Strassenstrich im Ibach

Sexarbeiterinnen nehmen Politik in die Pflicht

Brigitte Snefstrup (rechts), Leiterin des Projekts «Hotspot» im Ibach während der Vereinsversammlung. (Bild: Sandro Portmann)

Zu wenig Sicherheit: Aus Angst bricht der Verein Lisa das Pilotprojekt des Beratungscontainers für Prostituierte im Ibach ab. Nun sei die Politik gefordert, für mehr Sicherheit zu sorgen. Diese wird bis Ende Monat erste Verbesserungen vornehmen.

Es hätte der Höhepunkt des Vereinsjahres werden sollen: Die erste Mitgliederversammlung des Luzerner Vereins für die Interessen der Sexarbeitenden (Lisa). Doch es kam anders. Das Tötungsdelikt, bei dem am 21. September eine 36-jährige Prostituierte ums Leben kam, überschattete die Versammlung vom Donnerstagabend.

Der Verein zieht nun nach über zehn Monaten einen Schlussstrich – vorerst: «Wir haben uns entschieden, den Beratungs-Container ab sofort zu schliessen», sagt die Präsidentin Ylfete Fanaj. «Wir haben unsere soziale Verantwortung freiwillig und ehrenamtlich übernommen. Nun soll die Politik ebenfalls ihre Verantwortung übernehmen.» Sie fordert Massnahmen, damit die Arbeit für Prostituierte wie auch für die Beraterinnen sicherer wird.

Finanzierung noch offen

Der Beratungscontainer wurde am 12. Dezember 2013 als Pilotprojekt im Ibach eröffnet (zentral+ berichtete). Jeweils zwei Frauen bieten hier mit dem Projekt «Hotspot» den Prostituierten Beratung an, im Winter drei Mal pro Woche, im Sommer zwei Mal pro Woche. «Wir wollen die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnnen verbessern», sagt Ylfete Fanaj. Insgesamt besteht das Beratungsteam aus vier Frauen. Alle arbeiten ehrenamtlich. Zwei Mediatorinnen und zwei Dolmetscherinnen ergänzen das Team.

Die Finanzierung der Pilotphase wird durch Stadt und Kanton Luzern sowie den Bund sichergestellt. «Bis jetzt war aber unklar, wie das Projekt nachher finanziert werden sollte», kritisiert die Vereinspräsidentin. Die Pilotphase hätte nach 18 Monaten geendet, also im Sommer 2015.

Auch Freier blieben aus

Seitdem die Prostituierte tot im Vierwaldstättersee gefunden wurde, geht beim Strassenstrich in Ibach die Angst um. «Es gab am Anfang kein anderes Thema unter den Sexarbeiterinnen», weiss eine Beraterin, die anonym bleiben will. Doch die Frauen würden sich zusammenreissen, um weiter zu arbeiten. Denn eine Wahl hätten sie oft nicht. Die Beraterin hat denn auch eine Veränderung bei den anschaffenden Frauen beobachtet: «Jetzt stehen sie weiter vorne, mehr im Licht.» Gerade jetzt seien die Beraterinnen eine grosse Stütze für die Prostituierten. «Am Abend als wir vom Tod erfuhren, konnten wir im Container kaum das Licht anzünden, schon waren alle bei uns und fragten nach ihrer vermissten Kollegin.»

Heute stehen Kerzen und ein Kreuz an der Stelle, wo die Verstorbene früher stand. «Das Kreuz hat ein Freier für sie hingestellt», weiss die Beraterin. Die Betroffenheit sei auch unter den Freiern gross. «Die Freier blieben eine Zeit lang aus.»

Standortfrage bleibt

«Das Problem ist, dass sich sehr viel Land in der Umgebung in Privatbesitz befindet. Die Sexarbeiterinnen dürfen sich dort nicht aufhalten. Es bleibt also praktisch nur noch der Wald», erklärt Brigitte Snefstrup, Projektleiterin des Hotspots. Die Stadt hat aber mittlerweile zugesichert, etwas für eine bessere Sicherheitslage zu unternehmen. Bis Ende Monat soll auf dem Areal des städtischen Werkhofs ein neuer Strichplatz entstehen, in unmittelbarer Nähe zum Beratungscontainer und damit auch besser beleuchtet.

«Die Gegend wirkt schon manchmal gespenstisch», sagt eine Beraterin. Auf der anderen Seite sei ihre Arbeit auch «hochinteressant». Sie scheint zu bedauern, dass der Container nun geschlossen wird. «Es kam auch vor dem Tötungsdelikt immer wieder zu bedrohlichen Situationen. Nun wurde uns die Gefahr schlagartig bewusst», sagt die Vereinspräsidentin. Letztlich würde der Verein in der Verantwortung stehen, falls den Beraterinnen etwas passieren würde. Deshalb nun der Schlussstrich.

Schärli: «Persönliches Anliegen»

Für die Vereinspräsidentin ist klar, dass es nun ein Zeichen aus der Politik brauche. Welches? Am liebsten sähe sie eine erneute Standortdiskussion. «Vielleicht gäbe es auch in der Agglomeration einen geeigneteren Platz», so Ylfete Fanaj.

Auch Regierungsrätin Yvonne Schärli, Leiterin des Justiz- und Sicherheitsdepartements des Kanton Luzern, war an der Versammlung anwesend. «Das Projekt ist mir ein persönliches Anliegen», sagte sie. Sie habe selber mal einen ganzen Abend eine Betreuerin in Ibach begleitet. Schärli versprach, dass auch weiterhin die Gespräche geführt würden.

Themen
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon