Politologe beurteilt Zuger Parteienstreit

Haben die Piraten eben doch recht?

Klein und aufmüpfig: So werden die Piraten in Zug von den anderen Parteien empfunden. (Bild: fotolia.de)

Die Zuger Piraten machen sich derzeit kaum Freunde. Mit ihrer Verwaltungsgerichtskandidatur sorgten sie bei den anderen Parteien für böses Blut. zentralplus hat den Politologen befragt, wie eine so kleine Partei bloss solch grossen Missmut erregen konnte.

Die Zentralschweizer Piratenpartei hat zwar über die herkömmlichen Kanäle kaum etwas zu melden. Wähler? Von wegen. Sitze im Parlament? Einen, aber einen unvorhergesehenen. Jolanda Spiess-Hegglin, die früher bei der Alternative – die Grünen mitmischte, ist während dieser Legislatur zu den Piraten übergetreten.

Mit unkonventionellen, etwas unerhörten Aktionen macht die Partei jedoch regelmässig auf sich aufmerksam. Zuletzt, indem sie die 27-jährige Studentin Biljana Lukic ins Rennen um den Sitz des Verwaltungsrichters schickte und damit eine stille Wahl sehr laut machte (zentralplus berichtete). Das gefällt nicht allen. Vor einer knappen Woche haben sich alle sechs anderen Zuger Parteien zusammengerottet, um sich mittels Leserbrief gegen das Vorgehen der Piraten auszusprechen. Die Piraten reagierten wenig beeindruckt. zentralplus hat mit Olivier Dolder, Politikwissenschafter bei Interface Politikstudien in Luzern, geredet und ihn um eine Einschätzung zu den unorthodoxen Methoden der Piraten gebeten.

zentralplus: Die Piraten kandidieren mit einer 27-jährigen Studentin für das Amt als Verwaltungsrichterin. Dieser etwas unkonventionelle Weg hat die anderen Zuger Parteien ziemlich verärgert. Wie schätzen Sie das Vorgehen der Piratenpartei ein? 

Olivier Dolder: Grundsätzlich ist es legitim, dass sich jemand als Kandidat zur Wahl für den Richterposten aufstellen lässt. Dass es nun im Kanton Zug Kampfwahlen um ein Richteramt gibt, ist per se nichts Ungewöhnliches. Das gibt es auch in anderen Kantonen. Ich habe jedoch insofern Vorbehalte, als dass die Kandidatin selber sagt, sie trete zurück, sobald sich die Strukturen entsprechend geändert haben. Sie tritt also nicht an, um Richterin zu werden.

zentralplus: Ist es von den Piraten taktisch geschickt, eine solch freche Aktion zu starten?

Dolder: Ich attestiere den Piraten, dass es ihnen tatsächlich um die Sache geht. Also darum, wie unsere Gerichte bestückt werden. Es ist nämlich durchaus eine wichtige Frage, wie Mitglieder der dritten Gewalt bestimmt werden. Und es ist auch gut, wenn sich die Bevölkerung dessen bewusst wird und über das Thema spricht.

«Ich bin der Ansicht, die Piraten hätten mehr erreicht, wenn sie seriös kandidiert hätten.»

zentralplus: Es wirkt jedenfalls so, als verspielten sie sich damit einiges mit den anderen Parteien (zentralplus berichtete).

Dolder: Das mag sein. Das ist aber derzeit kein Problem. Die Piraten haben noch keine kritische Masse erreicht, die es ihr erlauben würde, zusammen mit anderen Parteien Mehrheiten zu bilden. Daher haben sie nichts zu verlieren. So wie ich die Partei wahrnehme, geht es ihnen unter anderem darum, bestehende Strukturen infrage zu stellen, und da bedarf es manchmal etwas weniger konventioneller Mittel. Das gehört daher ein Stück weit zu ihrem politischen Programm. Über ihre Kandidatur, also den direktdemokratischen Weg, erreichen sie wohl mehr als mittels Gesprächen mit anderen Parteien. Dennoch bin ich der Ansicht, die Piraten hätten mehr erreicht, wenn sie seriös kandidiert hätten.

zentralplus: Die meinen es aber offenbar ernst.

Dolder: Sie meinen es ernst mit der Kritik am Prozess. Ob die Kandidatin für den Job geeignet ist, muss die Bevölkerung entscheiden. Ich habe aber meine Zweifel. Es gilt aber zu beachten, dass das Zuger System keine fachlichen Anforderungen an Richter stellt.

Der Luzerner Politologe Olivier Dolder

Der Luzerner Politologe Olivier Dolder

(Bild: zvg)

zentralplus: Mittels Leserbrief stürzen sich nun alle anderen sechs Parteien auf die Piraten. Warum stören die sich so? Wurde ein Nerv getroffen?

Dolder: Das kann man wohl sagen. Es gibt dieses ungeschriebene Gesetz von einem freiwilligen Proporz: Die Parteien teilen sich die Richtersitze untereinander auf. Und nun wird plötzlich Bestehendes kritisiert. Die Parteien haben sich bis anhin allenfalls gar noch nie gefragt, ob eine stille Wahl die beste Lösung ist. Wenn dann eine kleine aufmüpfige Partei kommt und ihnen das Leben schwer macht, finden sie das natürlich nicht lustig. Aus demokratischer Sicht ist es jedoch nie schlecht, wenn man eine Auswahl hat. Bis jetzt hat die Bevölkerung die Wahl immer gänzlich den Parteien überlassen beziehungsweise überlassen müssen. Und dies trotz Volkswahl. Man darf sich fragen, ob eine Systemänderung hin zur Richterwahl durch das Parlament nicht sinnvoll wäre.

«Das Infragestellen von bestehenden Strukturen und Institutionen finde ich wichtig und gut.»

zentralplus: Generell fallen die Piraten eigentlich nur mit unerhörtem Verhalten auf. Sie klappern die Gerichte ab, waren bereits mehrmals beim Bundesgericht, nehmen – überspitzt formuliert – die quasi verstossene Jolanda Spiess-Hegglin in ihren Kreisen auf und sie lassen sich für ein Amt aufstellen, für das sie nicht im Geringsten geeignet sind. Ist das eine Strategie, die auf Dauer funktionieren kann?

Dolder: Es ist Teil des politischen Programms der Piraten, sich von den bestehenden Parteien abzuheben. Manchmal erinnern sie mich an Jungparteien, die wegen fehlender Parlamentsmandate andere Wege finden müssen, um gehört zu werden. Beschwerden vor Gericht sind im Prinzip aber überhaupt nicht unerhört. Klar, etablierte Parteien wählen in der Regel den politischen Weg. Aber auch nicht immer. Ohne Bundesgerichtsentscheide gäbe es im Kanton Zug beispielsweise keinen doppelten Pukelsheim.

Bekämen die Piraten jedoch mehr politische Relevanz, würden sie sich wohl sogenannt mässigen und konventioneller agieren. Man kann sich zwar darüber streiten, ob aufmüpfiges Verhalten grundsätzlich sinnvoll ist. Aber das Infragestellen von bestehenden Strukturen und Institutionen finde ich wichtig und gut. Dass das Thema Richterwahl Relevanz hat, zeigt sich darin, dass und wie die anderen Parteien auf die Piratenkandidatur reagiert haben.

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