Zuger Stadtparlament im WM-Fieber

Die Politiker pfeifen auf die Sitzung

Auf dem Weg vom Regierungsgebäude zum Bahnhof Zug reihten sich die Public Viewing Zonen aneinander. Die Parlamentarier schwärmten um 18 Uhr aus vor die Bildschirme. (Bild: anm)

Niemand interessiert sich für Politik, wenn die Schweiz im Achtelfinale steht. Deshalb beendeten die Stadtzuger Parlamentarier ihre Gemeinderatssitzung pünktlich zum Anpfiff des Grossereignisses. Traktanden und Entscheide wurden kurzerhand verschoben. Die Lage der Nation war ernst.

Schon am Dienstagmorgen an der Redaktionssitzung wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich weit und breit die einzige Person sein würde, die das Fussballspiel zwischen der Schweiz und Argentinien nicht schauen wird. Nicht weil ich arbeiten musste, sondern weil mich Fussball nicht interessiert, Schweiz und WM hin oder her.

Im September geht es weiter

Wie ernst die Lage der Nation angesichts dieses sportlichen Ausnahmezustandes ist, realisierte ich aber erst an der Sitzung des Grossen Gemeinderats in der Stadt Zug. Fussball geht vor Politik, wichtige Geschäfte können warten, lautete der Tenor.

Es wurden Prioritäten gesetzt. Der Ratspräsident Stefan Moos sagte gleich zu Beginn der Versammlung, dass man pünktlich anfangen wolle und «sehr» pünktlich aufhören.

Dass Entscheide und Debatten den Kürzeren zogen, interessierte praktisch niemanden. Man verschob drei Traktanden auf die erste Sitzung nach den Sommerferien, also auf den 9. September. Ausserdem wurde ein Entscheid über den Bericht und Antrag des Stadtrates zum Kolingeviert (zentral+ berichtete) abtraktandiert. Das hat zwar gemäss Bildungsvorsteherin Vroni Straub-Müller nichts mit der WM zu tun, sondern damit, dass viele Parlamentarier mit der Vorlage des Stadtrates unzufrieden seien. Das zeigten auch die Voten zur Vorlage. Trotzdem fragte ich mich: Ging es nicht vielleicht auch darum, lange Diskussionen am sportlichsten Tag des Jahres zu verhindern?

Schulraumplanung zögert sich weiter hinaus

Ein weiteres Traktandum, das warten muss, ist jenes der Schulraumplanung im Quartier Zug West. Das ohnehin nicht enden wollende Vorhaben zur Bekämpfung des Platzmangels an den Zuger Schulen (zentral+ berichtete) wurde auf die lange Bank geschoben. Auch hier galt: Fussball kommt zuerst. Vroni Straub-Müller will zwar endlich Nägel mit Köpfen machen, doch am Ende der Sitzung sagte sie, wenn auch schmunzelnd: «Die Ratsmitglieder hätten mich wohl geköpft, wenn ich das Traktandum heute hätte behandeln wollen.»

Der Einzige, der mit der Fussball-Euphorie offensichtlich nichts anfangen konnte, war Gemeinderat Stefan Hodel (Alternative-Die Grünen). Er sei nicht glücklich darüber, dass die Traktanden wegen dieses Anlasses verschoben würden, sagte er. «Es gibt wichtigeres als diesen Fussballmatch», so Hodel, worauf vor allem von den jüngeren Vertretern der FDP-Fraktion einige deutliche Nein-Rufe zu hören waren. Der Ratspräsident Stefan Moos nahm die Bedenken Hodels auf, fand aber sofort eine Rechtfertigung für die verkürzte Sitzung: «Man hat ja nicht wissen können, dass sich die Schweiz für das Achtelfinale qualifiziert.» Da kann man ihm allerdings nicht widersprechen. Hellsehen wäre zu viel verlangt.

Als gäbe es kein Morgen mehr

Kurz vor 18 Uhr – man will ja nicht zu spät kommen – wünschten sich die grossen Gemeinderäte einen erfolgreichen Abend und sagten zum Abschied «Hopp Schwiz». Daraufhin verliessen die Ratsmitglieder das Parlamentsgebäude und strömten in die nahegelegenen «Public Viewing» Zonen als gäbe es kein Morgen mehr. Unter den kribbeligen Fans war auch Stadtpräsident Dolfi Müller. Auf die Frage, ob er den Match auch schauen werde, sagte er: «Ja, ich muss! Ich brauche diese emotionalen Wallungen ab und zu.»

«Ich brauche diese emotionalen Wallungen ab und zu.»

Dolfi Müller, Stadtpräsident

Wenige Meter vom Regierungsgebäude entfernt, konnte er seinen Gefühlsausbrüchen dann freien Lauf lassen. Dolfi Müller schaute den Match im Restaurant Plaza, einige Politiker der FDP-Fraktion waren im «Grand Café» zu sehen.

Eine Anmerkung am Rande sei hier noch hinzugefügt: Ein Thema war im Grossen Gemeinderat auch die Entwicklung in der Zuger Altstadt, dem Schlafquartier, wo die Anwohner gerne ihre Ruhe haben. Aber was soll’s, jetzt ist ja WM, wen interessiert’s?

Stadtpräsident Dolfi Müller (rosa Hemd) schaute sich das Spiel im Restaurant Plaza beim Postplatz an. (Bild: anm)

Stadtpräsident Dolfi Müller (rosa Hemd) schaute sich das Spiel im Restaurant Plaza beim Postplatz an. (Bild: anm)

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