Luzerner Kurzfilm am Filmfestival Locarno

«Da wirst du paranoid»

Hat allen Grund zum Lachen: Die Luzerner Filmemacherin Corinna Schwingruber Ilic. (Bild: Corthafilm)

Dem Luzerner Regisseuren-Paar Corina Schwingruber Ilic und Nikola Ilic ist mit «Just another day in Egypt» eine eindrückliche Momentaufnahme der ägyptischen Gesellschaft gelungen. Dabei waren die Dreharbeiten am Nil alles andere als ungefährlich – in Kairo haben die beiden Kopf und Kragen riskiert.

Zwei Luzerner Filmemachern ist gelungen, wovon andere nur träumen: Der Kurzfilm von Corina Schwingruber Ilic und Nikola Ilic hat es in die Auswahl des renommierten internationalen Filmfestivals Locarno geschafft. Dabei war der Streifen alles andere als von langer Hand geplant – die Idee zum Film wurde erst aus der Not geboren. 

Ein abenteuerliches Unterfangen

Schwingruber Ilic reiste im Februar 2014 dank eines Ateliers-Stipendiums der Stadt Luzern und der Städtekonferenz Kultur (SKK) für sechs Monate in die ägyptische Hauptstadt Kairo. «Die arabische Kultur hat mich schon immer interessiert», sagt die 34-jährige Werthensteinerin.

Eindrückliche Momentaufnahme

Der Kurzdokumentarfilm «Just another day in Egypt» des Luzerner Film-Duos Corina Schwingruber Ilic und Nikola Ilic ist gelungen – offenbar so gut, dass ihn das renommierte internationale Filmfestival Locarno in sein Programm aufgenommen hat. 

Das knapp elfminütige Porträt der ägyptischen Gesellschaft läuft im Wettbewerb «Pardi di Domani» der 68. Ausgabe des Filmfestivals, das vom 5. bis 15. August 2015 in Locarno stattfindet. Weltpremiere feiert der Streifen am Freitag, 7. August, um 14.00 Uhr im Theater «La sala». Aufgeführt wird der Luzerner Beitrag auch am Samstag und Sonntag, 8. und 9. August, im Theater «L’altra sala». 

Zu dieser Zeit kam es in der Acht-Millionen-Metropole immer wieder zu Ausschreitungen und Unruhen. Trotzdem entschied sich Schwingruber Ilic, den Kulturaustausch zu wagen. «Ich hatte den Aufenthalt schon lang vorher geplant und mich mit drei Projektideen für das Atelier-Stipendium beworben. Zudem war ich ja nicht alleine.» Ihr Mann, selber Regisseur und Kameramann, habe sie vorsichtshalber die meiste Zeit begleitet.

«Vor Ort war ich dann dennoch überwältigt vom ganzen Chaos», räumt die Filmfrau ein. Bald schon habe sie einsehen müssen, dass ihre drei Filmideen unter den vorherrschenden Zuständen nicht umsetzbar waren. «Die Lage war schon ziemlich angespannt.» 

In der Folge begann sie sich zusammen mit ihrem Mann dafür zu interessieren, wie die Ägypter ihren Alltag bewältigen, «während ihr Land nach dem arabischen Frühling wieder in eine Militärdiktatur abgleitet». Das sei sehr spannend gewesen, wenn auch nicht ganz ungefährlich, blicken die beiden zurück. Begleitet von einheimischen Freunden, begaben sie sich in die Gassen der Kairoer Vororte, um den Alltag der Bevölkerung mitzuerleben. «Trotz Misstrauen und Kameraverbot haben wir versucht, Begegnungen und alltägliche Momente in bewegten Bildern einzufangen», erzählt das Paar.

Gefilmt wurde heimlich

Eine schwierige Arbeit sei das gewesen, betonen die beiden. «Aus Angst vor einer Verhaftung wagte sich kaum jemand, sich filmen zu lassen, geschweige denn vor der Kamera zu sprechen», sagt Nikola Ilic. «Seit dem Ende der Revolution sind die Menschen sehr verunsichert und misstrauisch. Es herrscht ein Klima der Angst.» Polizei und Militär seien allgegenwärtig, ergänzt Corina Schwingruber Ilic. «Willkür und Repression bringen die Leute zum Schweigen.»

Dennoch haben es die beiden Filmemacher geschafft, Kairoer vor die Kamera zu holen. «Manchmal haben ein paar Dollar Schmiergeld nachgeholfen», schmunzelt Nikola Ilic. Herausgekommen sei dabei das spannende Porträt einer «Gesellschaft, die ohnmächtig zusieht, wie ihr Land nach einem kurzen Moment des Aufbruchs zurückfällt in Unfreiheit und Unterdrückung», wie die beiden Filmemacher ihr neuestes Werk offiziell beschreiben. «Das Land steckt in einer tiefen Krise. Von der ägyptischen Revolution 2011 ist nicht viel geblieben – abgesehen von gut gefüllten Gefängnissen und bitterer Enttäuschung», resümiert der Co-Regisseur, der die meisten Aufnahmen im Alleingang gemacht hat.

«Obwohl wir zum Teil heimlich gefilmt haben, sind wir in den sehr einheimisch geprägten Vierteln aufgefallen», erzählt seine Frau. «Als unverschleierte Europäerin fiel ich dermassen auf, dass Filmaufnahmen kaum möglich waren. Also versteckten mich unsere Begleiter in Wohnungen von Bekannten.» Oft habe sie auch im Auto warten müssen, so Schwingruber Ilic. Dennoch hätten sie sich nicht wie Spione verhalten oder seien gar wie Geheimagenten unterwegs gewesen. «Wir haben uns immer angemessen gekleidet und uns sehr zurückhaltend verhalten. Doch schlussendlich war es weniger auffällig und besser, dass Nikola ohne mich drehen ging.»

Knapp der Verhaftung entgangen

Aber trotzdem sei die Angst während der Drehs ihr ständiger Begleiter gewesen, geben die beiden zu. Zudem seien zu dieser Zeit auch Journalisten in ihren Hotelzimmern verhaftet worden. «Da kann eine verlegte Speicherkarte einem schon mal in Panik versetzen», so Schwingruber Ilic. Die ständige Anspannung habe den Alltag schon sehr geprägt. «Da wirst du paranoid.»

Die übertriebene Vorsicht und ständige Vorbereitung auf den Worst Case hätte sich aber in mindestens einem Fall mehr als bezahlt gemacht, erzählt Nikola Ilic zum Schluss. «Auf einer Fähre bin ich knapp einer Kontrolle und der sicheren Verhaftung durch das Militär entkommen.» Dank Vorabsprache mit dem Kapitän und geistesgegenwärtiger Besonnenheit habe er die brenzlige Situation ohne Schaden überstanden.

Auslandateliers in Buenos Aires, Kairo und Genua

Die Städtekonferenz Kultur (SKK) ist eine Sektion des Schweizerischen Städteverbandes, zu welchem auch die Stadt Luzern gehört. Ziel ist die «konstruktive Mitwirkung bei der Ausgestaltung der Kulturpolitik auf nationaler Ebene». Zudem möchte die SKK den «Gedankenaustausch und die  Diskussion unter den angeschlossenen Städten und ihren Kulturverantwortlichen im Sinne einer permanenten Weiterbildung fördern». Dazu gehört auch der interkulturelle Austausch.

Einmalige Gelegenheit

Die SKK betreibt Ateliers in Kairo (Ägypten), in Genua (Italien) und seit 2014 in Buenos Aires (Argentinien). In Kairo und Buenos Aires stehen den Kulturschaffenden der Mitgliedstädte drei Ateliers für einen Aufenthalt von einem halben Jahr zur Verfügung, in Genua zwei Ateliers für einen Aufenthalt von drei Monaten. Die von der SKK seit 2004 gemieteten Ateliers befinden sich zentral gelegen auf der Jakobsinsel im Nil, gegenüber von Alt-Kairo. Die minimale Aufenthaltsdauer beträgt in der Regel fünf Monate, die maximale ein halbes Jahr.

Strenges Auswahlverfahren

Die SKK und die Stadt Luzern unterstützen den Aufenthalt mit einem Stipendium. Bewerbungen von Kulturschaffenden sind nur über die Stadt Luzern und mit einem konkreten Projektvorschlag möglich. Nach ihrem Aufenthalt müssen die Kulturschaffenden beim SKK einen schriftlichen Bericht über ihre Tätigkeit und ihre Erfahrungen in Ägypten abliefern. 

Exklusive Bilder vom Film «Just another day in Egypt» sehen Sie hier in der Slideshow:

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