Premiere: Ü60-Party im Kleintheater Luzern

«Mit dieser Musik sind wir gross geworden»

Eng umschlungen tanzen die Gäste zur Musik der Sechziger- und Siebzigerjahre.

(Bild: gw)

Beatles und Udo Jürgens statt Foxtrott und Wiener Walzer: Im Kleintheater feiert die Generation 60+ an der Faltenrock-Party zu den Songs ihrer Jugend. Ob der 26-jährige zentralplus-Autor am Türsteher vorbeikommt?

Ich bin ja sehr gerne und oft unterwegs im Luzerner Nachtleben. Es ist aber eine Weile her, seit ich mich das letzte Mal davor fürchtete, nicht in den Club hineingelassen zu werden. Jetzt könnte es wieder mal so weit sein: Denn ich gehe an die Faltenrock-Party im Kleintheater – ein Tanzabend, der sich explizit an die über 60-Jährigen richtet (siehe Box).

Das Konzept für Faltenrock kommt ursprünglich aus Hamburg. Dort feiern die reiferen Damen und Herren bereits seit 2011 zu den musikalischen Klassikern der Sechziger- und Siebzigerjahre. Faltenrock bietet im Gegensatz zu den etablierten Tanzveranstaltungen für die Generation 60+ mehr Boogie, Twist und Rock’n’Roll. Ausserdem findet die Party am Sonntagabend und nicht am Nachmittag statt.

Punkt acht geht’s los

Als U30er bin ich deutlich unter der geforderten Altersgrenze. Da sich am Eingang eine kleine Schlange bildet, komme ich mit Maria ins Gespräch. Sie hat aus der Zeitung vom Anlass erfahren und ist mit einer Freundin gekommen. Da sie bereits über 60 ist, darf ich mit ihr rein. «Er ist meine Begleitung heute Abend», sagte sie zur Kassiererin.

Sobald ich im Kleintheater drin bin, geht es gleich zur Sache: Punkt acht Uhr lässt der DJ die Plattenteller laufen, und die Gäste stürmen auf die Tanzfläche. Vom ersten Takt an ist klar: Die wissen, was sie tun. Es sind viele sehr erfahrene Tänzerinnen und Tänzer an der ersten Ü60-Party dabei. Die Euphorie ist von Anfang an spürbar. «Mit dieser Musik sind wir gross geworden», sagt Ursula. Die Luzernerin gehört mit ihren 61 Jahren zu den Jüngsten am Anlass, sie ist mit ihrem Partner gekommen. 

Während im Vordergrund die Hüften geschwungen werden, machen andere eine kurze Pause.

Während im Vordergrund die Hüften geschwungen werden, machen andere eine kurze Pause.

(Bild: gw)

Das Paar ist wie viele andere Besucher erstaunlich nüchtern gekleidet. Hemden bei den Männern, Blusen bei den Frauen – fast alle tragen Jeans. Von Faltenröcken ist weit und breit nichts zu sehen. Die vorderen Zuschauerränge des Kleintheaters mit den unbefestigten Stühlen wurden für die Tanzenden geräumt. Obwohl damit ordentlich Fläche vorhanden ist, sind die Gäste bald auf Tuchfühlung.

Nach rund einer Stunde wird dann sogar die Bühne für die tanzfreudigen Disco-Gänger freigegeben, damit sich alle ausgelassen zur Musik bewegen können.

Der DJ ist gefordert

Petra Helfenstein ist im Kleintheater Luzern für Kommunikation und Kulturvermittlung verantwortlich. Sie hat die Faltenrock-Party gemeinsam mit dem neu gegründeten «Kulturclub Grauer Star» organisiert. An diesem Abend legt sie gleich selbst auf. «Da ich ansonsten auch ab und zu als DJ unterwegs bin, habe ich bereits einen Fundus an Musik.»

Die DJane ist besonders gefordert an diesem Abend. Denn den richtigen Geschmack zu treffen, ist nicht ganz einfach. «Die Spannweite ist enorm: Die Besucher sind zwischen 60 und 80 Jahre alt. Und nur weil die Leute älter sind, heisst das natürlich noch lange nicht, dass alle den gleichen Musikgeschmack haben», sagt Helfenstein.

Damit alle Partygänger musikalisch abgeholt werden, stellte sie in Zusammenarbeit mit der Projektgruppe eine breite Palette von Tracks aus verschiedensten Genres zusammen. Ein musikalischer Spagat: Davon liess man sich auf der Tanzfläche aber nicht beirren und schwang gekonnt das Tanzbein.

«Vielfach haben diese Ü60-Veranstaltungen einen Dorffest-Charakter – das ist an der Faltenrock-Party anders».

Agatha (74) aus Luzern

Die Hüften bewegt man und frau unter anderem zu «Azzurro» von Adriano Celentano und dem deutschen Schlagerhit «Griechischer Wein» von Udo Jürgens. Wilder zu und her geht es mit «Twist and Shout» von den Beatles oder «Mess Around» von Ray Charles. Immer wieder wechseln sich ruhige, klassische Songs für den gepflegten Tanz mit Boogie und Rock’n’Roll. Platz hatte es natürlich auch für die Rolling Stones, Elvis Presley und Johnny Cash.

«Grauer Star – der Kulturclub»

Die Faltenrock-Party wird präsentiert von «Grauer Star– der Kulturclub». Initiiert wurde dieser vom Kleintheater Luzern unter der Leitung von Petra Helfenstein. Der Ansatz ist dabei partizipativ, denn Helfenstein möchte Ideen umsetzen, die einem echten Bedürfnis der Zielgruppe entsprechen.

Eine Projektgruppe, bestehend aus aktiven Menschen ab 60 Jahren, entwickelt Ideen und setzt Vorhaben um, die dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Kulturclub besucht gemeinsam Veranstaltungen und entwickelt dabei massgeschneiderte Rahmenprogramme, Einführungs- oder Nachgespräche für die Generation 60+. Unter anderem wurde im letzten Sommer bereits ein ausgebuchter Theater-Workshop durchgeführt, geplant sind ausserdem Workshops in den Bereichen Improvisationstheater und Tanz. Die Projektgruppe steht allen Menschen ab 60 offen, Interessierte können sich bei Petra Helfenstein melden: [email protected].

Die Party ist in vollem Gange, und ich bewege mich für ein Bier in Richtung Bar. Bei der Treppe treffe ich auf Agatha (74) aus Luzern, sie macht mit einer Bekannten eine kurze Pause. Sie findet es toll, dass hier etwas andere Musik läuft als bei sonstigen Tanz-Abenden für die Generation 60+. «Vielfach haben diese Ü60-Veranstaltungen einen Dorffest-Charakter – das ist heute Abend anders.»

«Es ist toll, dass man zu der Musik alleine tanzen kann.»

Nicht nur die Musik ist wichtig, wie bei jeder guten Party geht es auch um Socializing: «Ich kenne hier sehr viele Leute, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe», freut sich Regine (68) aus Sursee. Sie ist mit Freundinnen da und ihr gefällt die Songauswahl sehr, da man zu den Stücken keinen Tanzpartner braucht: «Es ist toll, dass man zu der Musik alleine tanzen kann.»

Das ist eindeutig ein Bedürfnis: Obwohl viele Paare auszumachen sind, gibt es auch zahlreiche Einzeltänzer. Agatha ist mit ihrem Partner da, gibt aber zu bedenken: «Oft sind die Frauen an solchen Veranstaltungen in der Überzahl.» Das Alter hinterlässt seine Spuren, «bei vielen ist der Mann eben nicht mehr da», so Agatha. Der 74-Jährigen kommt bei der Musik auch etwas Sehnsucht auf: «Wir hatten wilde Feste.»

Gäste schätzen die ungezwungene Atmosphäre

Vielen Disco-Besuchern geht es gleich wie ihr. Auch bei Berta (68) aus Luzern schwingt an diesem Abend Nostalgie mit: «Es ist speziell, man spielt unsere Musik.» Da ihr Partner Probleme mit den Hüften hat, kann er nicht tanzen und muss zuhause bleiben. Dass sich hier alle so bewegen können, wie sie wollen, findet sie deshalb besonders gut. Wie viele andere Besucher schätzt sie die ungezwungene Atmosphäre von Faltenrock.

Dichtes Gedränge im Kleintheater, kein Wunder bei über 120 zahlende Gästen.

Dichtes Gedränge im Kleintheater, kein Wunder bei über 120 zahlende Gästen.

(Bild: gwa)

 

Bei der Bar treffe ich auch auf ein Mitglied der Projektgruppe Grauer Star. Marianne (77) lebt erst seit zwei Jahren in Luzern. Sie ist überzeugt, dass das Konzept der Ü60-Party Zukunft hat: «Disco ist absolut ein Bedürfnis.» Wie andere schätzt sie den Austausch mit Menschen ihrer Generation: «Man möchte einfach wieder ausgehen.» Sie hatte mit 30 Personen gerechnet und freut sich über die vielen Menschen, die gekommen sind.

Am 5. Februar wird wieder getanzt

Auch Projektleiterin Petra Helfenstein zieht ein sehr positives Fazit von der Party. «120 Personen sind ein Riesenerfolg.» Am Anfang gab es zwar Probleme mit dem Licht und teilweise war es einigen Leuten zu laut. Ansonsten sind die Gäste mit der Disco zufrieden. «Ich habe fast nur positive Rückmeldungen bekommen.»

Tanzwütige Herren und Damen, die an dem Abend verhindert waren, können aufatmen: Es wird auf jeden Fall weitergehen mit der Ü60-Party im Kleintheater: Die nächste Faltenrock-Disco findet am 5. Februar statt. Der Eintritt beträgt zehn Franken.

Für mich ist hier erst einmal Schluss: Ich bin um halb elf bereits erschöpft und mache mich auf den Heimweg. Nicht so die erfahrenen Partytiger: Die tanzen munter weiter zu den Songs ihrer Jugend.

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