerweile ist er dort als Unternehmensberater tätig.

zentralplus: Ihre politische Strategie besteht also darin, auf Nischenthemen zu setzen?

Timme: Jein. Was heisst Strategie? Wir sehen in diesen wichtigen Themen einen Mangel. Eben weil dort zu wenig getan wird, hat sich die Piratenpartei diese Themen auf die Fahne geschrieben. Im Internet gibt es noch zu viele ungeregelte und unbestimmte Sachverhalte. Das liegt auch am Alter der Politiker. Nehmen wir das Beispiel Internet Bullying, unter dem viele Leute leiden. Da gilt es dringend zu handeln. Aber die Politik kümmert sich nicht darum, weil die Politiker nicht verstehen, worum es dort überhaupt geht.

zentralplus: Dann braucht’s also einen Generationenwechsel? Sind die Piraten mit ihren Themen vielleicht schlicht ein paar Jahre zu früh dran?

Timme: Nein, im Gegenteil, wir sind zu spät dran. Das Internet existiert jetzt schon länger, aber die Politik hat erst minimale Schritte unternommen, um das geltende Gesetz an die neue Realität anzupassen. Das ist aber ein generelles Problem in der Politik. Die Prozesse funktionieren relativ langsam, vor allem verglichen mit der heutigen Schnelllebigkeit.

zentralplus: Ihre Parteikollegin Biljana Lukic kandidierte vor Kurzem für das Amt als Zuger Verwaltungsrichterin, ohne je daran zu glauben, gewählt zu werden. Das hat für böses Blut und einigen Medienrummel gesorgt (zentralplus berichtete). Werden Sie weiterhin auf diese provokative Weise Wahlkampf betreiben?

Timme: Dabei ging es nicht um Wahlkampf. Wir haben unsere Kandidatin aufgestellt, um auf den Missstand der Postenschacherei aufmerksam zu machen. Das war eine Protestaktion gegen die stille Wahl, die es zu verhindern galt. Und das ging nur durch das Aufstellen einer Kandidatin.

«Dass unsere Kandidatin elf Prozent der Stimmen erhielt, zeigt, dass die Zuger Bevölkerung bei solchen Postenvergaben mitreden möchte.»

zentralplus: Aber das ist ja Wahlkampf. Schliesslich ging es dabei auch darum, medial Präsenz zu erlangen.

Timme: Das hat sicher auch eine Rolle gespielt. Aber wie gesagt, der Punkt ist, dass wir die stille Wahl verhindern wollten. Und dass solche Posten hinter den Kulissen mit Abstimmung der Parteien einander zugespielt werden und das Volk in diesen Fragen keine Mitsprache hat. Es ging dabei rein um Parteizugehörigkeit und nicht darum, wer sich am besten für diesen Posten eignet. Wir wollten eine Volksabstimmung, um die Wahl zu legitimieren. Die Tatsache, dass unsere Kandidatin, die ja, wie öffentlich kommuniziert, keinen juristischen Hintergrund hat, elf Prozent der Stimmen erhielt, zeigt, dass die Zuger Bevölkerung Interesse daran hat, bei solchen Postenvergaben mitreden zu können. Es war wie jüngst bei den Engländern. Auch sie versuchten sich mit ihrer Protestaktion gegen die EU Gehör zu verschaffen. Nur haben sie so laut protestiert, dass der Brexit Tatsache ist. Damit haben sie sich ins eigene Bein geschossen. Bei uns war klar, dass wir die Wahl niemals gewinnen werden, dafür ist das demokratische Verständnis in der Schweiz zu gross.

zentralplus: Haben Sie vor, in diesem Stil weiter zu politisieren?

Timme: In diesem Fall hat es Sinn gemacht, da wir die stille Wahl verhindern konnten. Aber einfach so Protestaktionen zu fahren, war nie unsere politische Richtung. Und jemanden nur wegen der medialen Präsenz zu nominieren, ist nicht unsere politische Taktik. Wir werden uns weiterhin auf unsere Themen fokussieren und diese entsprechend bearbeiten.

zentralplus: Zurück zum Parteiprogramm. Die Rede ist da von Kryptographie, von Internetneutralität und Cyber-Kriminalität. Inwiefern spielen diese Themen in der Zentralschweiz überhaupt eine Rolle?

Timme: Ich glaube, das spielt überall eine Rolle. Die Frage ist, inwiefern die Zentralschweiz dazu beitragen kann, diese auf die nationale Ebene zu bringen. Man muss irgendwo mit politischen Themen Fuss fassen. Die Aufmerksamkeit auf diese Themen lenken und von da aus die Basis erweitern.

zentralplus: In diesem Fall ist der Kanton Zug keine schlechte Wahl. Gemeinhin ist ja vom Krypto Valley die Rede, das sollte Ihrer politischen Ausrichtung doch entgegenkommen. Was denken Sie über Bitcoin, Blockchain und die digitalisierte Finanzwelt?

Timme: Ich finde das sehr interessant. Natürlich kommt uns entgegen, dass Zug in dieser Hinsicht so etwas wie eine Vorreiterrolle einnimmt. Ich besitze allerdings keine Bitcoins, weil ich keine Verwendung dafür habe. Der Wert von Bitcoins ist mir viel zu volatil.

«Es ist nicht meine Ambition, Zuger Regierungsrat zu werden.»

zentralplus: In der Stadt Zug kann man nun mit Bitcoins bezahlen (zentralplus machte den Selbstversuch). Sie finden das also keine gute Idee?

Timme: Es beweist Offenheit gegenüber Neuem. Das ist gut. Bitcoin ist dennoch nichts, das ich nutze. Aber nur, weil ich etwas nicht nutze, heisst nicht, dass das Angebot nicht existieren sollte.

zentralplus: Wagen wir abschliessend noch einen Blick in die Zukunft: Werden Sie es Stefan Thöni gleichtun und bei der nächsten Gelegenheit als Zuger Regierungsrat kandidieren?

Timme: Der Regierungsrat ist für die Piratenpartei in weiter Ferne. Unter den momentanen Umständen kann ich mir nicht vorstellen, Regierungsrat zu sein. Das ist auch nicht meine Ambition. Vielleicht ändert sich das in fünf bis zehn Jahren. Das hängt natürlich auch mit dem Erfolg der Piratenpartei zusammen. Es ist aber fraglich, ob das überhaupt realistisch ist, gerade im Hinblick auf die Regierungs- und Verwaltungsreform. Bei der angestrebten Reduktion des Regierungsrates von sieben auf fünf Mitglieder geht es letztlich nur darum, kleineren Parteien noch weniger Chancen zuzugestehen und jeglichen Widerstand zu unterdrücken. Sollte die Regierung auf fünf Mitglieder reduziert werden, würde das unsere Chancen jedenfalls arg minimieren.

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