Stadtrat wehrt sich gegen Öffentlichkeitsprinzip

Transparenz? Auch in der Stadt Luzern nicht gefragt

Nach dem Kanton will auch die Stadt Luzern kein Öffentlichkeitsprinzip einführen. Im Bild: Das Staatsarchiv des Kantons Luzern anno 1979.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Wie letzten Herbst der Kanton, will nun auch die Stadt Luzern nicht, dass seine Dokumente öffentlich werden. Ein Alleingang ohne Kanton sei nicht sinnvoll. Stimmt nicht, finden Befürworter – und wollen sich den Zugang zur Not erkämpfen.

Zu teuer – der Kanton Luzern will nicht. Mit 87 zu 28 Stimmen hat der Kantonsrat im November ein Gesetz beerdigt, das auch in Luzern das so genannte Öffentlichkeitsprinzip einführen hätte sollen. Damit wären die Dokumente der Verwaltung grundsätzlich öffentlich zugänglich geworden – heute sind sie grundsätzlich geheim.

Nun haben die Grünen, die das Gesetz angestossen hatten, nochmals einen Anlauf genommen. Diesmal in der Stadt Luzern, wo der finanzielle und politische Spielraum für Innovationen etwas grösser ist. In einer Motion forderte Grossstadtrat Urban Frye die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in der Stadt Luzern. Doch auch in der Stadt gibt es jetzt vorerst ein «Njet». Diesmal aus dem Stadthaus: Die Regierung beantragt dem Parlament, Fryes Motion abzulehnen.

Stadtrat fürchtet eingeschwärzte Dokumente

Zwar befürwort die Stadtregierung ein Öffentlichkeitsprinzip – grundsätzlich. Weil die Dokumente des Kantons und der umliegenden Gemeinden jedoch weiterhin geheim wären, müssten diese ausgesondert werden, argumentiert der Stadtrat in seiner Antwort. Der Informationsgehalt könne dadurch eingeschränkt sein.

«Wenn sie will, kann die Stadt das Öffentlichkeitsprinzip sofort einführen»

Urban Frye, Grossstadtrat Grüne

«Damit hätte die Stadt systembedingt sozusagen nur ein Öffentlichkeitsprinzip mit beschränkter Durchsetzbarkeit. Unter Umständen wären Unterlagen zu einem bestimmten Thema nur teilweise einsehbar, allenfalls müssten auch in einzelnen Dokumenten gewisse Teile eingeschwärzt werden», so der Stadtrat.

Verein plant Offensive – auch in Luzern

Der Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch hat noch einen Trumpf im Ärmel: Ein internationaler Vertrag, den auch die Schweiz ratifiziert hat, die so genannte Aarhus-Konvention, erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern bereits heute umfassenden Einblick in alle staatlichen Dokumente im Bezug auf die Umwelt. Die Aarhus-Konvention verpflichtet die Schweizer Behörden – auch in jenen Kantonen und Gemeinden, die kein Öffentlichkeitsprinzip kennen – zur Transparenz über Strassenbauprojekte, Schweinemästereien, Landwirtschaftssubventionen und alle weiteren Geschäfte mit Auswirkungen auf die Umwelt.

Bisher ist die Aarhus-Konvention in der Schweiz jedoch noch kaum bekannt und vor allem ein Papiertiger. Öffentlichkeitsgesetz.ch will das ändern: «Wir möchten dieses Instrument in Zukunft ganz gezielt nutzen, um jene Kantone, die kein Öffentlichkeitsprinzip kennen, zur Transparenz zu zwingen», sagt Martin Stoll. Dazu werde man gezielt Präzedenzfälle herausfordern, um die bisher toten Buchstaben zum Instrument in der Praxis zu machen. Journalisten, aber auch Bürgerinnen sollen sich so einfach über die Tätigkeit der Behörden informieren können. 

Urban Frye ist von dieser Argumentation nicht überzeugt: Wenn sie wolle, könne die Stadt das Öffentlichkeitsprinzip sofort einführen, findet er: «Der Stadtrat müsste nur sagen, dass die Dokumente des Kantons ausgenommen sind.»

Zwischen Bund und Kantonen klappt die Koordination

Auch Martin Stoll, Geschäftsleiter des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch, bedauert die Haltung des Stadtrats: «Es ist durchaus möglich, die Schnittstellen zu definieren, die bei der Einführung des Öffentlichkeitsgesetzes durch eine Gemeinde entstehen». Denn: Bereits heute gilt das Öffentlichkeitsprinzip auf Bundesebene, jedoch nicht in allen Kantonen. Die Abgrenzung funktioniere dort bereits relativ simpel, sagt Stoll: «Ein einziger Satz im Öffentlichkeitsgesetz des Bundes reicht dazu aus.»

In der Praxis sind Dokumente, die aus Kantonen ohne Öffentlichkeitsprinzip stammen, auch bei der Bundesverwaltung nicht öffentlich einsehbar. Dokumente, die jedoch die Bundesverwaltung selbst erstellt hat, muss sie herausrücken, auch wenn sie beispielsweise den Kanton Luzern betreffen. Dies hat zentralplus beispielsweise geholfen aufzudecken, wie die Luzerner Regierung Gelder des Lotteriefonds für ihr Moskaureisli einsetzen will. Während de Kanton mauerte, war der Schriftwechsel zwischen Regierung und der eidgenössischen Lotteriekommission Comlot über den Bund zugänglich.

Kantonale Gesetze sind auf Geheimhaltung ausgelegt

Doch der Stadtrat hat noch ein weiteres Argument gegen ein kommunales Öffentlichkeitsgesetz in Luzern: Das übergeordnete kantonale Recht sei nicht darauf abgestimmt, was zu «erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten» führe. So seien das kantonale Datenschutzgesetz, das Archivgesetz und das Verwaltungsrechtspflegegesetz auf das geltende Geheimhaltungsprinzip abgestimmt.

Das kantonale Verwaltungsrechtspflegegesetz schreibt etwa vor, dass Behörden bei Verwaltungsentscheiden «unter Ausschluss der Parteien und der Öffentlichkeit» beraten. Auch bei abgeschlossenen Verfahren ist nach kantonalem Recht keine Einsicht möglich. Allerdings regelt das Verwaltungsrechtspflegegesetz nicht sämtliches Behördenhandeln, sondern nur anfechtbare Verfügungen. Dokumente, die in der täglichen Arbeit entstehen, sind davon ebenso wenig betroffen, wie die Dokumente politischer Gremien.

«Ein städtisches Öffentlichkeitsgesetz könnte die Bekanntgabe von Personendaten in Dokumenten der Verwaltung erlauben»

Bernhard Rütsche, Rechtsprofessor Uni Luzern

Rechtsprofessor: Stadt darf ausscheren

Natürlich müsste die Stadt die kantonalen Gesetze auch weiterhin einhalten, findet Urban Frye. Aber etwa an das Datenschutzgesetz müsse sich die Verwaltung so oder so halten. «Mit etwas gutem Willen liesse sich hier eine Lösung finden», ist Frye überzeugt.

Kommt hinzu: Anders als der Stadtrat in seiner Antwort schreibt, würde das kantonale Datenschutzgesetz die Anwendung des Öffentlichkeitsprinzips in der Stadt nicht unbedingt verkomplizieren. Das kantonale Gesetz sieht zwar vor, dass Personendaten – in diesem Fall etwa die Namen von städtischen Angestellten in einer Akte – grundsätzlich geschützt sind.

Allerdings könnte ein anderes Gesetz davon abweichen, meint Bernhard Rütsche, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Luzern. «Ein städtisches Öffentlichkeitsgesetz könnte die Bekanntgabe von Personendaten in Dokumenten der städtischen Verwaltung grundsätzlich erlauben, jedenfalls soweit keine laufenden Verwaltungsverfahren betroffen sind.»  

«Transparenz bei Gemeinden schafft Vertrauen»

Es gehe ihm mit dem Postulat nicht darum, dass jedes einzelne Dokument einsehbar sei, sagt Urban Frye, sondern vor allem um einen Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung. «Der Stadtrat tat sich lange enorm schwer mit der Vorstellung, dass es die Öffentlichkeit etwas angeht, was er entscheidet.» Das sehe man etwa daran, dass die Stadt die Empfänger des FUKA-Fonds erst auf politischen Druck hin öffentlich gemacht habe. «Als die Liste dann öffentlich wurde, gab es keinen Aufschrei, keine Bombendrohungen – das zeigt, dass man meistens gar nichts zu verbergen hat und Transparenz nicht fürchten muss.» (zentralplus berichtete)

Wenn Verwaltungen dank dem Öfentlichkeitsprinzip solche Informationen selber offensiv kommunizieren könnten, würden sie profitieren, findet auch Martin Stoll von Öffentlichkeitsgesetz.ch: «Bei Gemeindeverwaltungen fallen sehr viele Informationen an, welche Bürgerinnen und Bürger sehr direkt betreffen.» Die Frage sei, wofür Steuergeld ausgegeben wird. «Wenn dort Transparenz herrscht, kann die Verwaltung Vertrauen schaffen.»

«Die jetzige Situation ist absurd»

Martin Stoll, Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch

Diese Argumente haben den Stadtrat aber nicht überzeugt. Er hält einen «städtischen Alleingang» für «keine sinnvolle Alternative». Sinnvoll liesse sich die Umstellung nur vornehmen, wenn sie «umfassend und vorbehaltslos» geschehen könne. Der Stadtrat hofft deshalb, dass der Kanton Luzern bis in vier Jahren das Öffentlichkeitsprinzip doch noch einführt. Wenn nicht, will die Stadt das Anliegen dann nochmals prüfen.

Stadtpräsident Stefan Roth stimmte übrigens im letzten Herbst bereits als Kantonsrat gegen das Öffentlichkeitsprinzip.

Martin Stoll rechnet nicht damit, dass die wenigen Kantone, die bisher noch kein Öffentlichkeitsprinzip kennen, noch über längere Zeit abseits stehen können: «Es gibt zu viele Kooperationen mit Kantonen die das Öffentlichkeitsprinzip kennen, der Bund kennt das Prinzip und auch international hat es sich durchgesetzt. Die jetzige Situation ist absurd.»

Die Stadt Luzern sollte das Öffentlichkeitsprinzip auf eigene Faust einführen, finden wir. Lesen Sie unseren Kommentar dazu.

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