Clown-Theater «Nichtsnutz» im Burgbachkeller

Ab ins Gefängnis – nur da ist es richtig sicher

Bichsel und Gargiulo flüchten ins Gefängnis.

(Bild: Bernhard Fuchs)

Zwei Clowns stranden mit einem kleinen Boot und gewinnen ein Gefängnis. Was im ersten Augenblick skurril erscheint, ist näher an der Realität, als man denkt. Ueli Bichsel und Silvana Gargiulo zeigten in ihrem Stück «Nichtsnutz» im Zuger Burgbachkeller auf berührende Art auf, wie der Wahn nach mehr Sicherheit uns unser eigenes Gefängnis bauen lässt.

Seit über 30 Jahren ist Ueli Bichsel eine feste Grösse in der freien Theaterszene und seit 2015 auch Träger des Kulturpreises des Kantons Zürich. Mit der Theaterproduktion «Die Lufthunde» war er in den 1980er und 1990er Jahren in Europa und Afrika auf Tournee. Zusammen mit seiner langjährigen Bühnenpartnerin Silvana Gargiulo hat er schon zahlreiche Clownstücke produziert. Das ungleiche Clownpaar schafft es, auf berührende Art und Weise mit dem dialektischen Verhältnis von Komik und Tragik zu spielen.

In ihrem neusten Stück «Nichtsnutz», unter der Regie von Anna Frey, erheben die beiden ihre politische Stimme. Bereits in der ersten Szene, in welcher die beiden in einem alten Wäschezuber sitzend, wie in einem viel zu kleinen Boot, angefahren kommen, spielen sie auf die prekären Verhältnisse der Flüchtenden an. Voller Unsicherheit, Angst und Nervosität warten sie auf eine ungewisse Zukunft.

Zukunft in fünf Teilen

Mit roter Nase, weissem Overall, schwarzem Lederkittel und einem schwarzen Regenschirm sitzen die beiden da. Das Bild ist urkomisch und bringt das Publikum von Beginn weg zum Lachen. Gestrandet an einem unbekannten Ort, denn was spielt es überhaupt für eine Rolle, wo man ist? «Es god eifach drum, dass Ziit verbi god, ob drin oder duss», so der ruhige und feinfühlige Clown Bichsel.

«Die Theorie besagt extreme Freiheit, aus der Praxis resultiert jedoch ein Gefängnis.»

Plötzlich fallen ein paar Arbeitshandschuhe und ein Zettel herunter. Von der Neugierde gepackt, verlässt Bichsel die Nussschale und schaut sich die Nachricht an. «Sie haben gewonnen», steht darin. Die Parzelle 364 B+ mit der Zukunft in fünf Teilen gehört nun dem liebenswürdigen Clownpaar. Während er aus den fünf Teilen, sprich fünf rostigen Armierungseisen, ihr neues Zuhause baut, ist sie für die Berechnung des Bauvorhabens zuständig. Die Ergebnisse der beiden könnten widersprüchlicher nicht sein; die theoretische Berechnung ergibt das Resultat «extreme Freiheit», die praktische Bautätigkeit jedoch ein Gefängnis. Spätestens jetzt nimmt der scheinbar glückliche Start eine beklemmende Entwicklung. Bichsel und Gargiulo stellen dabei die Frage nach der Bedeutung von Freiheit und unterlaufen die gesellschaftlichen Entwicklungen auf ironische Art und Weise.

(Bild: Bernhard Fuchs)

Misstrauen und Panik

Noch voller Glück und Freude über ihren Gewinn erblicken die beiden zum ersten Mal ihre Nachbarn, das Publikum. Sofort verändert sich ihre Haltung, die Mimik wird ängstlich und misstrauisch, die Gestik abweisend und schutzsuchend. Fast unhörbar bringt der Clown Bichsel ein leises und kurzes «Grüezi» über die Lippen. Die Szene ist hervorragend gespielt. Die beiden stellen den neuen Nachbarn ihr Gefängnis vor, das harmonisch, lichtdurchflutet, voller Positivität und frischer Luft ist. Auch das Modell in Rost gefalle ihnen vorzüglich.

Demgegenüber sitzen die Nachbarn im Dunkeln, sind voller Negativität, dumm und stinken. Plötzlich fällt ein Scheinwerfer auf die Bühne. Aus Panik und Angst rennen die beiden in ihr Verliess, gemeinsam versuchen sie sich durch den kleinen Eingang zu zwängen. Endlich drin, verschliessen sie die Tür mit einem schlüssellosen Schloss. Nun sitzen sie da, für immer.

Totale Freiheit

Die Darbietung ist gespickt mit verstecktem Sprachwitz und emotionalen Auf und Abs. Mit viel Ausdruck und toller Mimik spielt Bichsel den nachdenklichen, unscheinbaren und etwas verschupften Clown, in welchem auch etwas vom Bünzlischweizer steckt. Demgegenüber spielt Gargiulo die leidenschaftliche, italienische Clownin, die mit ihrer forschen Art und den sich ständig wiederholenden Gesten und Worten dem Stück viel Lebendigkeit verleiht.

«Ein tolles Stück, das uns erschütternd vor Augen führt, wohin uns das wachsende Sicherheitsbedürfnis führen könnte.»

Während er auf Schweizerdeutsch und sie auf Italienisch im Käfig weitersinnieren, über gedankliche Freiheiten, das Streben nach mehr und das menschliche Bedürfnis nach Struktur, scheint draussen die Welt unterzugehen. Wer die italienische Sprache nicht beherrscht, könnte sich hier etwas fehl am Platz fühlen. In alten Erinnerungen schwelgend vereinen sich die beiden Clownstimmen und singen leidenschaftlich Méndez’ Cucurrucucú paloma dem Ende entgegen.

Ein tolles Stück, das hochaktuelle, gesellschaftliche Fragen aufgreift und uns erschütternd vor Augen führt, wohin uns die ständige Panikmacherei und das wachsende Sicherheitsbedürfnis führen könnte, nämlich zur kompletten Aufgabe unserer individuellen Freiheit. Mit einem warmen Applaus werden die beiden Künstler verabschiedet.

Das Stück ist noch am Samstag, 14. Januar 2017, im Burgbachkeller in Zug zu sehen.

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