Quartier Fluhmühle

Wir sind dagegen!

Das Quartier Fluhmühle tickt anders als die Stadt Luzern. (Bild: jav)

Ein kleines Quartier in der Stadt Luzern tanzt bei den Abstimmungsresultaten regelmässig aus der Reihe. Doch woran liegt es, dass die Stimmbeteiligung derart tief ist und die Meinungen der Stadt und dem Gebiet Fluhmühle so weit auseinander gehen? Ein Besuch im Quartier und seinen Beizen beantwortet Fragen, wirft aber auch neue auf.

Die 1:12-Initiative und die Mindestlohninitiative wurden angenommen. Die Pädophilen-Initiative ebenfalls. So sähen – im Gegensatz zur Stadt Luzern – die Abstimmungsresultate im Quartier Fluhmühle aus. Die Mindestlohninitiative beispielsweise wurde in der Stadt Luzern mit 70 Prozent abgelehnt. Die Fluhmühle hätte die Initiative mit über 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Auch bei kantonalen Abstimmungen möchte die Fluhmühle oft genau das Gegenteil dessen, was der Rest der Stadt will. Eine weitere Eigenheit des Quartiers ist die Stimmbeteiligung. Diese liegt jeweils zwischen 24 und 27 Prozent. Das ist mit Abstand die tiefste Beteiligung in Luzern. In der gesamten Stadt Luzern liegt die Stimmbeteiligung bei 45 bis 50 Prozent je nach Abstimmung.

Vielleicht liegt es an der Lage, dass die Meinungen zu anderen Gebieten sich derart unterscheiden: Etwas abgeschirmt vom grossen Geschehen liegt das Quartier an der Hauptstrasse zwischen Luzern und Reussbühl. Im Schatten des Zimmereggwaldes, zwischen Hang und Verkehrsachse gequetscht wohnt es sich laut aber günstig. Das Quartier hat einen schlechten Ruf. Das bestätigen neben den Anwohnern auch die Verantwortlichen beim Quartierverein. «Die Lage ist nicht besonders attraktiv. Daher ist der Wohnraum extrem günstig und zieht damit viele Menschen mit Migrationshintergrund an», sagt Selina Kaess von der Quartierarbeit der Stadt Luzern.

Dann liegt es eventuell am Migrationshintergrund, den die meisten Anwohner haben. Der Ausländeranteil im Quartier liegt, gemäss der Zahlen, mit welchen die Stadt rechnet, bei 75 Prozent, weiss Yvonne Ehrensperger, Projektleiterin der Quartierentwicklung für das Gebiet Fluhmühle-Lindenstrasse. Zum Vergleich: Der Ausländeranteil der Baselstrasse liegt bei 56 Prozent und jener der Stadt insgesamt bei 24 Prozent. Prozentzahlen, Abstimmungsresultate, theoretische Schlussfolgerungen – spannend ist jedoch, welche Menschen sich hinter diesen Zahlen verstecken. Was glauben die Anwohner, warum sie sich bei Abstimmungen derart vom Rest der Stadt unterscheiden?

Am Stammtisch

An diesem verregneten Nachmittag wirken die Lindenstrasse und die Fluhmühle wie ausgestorben. Der neue Fluhmühle-Park ist leer. Nur einige Arbeiter bauen ein Gerüst vor dem Gartenhaus 1313 ab. Das Gartenhaus 1313 gehört Ueli Breitschmid, wie so viele andere Liegenschaften in der Lindenstrasse. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich das Quartier komplett verändern werde, heisst es dazu am Stammtisch im Schlüssel gegenüber. Dieser Container 13 und diese Kunstgalerie – man müsse sich nur andere Quartiere anschauen, in welchen solche Kapitalisten am Werk seien, die ganze Quartiere aufkaufen, alles modernisieren und die kleinen Leute vertreiben würden.

Die Meinungen zum Quartier gehen am Stammtisch auseinander. «Man muss schon gut mit Ausländern können, wenn man hier wohnen will», lautet bei einigen die Devise. Es sei ein tolles Quartier und wenn man sich auf das multikulturelle Leben einlasse, sei es eine Bereicherung, findet Peter. Es sei immer etwas los. Toni jedoch ist nicht zufrieden und überzeugt, dass hier niemand abstimme, weil die Ausländer «halt keine Patrioten» seien und sowieso faul. Am Stammtisch im Schlüssel ist man gesprächig, aber eine einleuchtende Theorie zu den Abstimmungsresultaten hört man nicht.

Am Stammtisch im Schlüssel sind die Meinungen gespalten.

Am Stammtisch im Schlüssel sind die Meinungen gespalten.

(Bild: jav)

Die Politik ist nicht sein Freund

Auch im Café «Nuova vita» am Fluhmühlenrain ist viel los. Es ist ein kahles Lokal ohne grosse Dekoration im Erdgeschoss von einem der grossen Blöcke im Quartier. Ein Fumoir mit Ventilator steht zum Restaurant hin offen. Viele Männer sitzen in kleinen Gruppen an Tischen und spielen Karten. Über die Tische hinweg wird lautstark diskutiert um Sekunden später wieder in konzentrierte Stille zurückzufallen. Er stimme nicht ab, sagt Mirza.

Er kommt aus Bosnien und ist seit über 18 Jahren in der Schweiz. Sein Interesse an Politik sei versiegt, seit sein Land und seine Familie durch den Krieg zerstört wurden. «Es war nicht mein Krieg, aber mein Land», sagt er, und er glaube Politik mache Leuten eher Angst, als dass sie sie verstehen würden. Zu viele hätten durch politische Spiele ihre Familien verloren und ihr Land verlassen müssen. Für die meisten, die er im Quartier kenne, sei deshalb die Politik nicht wichtig.

Im «Nuova vita» am Fluhmühlerain wird selten über Politik gesprochen.

Im «Nuova vita» am Fluhmühlerain wird selten über Politik gesprochen.

Es lebe sich aber ganz gut in der Fluhmühle. Schade sei, dass kaum mehr Schweizer hier wohnen würden, findet Mirza. Zwei Familien aus der Schweiz seien noch im Haus. Dafür würden hier im Umkreis von 100 Meter bestimmt 40 Sprachen gesprochen, schätzt man an der Bar. Das sei zwar manchmal auch anstrengend, aber vor allem sei es spannend.

Das Quartier sei wie ein eigenes kleines Land, tönt es aus allen Mündern, die sich an diesem Nachmittag zum Thema äussern. Ein eigenes kleines Land, dessen Bewohner zum grossen Teil mit Politik nicht besonders viel am Hut haben.

Keine Ressourcen für Politik

Weshalb das Gebiet anders abstimmt als der Rest der Stadt, da kann sich Selina Kaess von der Quartierarbeit aus ihren Erfahrungen mit den Anwohnern einige Gründe vorstellen: «Viele Menschen im Quartier Fluhmühle und Lindenstrasse beschäftigen vor allem Existenzfragen. Es geht darum, eine bessere Arbeitsstelle, oder überhaupt eine Stelle zu finden. Auch die Bildung der Kinder und eine bessere Wohnung sind Themen, welche die Anwohner beschäftigen.» Das erklärt die Resultate der Mindestlohninitiative und der 1:12-Initiative. Doch weshalb ist die Stimmbeteiligung im Quartier derart tief? «Es fehlen schlichtweg die Ressourcen, sich damit beschäftigen zu können.»

Dies bestätigt auch David Leclerc, der als Lehrer im Gebiet Fluhmühle arbeitet. Er weiss ebenfalls um die Schwierigkeiten im Quartier. Viele Eltern würden im Schichtbetrieb arbeiten und hätten wenig Geld. Sie wünschen sich für ihre Kinder etwas anderes. Er kenne kaum Schweizer im Quartier, aber die, die er kennt, seien urchige Leute, die keine Schwierigkeiten mit dem hohen Ausländeranteil hätten.

Weshalb die Pädophilen-Initiative im Gegensatz zur Stadt Luzern angenommen wurde, kann auch Leclerc nicht klar sagen. Im Quartier sei jedoch vor einer Weile eine Familie von einem solchen Fall betroffen gewesen. In einem kleinen Quartier und über die Kontakte der Eltern könnte sich die Angst von diesem Fall auf das ganze Gebiet übertragen haben, glaubt Leclerc. Schlussendlich erklären die demografischen Voraussetzungen eine grosse Zahl der Abstimmungsresultate.

«Wir wollen die Anwohner nicht vertreiben.»
Yvonne Ehrensperger, Projektleiterin Fluhmühle-Lindenstrasse

Aber auch neben den Abstimmungsresultaten bleiben die Fluhmühle und Lindenstrasse ein spannendes Quartier der Stadt Luzern, dessen Entwicklung in den nächsten Jahren für Gesprächsstoff sorgen wird. Durch die neuen Lokale in den Liegenschaften von Ueli Breitschmid und die Quartierarbeit der Stadt soll eine Aufwertung des Gebiets stattfinden. «Wir müssen jedoch behutsam vorgehen», gibt Ehrensperger zu bedenken. «Man darf nicht zu viel tun, da der günstige Wohnraum erhalten bleiben soll. Wir wollen die Anwohner nicht vertreiben.»

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