Warum die Affäre Villiger nicht zu Ende ist

«Es geht um die Glaubwürdigkeit der Luzerner Strafjustiz»

Gerichtssaal Kantonsgericht, Symbolbild, Gericht

(Bild: zvg)

Einen Schlussstrich unter die Affäre um den Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger (CVP) zu ziehen, wäre falsch, glauben Fachleute. Nicht einig darüber sind sie, wer den Fall wieder aufnehmen sollte. Einig sind sie nur, dass es geschehen sollte. Und: Jede Bürgerin oder jeder Bürger kann dazu mit einer Anzeige den Anstoss geben.

Auf dem Spiel steht nichts weniger als das Ansehen der Justiz. Aufgrund der Enthüllungen des Onlinemagazins «Republik» besteht zumindest in einem Teil der Bevölkerung der Verdacht, dass im Falle Villiger möglicherweise nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Ende Oktober wurde bekannt, dass sich nun auch die Politik der Sache annimmt. Die SP des Kantons Luzern verlangt in einem dringlichen Postulat eine externe Untersuchung im Fall Villiger (zentralplus berichtete).

Gleich vorneweg: Klar ist, dass in dieser Geschichte für alle Involvierten die Unschuldsvermutung gilt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Diskussionen müsste es aber eigentlich auch im Interesse eben dieser involvierten Personen oder Amtsstellen liegen, dass die Sache möglichst gründlich geklärt wird.

«Das ist nun einfach nötig»

Stellt sich die Frage: Gibt es noch Möglichkeiten, die erfolgte Einstellungsverfügung im Falle Villiger überprüfen zu lassen? Auf Anfrage nimmt Markus Mohler dazu Stellung. Mohler war vormaliger Staatsanwalt und Polizeikommandant in Basel-Stadt und Lehrbeauftragter für öffentliches Recht an den Universitäten Basel und St. Gallen. Er erklärt, dass es jetzt zunächst um die Glaubwürdigkeit der Luzerner Strafjustiz gehe. Dies sei aufgrund der in zahlreichen Medienberichten – mittels Belegen – geäusserten Zweifel an der Rechtmässigkeit dieser Einstellung nun einfach nötig.

«Es haben sich erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Einstellung dieses Verfahrens ergeben.»

Markus Mohler, ehemaliger Basler Polizeikommandant und Dozent für öffentliches Recht 

Es gehe also um die Frage, ob der Rechtsanwendung noch zu vertrauen sei. Mehrere Politiker und Politikerinnen hätten ja öffentlich erklärt, es stelle sich die Frage, ob eine Begünstigung vorliegen könnte. «Durch die nicht aufgelösten Widersprüche in den Antworten von Herrn Villiger und die rechtlich widersprüchliche und teilweise fragwürdige Begründung haben sich erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Einstellung dieses Verfahrens ergeben.» Dies betreffe sowohl inhaltliche wie prozessrechtliche Aspekte.

Auch Strafrechtsprofessoren haben Zweifel

Diese Zweifel seien unter anderem durch die von Villiger bewirkte superprovisorische Verfügung angefeuert worden. In dieser hatte Regierungsrat Villiger verlangt, dass die «Republik» die Begriffe «Begünstigung» und «Urkundenfälschung» nicht verwenden dürfe. Dabei hätten die recherchierenden Medien regelmässig ausdrücklich betont, dass von der Unschuldsvermutung auszugehen sei, so Mohler.

In der «Republik» vom 1. Oktober 2018 hatten auch die beiden Strafrechtsprofessoren Nadja Capus von der Universität Neuenburg und Marc Thommen von der Universität Zürich Zweifel an der Stimmigkeit der Einstellungsverfügung im Falle Villiger geäussert.

Luzerner Kantonsgericht hat Fachaufsicht

Auf die Frage, wie der Einstellungsbeschluss im Fall Villiger überprüft werden könnte, verweist Markus Mohler auf das Luzerner Justizgesetz. Dort ist festgehalten: «Das Kantonsgericht übt die Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaft aus.» Das sei speziell dann massgebend, wenn kein Gericht die Einstellung prüfen könne, weil es keine an einer Beschwerde interessierte Partei gebe.

Nach Ansicht von Mohler müsste das Kantonsgericht aufgrund der so zahlreich geäusserten Zweifel von sich aus tätig werden. Begünstigung sei ein Offizialdelikt. Das Kantonsgericht gehöre zu den Strafbehörden: «Gemäss Strafprozessordnung besteht für die Strafbehörden eine Anzeigepflicht (Artikel 302 StPO) und zudem ein Verfolgungszwang (Artikel 7 StPO).» Delikte könnten auch durch Unterlassen begangen werden (Art. 11 StGB).  

Wie das Kantonsgericht das Verfahren dann überprüfe, sei – gestützt auf die rechtlichen Grundlagen – ihm überlassen, so Mohler.

Auch Medien können Anfangsverdacht liefern

Martino Mona, Strafrechtsprofessor an der Universität Bern, weist darauf hin, dass die mögliche Tat gemäss Artikel 302 StPO jeweils «bei der amtlichen Tätigkeit festgestellt werden» oder «gemeldet» worden sein müsste. Klar ist immerhin, dass gemäss Bundesgericht grundsätzlich auch ausführliche Medienberichte Quelle für einen Anfangsverdacht bilden können.

In seiner an der Universität Luzern verfassten Masterarbeit «Der Anfangsverdacht und seine Quellen» verweist der Berner Jurist Philip Karnusian unter anderem auf den Bundesgerichtsentscheid 132 I 181. Dort wird ein Bericht in der «NZZ am Sonntag» vom Bundesgericht als Quelle für einen Anfangsverdacht anerkannt. Es handelte sich um einen detaillierten Zeitungsartikel. Genau dies waren die Texte in der «Republik» auch.

Kantonsgericht verweist auf Oberstaatsanwaltschaft

Auf die Anfrage, ob das Kantonsgericht Luzern aufgrund dieser Ausgangslage aktiv werden wird, antwortet das Luzerner Kantonsgericht: «Inhaltlich betrifft diese Anfrage die Oberstaatsanwaltschaft.» Andreas Eicker, Strafrechtsprofessor, betont ebenfalls, dass die Aufsichtsbehörde über die Staatsanwaltschaft zunächst einmal die Oberstaatsanwaltschaft sei: «Meines Erachtens stellt sich daher die Frage, ob die Staatsanwaltschaft – allenfalls eine ausserkantonale Staatsanwaltschaft – wegen Begünstigung ermitteln müsste.»

Bloss: Die gleiche Oberstaatsanwaltschaft, vertreten durch den stellvertretenden Oberstaatsanwalt, hat im vorliegenden Fall die Einstellung des Verfahrens ja genehmigt.

Eine Frage des öffentlichen Drucks

Konrad Jeker, Fachanwalt Strafrecht aus Solothurn, findet, dass der Fokus auf dem Justizdepartement liegen müsste. Jeker glaubt nicht, dass im vorliegenden Fall der Weg über das Kantonsgericht zielführend wäre. Dies wäre seiner Ansicht nach wegen der Gewaltenteilung heikel.

«Das Justiz- und Sicherheitsdepartement übt gemäss Gesetz die Dienstaufsicht über die Strafverfolgungsbehörden aus.»

Konrad Jeker, Rechtsanwalt

Für Konrad Jeker stehen deshalb ebenfalls die Oberstaatsanwaltschaft und der Sicherheitsdirektor Regierungsrat Paul Winiker im Zentrum: «Das Justiz- und Sicherheitsdepartement übt gemäss Gesetz die Dienstaufsicht über die Strafverfolgungsbehörden aus.» Jeker geht davon aus, dass politisch verantwortliche Personen sich grundsätzlich nie dem Vorwurf ausgesetzt sehen wollen, nicht hingesehen oder allenfalls gar die Wahrheit vertuscht zu haben. Alles sei auch eine Frage des öffentlichen Drucks.

Im Hinblick auf das Ergebnis sagt Jeker aber auch: «Es gibt keinen Staatsanwalt, der in einem vergleichbaren Fall je verurteilt worden ist.» Ganz generell findet Jeker, dass die Aufsicht über die Staatsanwälte in der Schweiz zu schwach sei.

Justizdepartement verneint Zuständigkeit

Auf Anfrage erklärt Erwin Rast vom Justiz- und Sicherheitsdepartement: «Der Oberstaatsanwalt ist in erster Linie für die fachliche Aufsicht zuständig und dem Kantonsgericht kommt in zweiter Linie die fachliche Aufsicht zu.» Das Departement sei bloss für die Dienstaufsicht zuständig. Unter dieser seien im Wesentlichen personalrechtliche und organisatorische Belange zu verstehen.

Doch Rechtsanwalt Konrad Jeker widerspricht. Der Begriff Dienstaufsicht könne durchaus breiter verstanden werden. Jeker ergänzt zudem, dass im vorliegenden Fall nebst einer eventuellen Begünstigung auch eventuelle Irreführung der Rechtspflege als mögliche Tat in Betracht gezogen werden müsste.

Aufsichtskommission verlangt Stellungnahme

Markus Mohler sieht das Luzerner Justizdepartement durchaus auch in der Pflicht. Die Gewaltenteilung könne aber für das Kantonsgericht kein Grund sein, sich dieser Sache nicht anzunehmen. Die Staatsanwaltschaft sei eine Justizbehörde.

Beat Villiger entscheidet dieser Tage, wie er mit seinem Amt weiterfährt.

Der Fall Beat Villiger sollte nicht sang- und klanglos versandn, finden Experten.

(Bild: Elias Wyrsch)

Nach Ansicht von Mohler könnte zudem auch die parlamentarische Aufsichtskommission des Kantons aktiv werden und eine Untersuchung veranlassen. Das Parlament habe die entsprechende Oberaufsicht inne. Yvonne Hunkeler (CVP) ist Präsidentin der Aufsichts- und Kontrollkommission (AKK) des Luzerner Kantonsrates. Sie bestätigt auf Anfrage, dass auch die Staatsanwaltschaft zum Aufsichtsbereich der AKK gehöre. «Wir werden nun das Gespräch mit der Staatsanwaltschaft suchen und eine Stellungnahme einverlangen.»

Jedermann könnte Anzeige erstatten

Möglich sei auch, dass irgendjemand aus der Bevölkerung eine Strafanzeige wegen Verdachts der Begünstigung einreiche, sagt der frühere Basler Staatsanwalt und Polizeikommandant Markus Mohler. Da dieser Verdacht sich dann auf Amtsträger beziehe, stelle sich auch die Frage des Verdachts auf Amtsmissbrauch (Art. 312 StGB). Strafrechtsprofessor Martino Mona bestätigt, dass grundsätzlich jedermann gegen die Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten könnte.

Dem stimmt Fachanwalt Konrad Jeker zu. Es sei immer am besten, wenn direkt eine Handlungspflicht ausgelöst werden könne. Die anzeigende Person könnte dann auch nachhaken und fragen, ob ein ausserordentlicher ausserkantonaler Staatsanwalt eingesetzt werde, der die Strafanzeige behandle.

Gewaltenteilung heisst nicht Abschottung der drei Gewalten

Abschliessend hält Markus Mohler fest, er würde es aus rechtsstaatlicher Sicht für nicht korrekt halten, wenn hier keine Behörde etwas unternehmen und wegen behaupteter Unzuständigkeit je auf eine andere Instanz verweisen würde.

In solchen Zusammenhängen sei immer wieder daran zu erinnern, dass die Gewaltenteilung nach Montesquieu nicht ein Abschotten der drei Gewalten gegeneinander zum Inhalt habe, erklärt Markus Mohler. «Es geht im Gegenteil immer um die gegenseitige Machtbegrenzung und Machtmissbrauchsbekämpfung.»

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