Neue Ideen für die Stadt

«Sind wir betriebsblind?»

Verkoppelte Gehirne: Beim Speed Dating formt sich vielleicht die Zuger Zukunft. (Bild: zvg /Stadt Zug)

Wohin soll es gehen mit der Stadt Zug? Singapur? Las Vegas? Käseglocke? In einer Mitwirkung suchen Zuger nach der Zukunft. Ein Vorschlag: Zug soll ein «Bad Place» werden, ähnlich einer «Bad Bank».

«Gehen wir die Zukunft neu definieren», sagt einer der Teilnehmer gutgelaunt und stürmt in den alten Casino-Saal, in Richtung Kaffee-Buffet. «So naiv», sagt ein anderer Teilnehmer süffisant und schüttelt den Kopf. Wieder eine Mitwirkung? Wieder eine Suche nach Identität? Es sind rund zweihundert Leute im alten Casinosaal, an diesem Mittwochabend, Vertreter aus Wirtschaft, Kultur und gesellschaftlichen Organisationen. Sie sind eingeladen von der Stadtentwicklerin Regula Kaiser und Stadtpräsident Dolfi Müller, um sich Gedanken zur idealen Stadt Zug zu machen.

Ballenberg oder Las Vegas

«Das kann zwischen Las Vegas und dem Ballenberg alles sein», sagt Dolfi Müller in einer Rauchpause auf dem Casino-Balkon, bevor es losgeht. «Es gibt sicher Leute, die möchten am liebsten eine Käseglocke über Zug stülpen und alles so lassen wie es ist, und das Gegenteil gibt es bestimmt auch. Wir wollen offen an den Prozess herangehen.»

Leitbild aus den 90ern

Weshalb braucht es den Prozess überhaupt? «Die Stadt Zug hat ein Leitbild aus den 90er-Jahren», sagt Dolfi Müller. In der Zwischenzeit haben sich die Dinge verändert. Es braucht ein modernes Leitbild, und das wollen wir zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern der Stadt neu entwickeln.»

Und zwar über mehrere Runden. Der Abend ist nur einer von dreien, zudem gibt es Interviews mit Experten aus dem Kanton, und auch der GGR wird Einfluss auf das Leitbild nehmen. «Es soll ein schwebender Austausch stattfinden, wir wollen das auf der Ebene Bevölkerung machen.» Zug steht vor neuen Fragen, sagt Stadtentwicklerin Regula Kaiser: Funktionieren die alten Mechanismen noch? Das alte Erfolgsrezept? «Oder sind wir betriebsblind und halten zum Beispiel an Dingen fest, die gar nicht mehr notwendig sind?», so Kaiser weiter. Eine neue Vision muss her.

Speed Dating der Gehirne

Und neu bedeutet auch, auf neue Art und Weise: Man ist etwas aufgeregt im Saal, denn der Anlass heisst «Speed Dating». Auch wenn einer der beiden Moderatoren entschärft: «Wir möchten nicht die Herzen verkuppeln, sondern Ihre Gehirne verkoppeln.» Die Stadt hat sich für ihre Visions-Formulierung ein junges Team an Bord geholt: WIRE, den Zürcher Think-Tank «Web for Interdisciplinary Research and Expertise».

Der ganze Prozess bis zum neuen Leitbild kostet 140’000 Franken. Die Aufschreie sind vorprogrammiert. Nützt das alles überhaupt etwas? «Natürlich, das ist eine ganz normale Summe für die Erarbeitung eines neuen Leitbildes», sagt Regula Kaiser. «Das Leitbild soll ja auch für einige Jahre gültig sein.» Die Stadt habe gute Erfahrungen mit Mitwirkungen gemacht.

«Ideen aus Mitwirkungen sind für uns oft massgebend»

Bei Teilnehmern haben diese vielleicht aber auch für Frustrationen gesorgt: Es wird nicht alles konkret umgesetzt, was in einer Mitwirkung besprochen wird. «Ideen aus diesen Mitwirkungen sind für uns in der Verwaltung aber sehr oft massgebend. Auch wenn nicht alles immer sofort sichtbar wird.» Jetzt wolle man zum ersten Mal eine Mitwirkung auf Strategieebene durchführen. Das junge Zürcher Team habe man deswegen engagiert, da alle anderen grossen Think Tanks sich politisch positionieren würden, sagt Kaiser. «Das geht nicht, es braucht eine Objektivität.»

WIRE gibt ein gleichnamiges Zukunftsmagazin heraus, und begleitet Organisationen in Prozessen wie diesem hier. Sie sollen die Stadt in Richtung Zukunft lenken: «Der Standard für Zugs Entwicklung ist vielleicht Singapur», sagt Nicholas Bornstein von WIRE in seiner Einführung. «Wenn sich einfach alles weiterentwickelt, tendiert die Stadt in diese Richtung.» Sehr sauber, sehr teuer, viele Hochhäuser. Als Alternative stellt Bornstein die Idee von Zug als Standort für die zweite Industrielle Revolution vor. Und drittens könnte, so Bornstein, Zug sich als Kreativ-Hub für junge und kreative Unternehmen positionieren.

Drei Ideen vorgegeben, jetzt sollen dreihundert zurückkommen. Und das Speed Dating geht so: «Alle stehen jetzt auf und suchen sich jemanden, den sie nicht kennen», sagt Moderator Bornstein. Und passiert auch, und dann ist jedes Zweierteam gefragt, sich wilde Ideen über die Zukunft der Stadt zu machen. Drei Fragen beschäftigt der ad hoc-Think Tank der Stadt: Was sind die Stärken von Zug? Wie sieht das ideale Zug der Zukunft aus? Und: Welche Gruppierungen werden in Zug in Zukunft das Sagen haben?

«Dampfkochtopf unter Kontrolle halten»

Schlussendlich hängen hundert Blätter an der Pinwand, voller Zeichnungen und Ideen. Käseglocke oder Singapur? Ein bisschen von allem. Stärken? Globalisiertes Weltdorf, schreibt jemand. Lage, Lage, Lage, jemand anderes. Ideales Zug? Neustadt abreissen, schreibt einer. Eine Seebrücke bauen. Und darauf Maut verlangen. Hochhäuser und Pärke hier, ein Zug ohne Autos da, mit Parkplätzen irgendwo tief im Berg. Ein Zug, das den «Dampfkochtopf unter Kontrolle hält»,

Zug als «amoralischer Topos»

Und ein Teilnehmer hält den Finger besonders dreist auf die Wunde: Man solle aus Zug einen «Bad Place» machen, schreibt der Zuger Journalist Beat Holdener. Wie eine «Bad Bank», die alle Schrottpapiere aufnimmt, soll Zug sich als «amoralischen Topos» positionieren und sich ganz bewusst auf die Amoralität im Standortwettbewerb spezialisieren. Der Teilnehmer erntet einige Lacher im Publikum, aber vorsichtige, weil vielleicht meint er es ja ernst.

Der Zuger Künstler Osy Zimmermann schlägt vor, Zug solle Heime für alternde Oligarchen bauen. «Da können sie in einem Biotop leben und wir können demokratische Gedanken einfliessen lassen.»

Wer regiert Zug in Zukunft? «Wir wär wow», schreibt einer. «Demokratie!» ein anderer. Eine kulturelle Hegemonie soll das Steuer übernehmen, fordert eine Teilnehmerin.

Stadtrat abschaffen

Ein anderer schlägt vor, den Stadtrat abzuschaffen, und Zug wie eine Korporation zu führen. Eine, zu der jeder Einwohner ab einer Altersgrenze Zutritt hätte. «Das mit dem Stadtrat abschaffen, das verhindern wir dann», sagt Stadtpräsident Dolfi Müller.

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