Luzerner Stadtoriginal kommt ins Museum

Unverkleidet und ungeschminkt: Emil Manser konnte auch anders

Privat und als Charlie Caplin: Emil Manser 1996 in Solothurn (links) und als Strassenkünstler.  (Bilder: zvg/Anita Bucher/Margrith Steinmann, Nachlass Emil Manser)

Der Provokateur und Strassenkünstler Emil Manser kommt 12 Jahre nach seinem Tod zurück. Das Historische Museum zeigt nicht nur Originalplakate, sondern wagt einen neuen Blick auf den Menschen und rückt ihn in den Kontext grosser Künstler. Die Recherche dazu war erhellend, aber auch ernüchternd – Emil Manser bleibt ein Rätsel.

Kurator Christoph Lichtin führt durch die Ausstellung im 2. Stock des Historischen Museums. An den Wänden hängen dutzende Originalplakate des Emil Manser, an viele von ihnen hat man noch lebhafte Erinnerungen. Wie das Stadtoriginal sie spazieren führte – bei der Kantonalbank in der Stadt Luzern etwa oder unter der Egg.

Laut parlierend, singend und in seiner Kluft: Mit Militärmantel und mit dem Adventskranz auf dem Kopf, so kannte man Emil Manser. Oder geschminkt und mit Zylinder – eine Referenz auf Charlie Chaplin.

Gesehen hat man die Original-Plakate seit 2004 nicht mehr in der Öffentlichkeit, seit dem freiwilligen Tod von Emil Manser im Alter von 53 Jahren. Er hatte sie sorgfältig unter seinem Bett aufbewahrt, danach wurden sie dem Historischen Museum vermacht.

Sprachwitz und Provokation prägten Emil Mansers Plakate.

Sprachwitz und Provokation prägten Emil Mansers Plakate.

(Bild: jwy)

Als Chaplin ging er zur Arbeit

Lichtin erlebte Manser selber nicht mehr, er kam vor zwölf Jahren nach Luzern (siehe Box am Ende). Aber wie Lichtin aus dem Stegreif erzählt, merkt man, dass auch er Manser kennengelernt hat – anders kennengelernt hat. «Diese künstlerisch äusserst talentierte Person hat mich gepackt.»

«Seine Plakate haben Sprachwitz, sind plakativ im eigentlichen Wortsinn.»

Christoph Lichtin, Kurator

Der Kurator ist überzeugt, dass Manser neben seiner öffentlichen Rolle als Stadtoriginal ein anderes, privates Leben hatte. «Emil Manser spielte eine Rolle, als Charlie Chaplin ging er zur Arbeit, aber es gab noch einen anderen Manser.» Er sei beides gewesen, «beides war authentisch».

Kurator Christoph Lichtin im Historischen Museum.

Kurator Christoph Lichtin im Historischen Museum.

(Bild: jwy)

Auf einer grossen Tafel in der Ausstellung ist ein ganz bestimmtes Foto im Fokus: Emil Manser 1996 auf einem Ausflug in Solothurn, fotografiert von Anita Bucher, seiner damaligen Lebenspartnerin. Unverkleidet und ungeschminkt. «Manser als Jedermann», wie es Lichtin beschreibt. Es sind solche Bilder, die der Kurator hinter den bekannten Bildern, die in so vielen Köpfen weiterleben, finden wollte.

Aufenthalte in der Klinik

Die Ausstellung

Ausstellung: «Wer mich kennt, liebt mich. Emil Manser (1951–2004)», 9. Dezember 2016 bis 17. April 2017 im Historischen Museum Luzern. Vernissage: Donnerstag, 8. Dezember, 18.30 Uhr.

Weiterhin erhältlich ist in fünfter Auflage der Kassenschlager «Ist mir grosse Ehre von gleicher Sorte zu sein» – das Buch über Manser. Anlässlich der Ausstellung gibt es auf Karton nachgedruckte Plakate in Kleinformat sowie Manser-Bierdeckel. Waren doch bei Emil Manser das Trinken und seine Plakatkunst nah beisammen.

Zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm: Vorträge, Ausstellungsrundgänge (zum Beispiel mit der Güüggali-Zunft) sowie einen Plakat-Wettbewerb für Schulklassen (mehr dazu).

Über ein Jahr lang hat er für die Ausstellung recherchiert, wollte neue Fakten finden (zentralplus berichtete). Denn Bilder und Anekdoten gibt es über Emil Manser unzählige, dafür umso weniger gesicherte Fakten.

Lichtin gibt zu: Die Recherche war auch ernüchternd. Von Behördenseiten und aus den Kliniken gab es aufgrund des Personenschutzes keine Informationen zu Manser, da müsse man wohl noch 50 Jahre warten. Manser lebte ab den 80ern unter Vormundschaft und verbrachte mehrere Aufenthalte in der psychiatrischen Klinik.

Dass die Ausstellung trotzdem einen neuen Blick auf Emil Manser ermöglicht, liegt an der sorgfältigen Auswahl und dem Arrangement der Plakate – und natürlich an der Einschätzung und Einordnung derselben durch Christoph Lichtin. Das Museum zeigt nicht alle 150 Plakate aus seinem Fundus, sondern 37 ausgewählte.

Manser neben Bob Dylan

Auf einer grossen Wand erhält Manser eine ganz spezielle Würdigung als Künstler: Sie stellt ihn in einen grösseren Kontext. Emil Manser in bester Gesellschaft mit dem Manifesta-Kurator Christian Jankowski, dem Performer und Künstler Ben Vautier, Charlie Chaplin und sogar Bob Dylan. Aber auch demonstrierende Kinder gegen Sparmassnahmen des Kantons Luzern sind da zu sehen: «Schparen in der Bildung foll valsch» haben sie auf ein Plakat geschrieben. Damit sind sie auf den Spuren Mansers, der mit Sprache genauso experimentierte wie mit Gestaltung, Typografie und Farben.

Emil Manser in bester Gesellschaft: Tafel im Eingangsbereich des Museums.

Emil Manser in bester Gesellschaft: Tafel im Eingangsbereich des Museums.

(Bild: jwy)

Die Ausstellung wagt eine Art Typologie von Mansers Plakaten. Vieles, was darin vorkommt, knüpft, mal offensichtlicher, mal versteckter, an die Biografie von Emil Manser an. Die Sprüche spiegeln die Rollen, in denen sich Manser sah: Künstler, Politiker, Unternehmer, Philosoph, aber auch weibliche Rollen: Fräulein Philosophin Emil Manser.

Gewisse Plakate sind gekonntes Selbstmarketing – Manser war ein Verkäufer seiner selbst. Dazu entwarf er Headlines – ein Beispiel: «Ich bin heute KÜNSTLER / Autogramm 20 Rappen / Bitte hinten anstehen.»

Es bleiben Rätsel

«Seine Plakate haben Sprachwitz, sind plakativ im eigentlichen Wortsinn», so Lichtin. Man findet auf den Plakaten politische Parolen, Sinnsprüche, und oft pocht Emil Manser auf Toleranz: Man soll die Leute so lassen, wie sie sind – was nicht zuletzt auf ihn bezogen gelten sollte. «Das war wohl seine zentrale Aussage: Dafür will ich einstehen», sagt Lichtin.

In der Ausstellung bekommt man erläuternde Worte zu jedem ausgestellten Plakat, obwohl sich Manser selber nie erklären wollte und vieles offen gelassen hat. «Das ist eine künstlerische Haltung», so Lichtin. Wie schrieb doch Manser auf einem Plakat: «Nicht verstanden / Ich auch Nicht.»

Trotzdem sind die Erklärungen hilfreich. Man erfährt, dass mit dem «Christof» tatsächlich der Blocher gemeint war, mit «USa Bräsidend» George W. Bush – und vielleicht kennen nicht mehr alle «Radio Müsli», den «Berufskollegen» Mansers.

Auch Gegenstände sind in der Ausstellung zu sehen: ein Mantel und Puppen.

Auch Gegenstände sind in der Ausstellung zu sehen: ein Mantel und Puppen.

(Bild: jwy)

Aber genauso gut kann man die Plakate ohne Erklärung auf sich wirken lassen – und alles konnte auch Christoph Lichtin nicht entschlüsseln. Auf einem schwarzen Mantel, der in der Ausstellung hängt, steht mit weisser Farbe: «Kälblein Phönix London / Nur Bezeren Körper als Charlie.» «Keine Ahnung, was damit gemeint ist», gibt Lichtin zu. Und er scheint nicht unfroh, dass das Mysterium Emil Manser auch nach umfangreicher Recherche nicht gänzlich durchleuchtet wird.

«Seine abgründigen Lebensweisheiten und Sprüche faszinieren noch heute, sogar Menschen, die Emil Manser gar nie erlebt haben», so Christoph Lichtin. Er weiss, wovon er spricht.

Wer war Emil Manser?

Emil Manser wurde 1951 im appenzellischen Meistersrüte geboren. Er lernte Buchdrucker, gab den Beruf später auf und arbeitete als Maurer und Maler. Nach Luzern kam er 1975, wo er weiter als Maler arbeitete. «Als Unternehmer war Emil Manser jedoch ungeeignet, er hatte zunehmend wirtschaftliche Schwierigkeiten», schreibt Kurator Christoph Lichtin im Begleittext.

Ein Wendepunkt in Mansers Leben war 1982: Er wurde in Asien, wo er zwei Jahre verbrachte, aufgegriffen und in der Schweiz in die Psychiatrie überführt. Manser wurde unter Vormundschaft gestellt und lebte im Männerwohnheim, später in einer eigenen Wohnung und musste immer wieder in die Klinik.

Er bekam Unterstützung und hielt sich mit verschiedenen Tätigkeiten über Wasser – an einer Eisenbahnböschung hielt er etwa Hühner. Doch sein Alkoholkonsum verunmöglichte ein regelmässiges Einkommen.

Ab Ende der 80er-Jahre und bis zu seinem freiwilligen Tod am 3. August 2004 hielt sich Manser an verschiedenen öffentlichen Plätzen, oft bei der Kantonalbank, mit seinen selbstgemalten, grossformatigen Plakaten auf. 15 Jahre lang prägte er so das Stadtbild Luzerns. Er inszenierte seine Auftritte mit verschiedenen Outfits, die zum Teil auch in der Ausstellung zu sehen sind.

Genauso wie sein Leben inszenierte Manser sein Ableben: Auf seinem letzten Plakat stand: «Krebs! (Wählte Abkürzung in Himmel)» Danach sprang er in die Reuss – und erinnerte damit an einen berühmten Vorgänger aus der Reihe der Stadtoriginale: an Dällebach Kari aus Bern. Manser litt jedoch nicht an Krebs, sondern hatte Krankheiten, die man hätte behandeln können. «Die Verzweiflung und vor allem die Angst, sich ins Spital und in die erneute Obhut von Ärzten begeben zu müssen, waren wohl grösser als die Angst vor der Krankheit selbst», schreibt Lichtin.

Das Historische Museum erhielt die Plakate und Gegenstände nach Emil Mansers Tod als Schenkung.

Weitere Bilder aus der Ausstellung sehen Sie in der Galerie:

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