Flut an politischen Vorstössen

Das grosse Gähnen im Parlament

Nicht nur in der SVP-Fraktion herrschte gestern Nachmittag im Kantonsrat eine eher lockere Stimmung. (Bild: rob)

Wollen Sie wissen, wie es um die Messung von kleinen Holzfeuerungen rechtlich bestellt ist oder wie es um die Geschwindigkeit der Homepage des Kantons Luzern steht? Oder interessiert Sie die Vereinfachung der Bewilligungspraxis für Einzelanlässe? Nicht? Dann geht es Ihnen gleich wie vielen Kantonsräten. Ein Augenschein im Dschungel der knochenharten Realpolitik.

«So etwas tue ich mir nicht an», sagte in der Mittagspause am Montag eine Parlamentarierin – und ging nach Hause. So wie sie – wir wollen hier den Namen lieber nicht nennen – dachten an diesem heissen Sommertag im Luzerner Kantonsparlament wohl viele der 120 Kantonsräte. Allerdings nahmen «nur» 13 Volksvertreter ihrer demokratischen Pflichten nicht wahr. Der Rest blieb. Eisern.

Dabei hätte es Grund genug gegeben, für einmal der Politik den Rücken zu kehren und stattdessen einen Sprung ins kühle Nass zu wagen. Und das nicht wegen des tollen Wetters, sondern wegen der schieren Flut an parlamentarischen Vorstössen. 47 sind es, um genau zu sein. Und bei jedem Postulat, bei jeder Motion und bei sämtlichen Anfragen geht es selbstverständlich immer um Weltbewegendes. Zumindest aus der Sicht des jeweiligen Verfassers.

Ein Geschäft nach dem anderen

Beispiele gefällig? Da wäre etwa die Anfrage von Rosy Schmid (FDP, Hildisrieden) über die «CO2-Messung von kleinen Holzfeuerungen», bei der sie alles Mögliche wissen wollte, unter anderem, wie viele Anlagen betroffen seien und – etwas salopp ausgedrückt – was das alles schadstoffmässig bringt. Es wird hin- und herdiskutiert, es werden Statements abgelesen und am Schluss heisst es wie meist an diesem Nachmittag: «Rosy Schmid ist mit der Antwort der Regierung nicht zufrieden, das Geschäft ist damit erledigt.»

Weiter geht es mit dem Thema Fischzuchtanlagen auf Bauernhöfen, wo sich der Fragesteller – ein Berufsfischer übrigens – Sorgen macht um den Tierschutz und die mangelhafte Ausbildung der Bauern. Da ist dann die Rede von «gleichlangen Spiessen für alle Bauern, wenn sie Fisch züchten wollen», und so fort und so weiter. «Das ist ja ein trostloser Nachmittag», rutscht es einem langjährigen treuen Korrespondenten heraus. Ganz anders sieht dies ein Parlamentarier: «Fischzucht ist ein ganz interessanter Bereich in der Landwirtschaft», sagt er freudig. Im Saal sieht man eher dösende Minen.

«Das ist ja ein trostloser Nachmittag.»

Spontane Bemerkung eines Journalisten

Telefonieren, surfen, flunkern

Je länger der Nachmittag dauert, desto höher steigt der Lärmpegel, desto mehr zirkulieren Parlamentarier zwischen den Reihen, holen sich einen Kaffee oder machen einen Schwatz unter Kollegen. Der eine oder andere telefoniert, andere schreiben SMS oder E-mail, lesen Zeitungen oder informieren sich auf Online-Portalen. Da und dort wird geflunkert, gelacht und sogar etwas geflirtet.

Ja hört denn gar niemand zu? Doch, doch. Wir wollen hier nicht die Parlamentarier schlecht machen. Viele geben sich Mühe, dem Geschehen aufmerksam zu folgen. Auch wenn die Debatte um die «Messung des ökologischen Fussabrucks» auf der rechten Seite des Rats eher weniger Begeisterung auslöst als bei der SP und den Grünen.

Diese sind es denn auch, die den Sessionstag mit zahlreichen Vorstössen hauptsächlich bestreiten. Obwohl nur 25 zur Linken gehören, also im 120-köpfigen Parlament eine relativ kleine Minderheit sind, stammen von den 47 traktandierten Vorstössen deren 26 von ihnen, was mehr als die Hälfte ausmacht. Kein Wunder, dass die Geduld im 95-köpfigen Bürgerblock mitunter arg strapaziert wird. Das war an der einen oder anderen Stelle auch zu hören. Marcel Omlin (SVP) etwa platzte irgendwann dann doch der Kragen, als er zur Grünen Monique Frey sagte: «Wenn man daran denkt, dass dein Postulat absolut für den Güsel ist.» Gemeint hat er damit ihren Vorstoss, der die Wahl des Verkehrsmittels – Bahn statt Flugzeug – zum Thema hatte. Die Ablehnung mit 88 zu 25 Stimmen war so etwas wie ein Evergreen an diesem Montag: Die Vorstösse der Linken fanden praktisch alle keine Gnade im Parlament.

«Wenn man daran denkt, dass dein Postulat absolut für den Güsel ist.»

Marcel Omlin (SVP) zu einer linken Ratskollegin

Ammoniak wurde zum Zankapfel

Und wenn tatsächlich mal etwas Brisanz um ein Thema aufkam, wurde man gleich wieder auf später vertröstet. So geschehen bei der Thematik Ammoniak, wo Peter Fässler (SP, Luzern-Land) wissen wollte, wie weit der Kanton mit dem Plan zur Einhaltung der Immissionsgrenzwerte sei, der seit 2007 besteht. Und siehe da: Der Regierungsrat musste in seiner Antwort zugeben, dass die Konzentration in der Luft mehr als das Doppelte über dem ökologisch verträglichen Mass liegt. Entsprechend scharf waren auch die Voten. «Eine Nation, die ihren Boden zerstört, zerstört sich selbst», zitierte etwa rhetorisch wirksam Raphael Kottmann und Urs Brücker (GLP, Luzern-Land) setzte noch einen drauf: «Der Kanton Luzern ist das Epizentrum der Gülle auf Erden.»

«Der Kanton Luzern ist das Epizentrum der Gülle auf Erden.»

Urs Brücker (GLP)

Regierungsrat Robert Küng gelobte denn auch Besserung. «Wir sind uns des Problems bewusst». Er verwies aber auf die «Komplexitität» des Themas und darauf, dass im November ein umfassender Bericht zu erwarten sei. Deshalb sei erst dann der Moment für eine vertiefte Diskussion gegeben. Und damit wurde es wieder ruhiger im Saal.

Aber von einem langweiligen Polit-Tag zu sprechen, wäre falsch. Es gab auch durchaus humorvolle Momente, bei denen herzhaft gelacht wurde. Etwa, als der SVP-Mann Fredy Winiger (Hochdorf) ganz bescheiden sagte: «Ich bin ein einfacher Bauer und habe es nicht so mit den Fremdwörtern.» Gemeint hat er das Wort «anthropogen», das Hasan Candan (SP, Luzern) in seinem Postulat über die «Förderung von Pufferzonen zum Erhalt schützenswerter Gebiete» verwendete. Er habe dann aber dank Wikipedia den linken Vorstoss doch noch verstanden, fügte Winiger an.

«Ich bin ein einfacher Bauer und habe es nicht so mit den Fremdwörtern.»

Fredy Winiger, SVP

Anthropogen ist übrigens ein Fachbegriff für das durch den Menschen Entstandene, Verursachte, Hergestellte oder Beeinflusste, weiss Wikipedia. Aber darüber gab es im Rat weder eine Diskussion noch einen Vorstoss.

 

 

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon