Luzerner Theater: Opern-Premiere in Emmenbrücke

Fantastischer «Rigoletto» erweckt Industriehalle zum Leben

Die Höflinge verspotten Rigoletto – Bernt Ola Volungholen in der Federjacke als Marullo und Denzil Delaere mit der blonden Perücke als Borsa.  (Bild: Luzerner Theater/Ingo Höhn)

Eine Oper in einer heruntergekommenen Industriehalle? Wo früher mit der Nylonherstellung experimentiert wurde, lässt sich das Luzerner Theater auf ein spannendes Experiment ein: Die Inszenierung von Verdis «Rigoletto» überzeugt, die Viscosi-Halle in Emmen ist – wider Erwarten – ein ausgezeichneter Klangkörper.

Das Opern-Ensemble des Luzerner Theaters eröffnete am Sonntagabend mit einer blühenden Vorstellung von Verdis «Rigoletto» den Opernherbst. Unter der Leitung von Regisseur Marco Štorman und in Zusammenarbeit mit Studierenden der Hochschule Luzern – Design & Kunst entstand eine äusserst lebendige Inszenierung, der es gelingt, das Publikum in die seelischen Abgründe Rigolettos mitzunehmen.

Hautnah dabei

Party im Herzogspalast: Sparafucile (Vuyani Mline) und Contessa di Ceprano (Jeanett Neumeister).  (Bild: Luzerner Theater/Ingo Höhn)

Party im Herzogspalast: Sparafucile (Vuyani Mline) und Contessa di Ceprano (Jeanett Neumeister).  (Bild: Luzerner Theater/Ingo Höhn)

Nach einer kurzen Einführung durch die Dramaturgin Laura Schmidt im neuen Gebäude 745 der Hochschule für Kunst & Design, verlässt man die moderne Welt und findet sich schon bald auf dem grossen Fest des Herzogs von Mantua in einer wirkmächtig dekorierten Pilothalle wieder.

Es glitzert und glänzt golden, zahlreiche Glühbirnen versprühen warmes Licht, ein Duft von Popcorn, Zuckerwatte und Süssigkeiten schwirrt durch die Luft. Die Zuschauer verteilen sich zwischen den Protagonisten und Musikern; Publikum und Bühne verschmelzen zu einem grossen Ganzen. Dass man den lieblichen Gesang der Gräfin von Ceprano (Sarah Alexandra Hudarew) aufgrund der hereinströmenden Zuschauermasse nicht ganz so gut hört, ist zwar schade, aber nicht weiter schlimm. Die unruhige Stimmung gehört nun einmal zu einem Fest und macht es umso realistischer.

Lüsterne Höflinge

Plötzlich taucht der Gastgeber auf, der Herzog von Mantua, gespielt vom mexikanischen Tenor Diego Silva. Seine gierigen Höflinge um sich herum scharend, stolziert er durch das Publikum und strotz nur so vor Charme und Selbstliebe. Als Zuschauerin steht man teilweise neben den Sängern und ist wirklich hautnah dabei. Vor allem der grandios gespielte lüsterne und verrückte Marullo (Bernt Ola Volungholen), der einen an Heath Ledgers Joker in «The Dark Knight» erinnert, geht gerne auf Tuchfühlung mit dem Publikum.

Auch immer dabei sind Kameras, die nicht nur dem Publikum die Protagonisten auf zahlreichen Bildschirmen sichtbar machen, sondern auch dem Herzog von Mantua eine moderne Form der Selbstinszenierung ermöglichen.

Spiel mit Perspektiven und Räumlichkeit

«Rigoletto» in der Pilothalle

«Rigoletto»: Oper von Giuseppe Verdi. Luzerner Theater in Kooperation mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst. Weitere Vorstellungen bis 2. Dezember in der Pilothalle Viscosistadt, Emmenbrücke. Inszenierung: Marco Štorman, musikalische Leitung: Stefan Klingele, Bühne: Frauke Löffel.

Das Theaterfoyer befindet sich im neuen Bau 745 der «Kunsti» nebenan. Vor den Vorstellungen gibt’s jeweils eine Führung über das Gelände und einen Blick hinter die Kulissen. Anmeldung jeweils bis zwei Tage vor der Führung: 041 228 14 14. Informationen unter luzernertheater.ch/rigoletto

Nach der ersten Szene wird das Publikum auf zwei unterschiedliche Tribünen geführt. Auch die Bühne ist in zwei Ebenen aufgeteilt. Das Geschehen auf der jeweils anderen Bühne wird dem Publikum mithilfe von Videoprojektionen vermittelt. Zudem werden an den Seitenwänden der Halle sowie zum Schluss der Vorstellung auf einer grossen Leinwand vor der Bühne Filmausschnitte gezeigt.

In zahlreichen Szenen ist die Kamera ganz nah bei den Protagonisten dabei und bewegt sich mit ihnen. So beispielsweise als Rigoletto (Claudio Otelli) sich nach dem Fluch vom Grafen Montenore (Jason Cox) nach Hause begiebt, voller Angst, Wut und Unruhe durch die verwinkelten Treppen der Pilothalle rennt und verzweifelt nach einem Ausweg sucht. Štorman und sein Team beleben die Halle damit nicht nur, sondern ermöglichen dem Publikum eine Opernerfahrung ganz neuer Art. Aufgrund der Musik, des Gesangs, des Bühnenspiels und der mithilfe der projizierten Nahaufnahmen sehr gut sichtbaren Mimik der Akteuren, schafft es Štorman, eine bewegende Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Perspektiven herzustellen. Damit greift er das Thema der Multiperspektivität einer pluralen Gesellschaft hervorragend auf.

Ein gespaltenes Subjekt der Moderne

Der Hofnarr Rigoletto hadert. Mit seiner Vergangenheit, seiner Zukunft und seiner eigenen Identität. Er ist ein Ausgestossener, ein Andersartiger, was auch an seinem Äusserlichen erkennbar ist. Während der Hofnarr traditionellerweise der farbige Clown ist, hat die Kostümverantwortliche Anika Marquardt die Rollen einmal vertauscht. Sie lässt ihn schlicht und grau mit blassem Gesicht auftreten, während die anderen Protagonisten farbige Vögel mit einem Gemisch aus klassischen Kostümen und modernen Nike-Turnschuhen darstellen.

Rigoletto, einerseits zynischer und fieser Hofnarr, der mit seiner scharfen Zunge tötet, andererseits liebevoller und fürsorglicher Vater von Gilda (Magdalena Risberg) geht an seiner innerlichen Zerrissenheit zu Grunde. Die Unruhe, die seine umtriebene Seele ständig heimsucht, spielt Claudio Otelli hervorragend. Doch auch das Zusammenspiel vom akzentuierten und dynamischen Luzerner Sinfonieorchester und der Bühnenperformance des Chores widerspiegelt diese innere Unruhe und Hektik in zahlreichen Szenen.

Alle wenden sich von Rigoletto ab

In der Szene der Entführung Gildas wird der Raum ganz abgedunkelt und die Höflinge zünden mit ihren Taschenlampen hastig umher. Dazu klingen nervöse Geigentöne. Man spürt die Verzweiflung Rigolettos geradezu, manchmal scheint er sogar ein wenig verrückt. Wenn er seine Tochter nicht mehr hat, ist er nichts mehr. Seine eigene Identität kommt ihm abhanden. Er möchte ganz nahe bei seiner Tochter sein und klebt sich mit Postern von ihr am ganzen Körper zu – bis man kaum mehr etwas von ihm, sondern nur noch seine Tochter sieht.

Claudio Otelli als Rigoletto mit dem Sack – es wird böse enden ...  (Bild: Luzerner Theater/Ingo Höhn)

Claudio Otelli als Rigoletto mit dem Sack – es wird böse enden …  (Bild: Luzerner Theater/Ingo Höhn)

Zum Schluss wenden sich alle von Rigoletto ab. Auch seine Tochter. Zusammen mit dem Herzog, Marullo und Borsa (Denzil Delaere) steht sie draussen an einem Fluss, womöglich dem Styx, dem Fluss des Grauens. Sie haben den Fluss bereits überquert, doch Rigoletto bleibt einsam und verlassen am Ufer zurück. Mit dem Sack, den er von Sparafucile (Vuyani Mlinde) erhalten hat, weiss er nur noch eines zu machen. Er steckt den Kopf hinein, erstickt sich damit und lässt endlich Ruhe einkehren. Štormans ganz eigene Schlussszene ist die Krönung einer sehr gelungenen Inszenierung, die das Publikum in die umtriebene Innenwelt Rigolettos steigen lässt.

Pilothalle als hervorragender Klangkörper

Entgegen jeder Befürchtung hat sich die Pilothalle als ausgezeichneter Klangkörper herausgestellt. Das Luzerner Sinfonieorchester unter der musikalischen Leitung von Stefan Klingele spielte sehr stimmungsvoll und akzentuiert durch die Paritur. Der Bassbariton Claudio Otelli zeigte eine stimmliche Glanzleistung, überzeugte sowohl in den unzähligen Duetten als auch in den wenigen Arien mit seiner ehrfurchtgebietenden, durchdringenden Stimme und seiner gefühlvollen Interpretation.

Mehr Eindrücke im Video:

Der Sopran von Magdalena Risberg klingt mädchenhaft hell und weich, verfügt über genügend Stärke, um die Leidenschaft und Wut der Gilda zum Ausdruck zu bringen. Ihre Koloraturen sind fliessend und die Bögen sanft und stimmig. Einzig Diego Silvas lyrischer Tenor scheint neben den beiden anderen etwas unterzugehen, trotz seines oftmals zu starken Vibratos. Der Hit «La donna è mobile» wirkt eher flach und unspektakulär, löst auch beim Publikum keinen grossen Applaus aus. Doch das gesangliche Gesamtwerk zusammen mit der gelungenen Inszenierung überzeugt das Publikum. Die Protagonisten werden mit einem tosenden Applaus verabschiedet.

Lesen Sie auch unser Gespräch mit der Bühnenbildnerin Frauke Löffel und dem technischen Projektleiter Julius Hahn: «Man muss ein bisschen verrückt sein»

Mehr Bilder der Aufführung in der Galerie:

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