Interview mit Michael Elsener

«Niemand kommt unter die Räder»

Für sein neues Programm zerpflückt Michael Elsener Zeitungen, Sendungen und aktuelle Themen: Immer auf der Suche nach guten Geschichten.

Alle finden seine Parodie von Kurt Aeschbacher furchtbar lustig. Weniger lustig finden einige Michael Elseners neustes Lied. Kann passieren, findet er, sinniert aber viel lieber darüber, wie man Zuschauer auf die falsche Fährte lockt und warum man über die Spiess/Hürlimann-Affäre Witze machen darf.

Angefangen mit einem Zeitungsartikel von «20 Minuten» entflammte letzte Woche eine kurze, doch teils heftige Diskussion zu Michael Elseners Musikvideo «Din Jugo», der seit Juni auf Youtube steht. Zu dem Zeitpunkt befand sich Elsener fernab des Trubels im Ausland. zentral+ hat ihn jedoch, zumindest virtuell, aufgestöbert und befragte ihn schriftlich über die Grenzen von Humor, Schamgefühle und sein neues Programm.

zentral+: Warum findet man Dich lustig?

Michael Elsener: Eine sehr lustige Frage… Vielleicht, weil man das, was ich sage, oft nicht erwartet? Ich glaub, man mag mich eher, wenn man als informierter Mensch durchs Leben geht und eher auf etwas hintergründigen Humor steht. Oder wenn man Locken irgendwie lustig findet.

zentral+: Und warum finden die Leute Parodien lustig?

Elsener: Parodieren ist etwas sehr Kindliches. Darum mag ich es auch so, Leute nachzuahmen. Wir alle haben 300 Mal Roger Federer gehört, wie er zu Beginn einer Antwort jenste Worthülsen braucht, bis er auf eine Aussage kommt. Wenn ich dann komme und als Federer sage: «Jo i mein isch ganz klar oder aso isch sicher so aso ich mein aso – was isch d’Frog gsi?» Die Zuschauer erkennen den Federer wieder und dieses Erkennen wird quasi mit Lachen goutiert. Aber das sind einfach die ersten 30 Sekunden einer Parodie, danach muss Inhalt kommen.

«Ich beschäftige mich mit den Leuten, die sich mich anschauen. Von den anderen hab ich ehrlich gesagt keine grosse Ahnung.»

zentral+: Wer findet Dich hingegen nicht lustig?

Elsener: Darüber habe ich noch gar nie nachgedacht. Hm. Es läuft ja so ab: Ich mach auf der Bühne oder im Fernsehen Dinge, von denen ich selber glaube, dass sie lustig sind. Und beim Zuschauer den einen oder anderen Perspektivenwechsel ergeben könnten.

Ich mache quasi ein Angebot. Aber das Publikum sucht sich mich als seinen Kabarettisten aus – und nicht umgekehrt. Von daher: Ich beschäftige mich mit den Leuten, die sich mich anschauen. Von den anderen hab ich ehrlich gesagt keine grosse Ahnung. Auf der Strasse kommen die Menschen auf mich zu, die mich lustig finden. Von den anderen höre ich in der Regel nichts.

zentral+: Über die Nachahmung homosexueller Persönlichkeiten zu lachen scheint okay zu sein, wie man den Reaktionen auf Deinen Kurt Aeschbacher entnehmen kann. Bei welchem Thema gibt es Grenzen?

Elsener: Bei der Aeschbi Parodie geht es mir nicht darum, einen homosexuellen Moderator zu imitieren. Mir geht’s um Aeschbis Gutmenschen-Predigerton: «Mer wei hött öber Möönsche rede, wo’s ned so guet hei wie mer…» und sein unglaubliches, zu jeder Zeit abrufbares, Einfühlungsvermögen: «Öie Goudfisch isch gstorbe, wie heit deer das erläbt?». Ich durfte vor kurzem in seiner Sendung zu Gast sein und darf sagen: Sein Umgang mit seiner eigenen Parodie ist sehr selbstironisch. Ich mag Kurt sehr.

Aber Du fragst, wo’s Grenzen gibt: Es gibt bei keinem Thema eine klar definierbare Grenze. Als Kabarettist brauch ich eine klare Haltung zu einem Thema und eine klare Zielrichtung der Pointe. Auf eine Person mit mehr Macht als ich etwa darf ich zielen.

zentral+: Du kommst aus Zug. Aus der Spiess/Hürlimann-Affäre haben einige Leute (ob an der Fasnacht oder für Musikvideos im Internet) versucht, Satire zu machen. Geht das moralisch?

Elsener: Natürlich geht das. Es ist ja etwas passiert, das die Gemüter erregt. Da braucht es ein Ventil. Also macht man Witze drüber. Für mich kommt’s drauf an, wie so eine Persiflage gemacht ist. Spannend finde ich’s dann, wenn mir eine Persiflage einen neuen Blickwinkel aufs Geschehene gibt.

Das Problem bei dieser Geschichte ist aber, dass wir als Medienkonsumenten nicht genau wissen, was zwischen den Zweien wirklich passiert ist. Drum machen die Rechten Witze über Spiess und die Linken Gags über Hürlimann. Bringt uns nicht weiter. Wir haben quasi parteipolitische Comedy. Satire könnte man beispielsweise machen über den öffentlichen Geltungsdrang der beiden. Warum geben sie den Medien noch im April Statements über ihre Nacht letzten Dezember?

zentral+: Es scheint Grenzen zu geben für Deinen Humor. Vor eineinhalb Monaten hast Du das Video «Din Jugo» auf Facebook gestellt. Lange blieb es ruhig darum, letzte Woche häuften sich dann plötzlich die Negativ-Kommentare und Drohgebärden. Sind das Reaktionen, die Du einkalkuliert hast?

Elsener: Humor kann man missverstehen. Das Video zeigt anhand von Schweizer- und Balkan-Klischees auf, dass wir eigentlich ganz viele Gemeinsamkeiten haben. Es macht sich über die verklemmten Schweizer lustig, die auch mal aus sich rauskommen möchten. Von ein paar Tausend, die das Video gesehen haben, haben ein paar Dutzend empört reagiert. Dies allerdings erst nachdem eine Zeitung fett geschrieben hat: «Das provoziert.»

zentral+: Hast Du zu einem gewissen Grad auch Verständnis für die roten Köpfe dieser Kritiker?

Elsener: In einem dreiminütigen Popsong sind die Dinge verkürzt dargestellt. Das kann man falsch auffassen. Rote Köpfe waren definitiv nicht die Absicht. Ich habe mich aber auch gefragt, was in der Schweizer Integrationspolitik wohl schiefgelaufen ist, dass sich einige Menschen so wenig akzeptiert fühlen vom Rest der Schweiz, dass sie sich so empören ob einem eigentlich ziemlich harmlosen Video.

Innert Tagen haben sich die Klickzahlen des Videos «Din Jugo» letzte Woche vervielfacht.

zentral+: Der Youtube-Komiker Bendrit Bajra spielt extrem mit den Klischees von Schweizern und Ausländern und geht dabei überhaupt nicht zimperlich mit Balkan-Klischees um. Die Reaktionen auf dessen Videos sind fast nur positiv. Kannst Du Dir weniger erlauben, weil du blonde Locken hast und keinen Migrationshintergrund vorweisen kannst?

Elsener: Als Schweizer gehe ich Integrations-Themen ganz natürlich anders an. Wenn ich in Deutschland auftrete, bin ich der Ausländer, mache Witze übers Schweizer Inseldasein und halte den Deutschen den Spiegel vor bezüglich ihrer Nörgelei.

zentral+: Nun aber zu etwas ganz Anderem. In welchen Momenten auf der Bühne genierst Du dich?

Elsener: Früher hab ich mich geniert, wenn ich den Text vergessen hab. Am Anfang hat mich das gestresst. Mittlerweile sehe ich es als Chance zum Improvisieren.

«Ich finde, ich kann auf der Bühne immer unverkrampfter und selbstironischer über meine Fehler und Schwächen reden.»

zentral+: Kann man sich das Schamgefühl abtrainieren?

Elsener: Natürlich habe auch ich als Komiker Themen, die mich treffen. Ich finde, ich kann auf der Bühne immer unverkrampfter und selbstironischer über meine Fehler und Schwächen reden. Abtrainieren lässt sich das Schamgefühl nicht komplett, aber ich konnte die Grenze, worüber ich reden kann und worüber nicht, schon ziemlich ausweiten.

zentral+: Merkst Du im Nachhinein manchmal, dass ein Witz sein «Opfer» zu tief getroffen hat?

Elsener: Das passiert sehr selten. Und wenn, dann geh ich auf die Leute zu und spreche sie drauf an. In der Regel sehen die es aber lockerer als ich. Witzigerweise erkundigen sich vor Veranstaltungen mit Politikern oft einige im Voraus, ob ich eine Pointe über sie bringen werde. Falls ich es nicht vorhabe, ermuntern sie mich dazu. Die Logik dahinter: Nur wer auf der Bühne «drankommt», ist auch wirklich wichtig.

zentral+: Im September kommt Dein neues Programm «Mediengeil». Wer kommt dabei unter die Räder?

Elsener: Unter die Räder kommt niemand. Ich rede über uns alle, unseren Medienkonsum, warum wir nicht vom Smartphone loskommen. Darüber, wie gewisse Medienunternehmen geschickt ihre Marktmacht ausnutzen. Und über Terroristen, die Kidnapping-Videos drehen. – Und natürlich parodiere ich auch. Zum Beispiel einen Bundesrat, der es mit seinen Reden schafft, nachmittags um 15 Uhr ein ganzes Auditorium innerhalb von drei Minuten in Tiefschlaf zu versenken.

zentral+: Wie muss man sich die Vorbereitungen darauf vorstellen? Guckt man da einfach sechs Stunden täglich TV und schreibt sich heisse Themen und gute Charaktere auf?

Elsener: Ich schaue fast nie fern. Neue Charaktere entwickeln sich über mehrere Monate. Die Parodien entstehen beim Radionachrichten-Hören. Wenn mich etwas aufregt, wird’s zum Thema einer Nummer. Irgendwann gucke ich dann, welche Figur oder Parodie zu einem bestimmten Thema passt und ob ich eine Geschichte dazu erzählen kann. Was mich interessiert sind gute Geschichten, die etwas aussagen.

«Zur Inspiration schau ich bewusst Vorträge an zu Themen, die mich überhaupt nicht interessieren oder ich besuche einen Freikirchen-Event.»

zentral+: Welchem Comedian guckst Du ab, um Inspiration zu finden?

Elsener: Ich schaue mir viele Comedians an. Vor allem amerikanische Late-Night-Hosts. Allerdings nicht unbedingt zur Inspiration. Denn, was ein anderer Comedian gemacht hat, das kann ich ja nicht mehr machen. Zur Inspiration schau ich eher bewusst Vorträge an zu Themen, die mich überhaupt nicht interessieren oder ich besuche einen Freikirchen-Event. Die Inspiration ist eigentlich immer dort, wo die Dinge noch unfertig und roh sind – oder total überinszeniert.

zentral+: Und welchen Comedian guckst Du Dir an, um rauszufinden, wie Du sicher nicht sein möchtest?

Elsener: Da gäbe es schon zwei drei. Die waren früher sogar mal richtig gut. Aber ich orientiere mich eigentlich lieber nach oben.

«Ich finde es etwas vom Befriedigendsten, wenn ich es schaffe, die Zuschauer mit Hilfe eines Klischees auf eine falsche Fährte zu locken.»

zentral+: In einem früheren Interview mit zentral+ hast Du gesagt: «Ich glaube, dass wenn ich ohne Vorurteile auf Menschen zugehe, sie dasselbe mit mir machen.» Das Denken in Vorurteilen und Klischees ist aber eine Pflicht für Dich als Comedian. Wie schafft man es, dass sich die Vorurteile nicht tatsächlich im Kopf einnisten?

Elsener: Natürlich denk ich auch in Klischees, sonst wäre das Leben viel zu kompliziert. Aber als Kabarettist bin ich sehr wach im Umgang mit Klischees. Ich spiele ja mit ihnen. Versuche sie zu brechen. Auf der Bühne finde ich das etwas vom Befriedigendsten, wenn ich es schaffe, die Zuschauer mit Hilfe eines Klischees auf eine falsche Fährte zu locken und sie dann mit der Pointe quasi selber demaskiere. Und jeder merkt: Ups, ich bin auf ein altes Denkmuster reingefallen.

zentral+: Das neue Programm beginnt am 22. September in Zug. Ist das Programm bereits fixfertig?

Elsener: Fertig ist ein Kabarett-Programm eigentlich nie. Es ist ständig im Fluss. Bereits nach einem halben Jahr kommt’s anders daher. Die Aktualität spielt mit rein, gewisse Passagen baue ich aus, andere Nummern muss ich kippen, weil grad der parodierte Promi seinen Rücktritt bekannt gegeben hat. Aber um auf Deine Frage zurückzukommen: Fixfertig ist auch die Rohfassung noch nicht. Wer jetzt trotzdem schon ein Ticket kauft, erhöht den Druck auf mich, dass es dann auch wirklich fertig wird.

zentral+: Was gibt es denn jetzt noch konkret zu tun?

Elsener: Ich bin noch zwei Nummern am Umschreiben. Die Parodien brauchen noch ein paar Überzeichnungen mehr. Und ja, die Schlusspointe wurde gerade von der Aktualität eingeholt. Drum brauche ich jetzt eine Neue.

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