(SWEET)(BITTER) im Südpol Luzern

Ein Tänzer, der sich im Minutentakt neu erfindet

Zum ersten Mal seit 2001 hat Thomas Hauert ein Solo für sich selbst choreografiert. In (SWEET)(BITTER) schöpft der Schweizer Tänzer aus seinem grossen Erfahrungsschatz und kreiert damit eine Reise, die tief in uns selbst hineinführt.

Die Aufführung von (SWEET)(BITTER) von Thomas Hauert im Südpol war eine intime Angelegenheit. Die Hausdramaturgin Mona De Weerdt begrüsste die Zuschauer persönlich im Südpolbistro, bevor sie alle in die mittlere Halle führte. Was wir dann zu sehen bekamen, war eine Achterbahn der Gefühle und eine Reise tief in uns selbst hinein.

(SWEET)(BITTER) ist erst das dritte Solostück in der langen Karriere von Thomas Hauert. Der in Brüssel lebende Schweizer Tänzer und Choreograf hat sich in den letzten 20 Jahren vor allem als Choreograf und Leiter seiner Truppe «ZOO» einen Namen gemacht. Der Schwerpunkt seiner choreografischen Arbeit liegt im Ausloten des bestehenden Bewegungsvokabulars und der Hinterfragung des Begriffs der «Interpretation». Dieser Kreationsansatz ist auch in seinem neusten Stück (SWEET)(BITTER) zu entdecken.

Barocke Musik als Inspiration für modernen Tanz?

Grundlage bildet das Barockstück Si dolce è’l Tormento von Claudio Monteverdi (1567–1643). Hauert stellt verschiedene Interpretationen der historischen Aufführungspraxis einander gegenüber, mal mit Gitarre, dann mit Laute, von einem weiblichen Sopran gesungen, dann wieder von einem männlichen Contralto, bis hin zu modernsten Umbearbeitungen.

Die variierende Instrumentierung und die verschiedenen Tempi ermöglichen es Hauert, sich ebenso differenziert aus seinem grossen Erfahrungsschatz zu bedienen und sich als Tänzer scheinbar im Minutentakt neu zu erfinden. Wie die Musik schöpft auch die konzeptuell-improvisierte Choreografie aus dem Vollen. Klassischer Tanz, Modern, No-Theater und Hip-Hop waren alle zugegen, bunt durcheinandergemischt und manchmal auch erst auf den zweiten Blick entzifferbar, denn so schnell wie die Assoziationen auftauchen, verschwinden sie wieder. Auf der spärlich eingerichteten, durch LED-Lampen beleuchteten Bühne erschafft Hauert so ein eigenes Mikroversum, an dem er die Zuschauer teilhaben lässt.

Gleichzeitig durchbricht er die 4. Wand fortlaufend, indem er durch Handzeichen die Musik abbricht, sein Kostüm wechselt und die Musik dann weiterlaufen lässt.

Porträt von Thomas Hauert

Porträt von Thomas Hauert

(Bild: zVg)

Der gemeinsame Nenner: das Gefühl von Sehnsucht

Im Nachhinein betrachtet dürfte man ein solches Ereignis nicht als Tanzstück bezeichnen, denn durch die Loslösung von Stilen und Erwartungshaltungen ist (SWEET)(BITTER) viel mehr als das.

Die Bilder, die ein solches Stück evoziert, sind so stark, wie sie von Person zu Person verschieden sind. Während für mich dieses Stück die existenzielle Suche eines Künstlers nach den – nie existieren werdenden – perfekten Umständen darstellt, interpretierte meine Begleitung die Geschichte als die eines Menschen in einer Smog-verpesteten, bipolaren Grossstadt, auf der Suche nach Frischluft. Im anschliessenden Künstlergespräch mit offerierter Suppe kamen noch viele weitere Bilder dazu, aber sie alle hatten eins gemeinsam: ein Gefühl von Sehnsucht.

Mit leiser Stimme beantwortet Hauert die Fragen der Zuschauer, manchmal auf Schweizerdeutsch, manchmal mithilfe von englischem Vokabular. Man spürt, dass die Arbeit an (SWEET)(BITTER) mehr als nur Mittel zum Zweck der Erschaffung eines Solos war. Dezidiert versucht Hauert, die Idee der Improvisation zu erklären, als ein nicht existierendes Phänomen, nach dem es zu streben gilt. Er erzählt von der Kultivierung von Intuition und der schwierigen Aufgabe, das angeeignete Wissen und Gewohnheiten zu erkennen und auszutricksen, indem er seine Aufmerksamkeit auf verschiedene Körperteile projiziert und seiner eigenen Bequemlichkeit und dem Wohlgefühl gegenüber misstrauisch eingestellt ist.

(SWEET)(BITTER) ist noch heute Samstag um 20.00 Uhr im Südpol zu sehen.

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