Luzern: Neuer Hofkirche-Pfarrer besuchte Syrien

«Es gab zwei Granatenangriffe, aber sonst war’s ungefährlich»

Ruedi Beck haben die Kindergesichter in Syrien mehr beeindruckt als die zerstörten Städte.

(Bild: jal)

Ruedi Beck ist neuer Pfarrer der Luzerner Hofkirche. Vor seinem Stellenantritt verbrachte er fast zwei Monate in einem der zurzeit gefährlichsten Länder: im kriegszerrütteten Syrien. Die Reise hat seine Meinung gefestigt – und die ist, wie so viele von Ruedi Beck, keineswegs Mainstream.

Was spürt man im Alltag eines Landes, das sich seit fünf Jahren im Bürgerkrieg befindet? «Die Leute sind müde, sie sind zermürbt. Es gibt keine Perspektiven. Und niemand weiss, wieso es überhaupt Krieg gibt dort», sagt Ruedi Beck mit leiser, aber fester Stimme. 

Der 53-Jährige ist seit September neuer Pfarrer an der Luzerner Hofkirche St. Leodegar. Vor seinem Stellenantritt in Luzern hat er knapp zwei Monate in Syrien verbracht. Dem Land, das einst so blühte und sich seit Frühling 2011 im Krieg befindet. Der Grund für Becks Reise liegt in seiner Freundschaft mit dem syrischen Pfarrer Nabil Nader. Dieser lebt mit seiner Frau und fünf Kindern in der Provinz Hama im zentralwestlichen Teil des Landes, einer Gegend, die von der syrischen Armee kontrolliert wird.

Im Auto über die Grenze

«Ich habe gemerkt, dass es für ihn die grösste Unterstützung ist, wenn jemand von ausserhalb Syriens sein Leben mit ihm teilt.» Also beschloss Ruedi Beck, hinzufliegen. Die Reise sei erstaunlich einfach gewesen. Er hat ein Visum beantragt, Nabil Nader musste versichern, dass er ihn empfängt und für ihn bürgt. Im Juni dann flog Ruedi Beck nach Beirut, von wo er mit dem Auto über die syrische Grenze fuhr.

«Für die Leute in Syrien ist klar: Der Westen hat uns vergessen.»

Ruedi Beck, Pfarrer Hofkirche St. Leodegar

Am schlimmsten sei die Armut: Es fehle an Geld, es fehle an Essen, an Benzin, an Heizöl, an Medikamenten. «Ich staunte, mit welcher Kraft sie trotzdem noch versuchen, durchzuhalten.» In den knapp zwei Monaten hat er insgesamt rund 200 Familien besucht, Spenden vorbeigebracht und geholfen, wo er konnte.

Dabei musste er sich so einiges anhören. «Für die Leute in Syrien ist klar: Der Westen hat uns vergessen», sagt Ruedi Beck. Gerade für Christen sei das besonders dramatisch. «Die Schweiz, Europa, Amerika: Der Westen ist für sie christlich. Sie sehen nicht, dass wir längst säkularisiert sind. Und fühlen sich deshalb absolut im Stich gelassen.» Sein Besuch sei für viele ein Zeichen gewesen, ein Zeichen, dass ihr Schicksal doch noch jemandem in Europa am Herzen liege.

Aber nicht allen geht es schlecht: Es gibt auch Profiteure des Krieges. «Ein Syrer sagte mir: Wer vor dem Krieg Arbeit hatte, hat nun keine – und umgekehrt.» Die Protagonisten der dunklen Welt hätten Aufwind erhalten, jene im Schwarzmarkt, in kriminellen Organisationen, jene, die mit der Not der anderen Geld verdienen.

Kein ängstlicher Typ

Die Frage, ob er Angst verspürte bei seinem Besuch in Syrien, wischt Ruedi Beck so unaufgeregt beiseite, als hätte man so etwas Beiläufiges wie seine Meinung zum Nebel erfragt. «Ach wissen Sie, ich bin grundsätzlich nicht ängstlich veranlagt, deshalb nein.» In der Provinz Hama, wo er letzten Sommer zwei Monate verbrachte, sei es für syrische Verhältnisse «sehr ruhig», sagt er. «Es gab zwei Granatenangriffe in der Nähe, was an und für sich natürlich schlimm genug ist, aber insgesamt war es dort ungefährlich.»

«Man sieht den Menschen an, was sie erlebt haben.»

Obwohl Ruedi Beck privat unterwegs war: Als Priester sei man in Syrien eine angesehene Person, man werde kaum kontrolliert, erfahre grossen Respekt. Er war denn auch vorwiegend in christlichen Kreisen unterwegs. Was sich ihm am stärksten einprägte, sind Menschen und Gespräche, sagt Ruedi Beck. Da sei diese Frau gewesen, die seit zwei Jahren nichts vom entführten Bruder gehört habe. Dort eine junge Frau, die nie weiss, ob ihr Mann im Militärdienst den Tag überlebt. Zahlreiche Familien aus Aleppo, die in Hama in irgendeinem Keller Unterschlupf gefunden haben. «Und dann die Gesichter: Man sieht den Menschen an, was sie erlebt haben.»

Die Luzerner Hofkirche, der neue Arbeitsort von Ruedi Beck.

Die Luzerner Hofkirche, der neue Arbeitsort von Ruedi Beck.

(Bild: jal)

Und dann sagt Ruedi Beck etwas Unerwartetes: «Im Dorf, wo ich war, werden jeden Samstag die Kinder zusammengetrommelt, um Spiele zu machen und zu tanzen – es kamen jeweils rund 900 Kinder. Diese Kinderschar hat mich mehr beeindruckt als die zerbombten Quartiere, die ich ebenfalls sah.»

Zeichen gegen das Vergessen

Die politische Dimension des Krieges sei kaum spürbar gewesen. «Im von der Regierung verwalteten Gebiet, wo ich war, gab es nur Kritik an den Rebellen und an den Terroristen, nicht an der Regierung.» An Ruedi Becks persönlicher Einschätzung hat sich durch den Aufenthalt in Syrien wenig verändert, es hat ihn vielmehr darin bestärkt. «Ich habe schon vorher nicht die Sicht der westlichen Presse geteilt.» Und das heisst: «Bei uns ist man sich mehrheitlich einig, dass die syrische Regierung schlecht ist und die Rebellen einzig Freiheit wollen.» Doch die Lage sei viel zu komplex für diese Simplifizierung.

Rückkehr nach Luzern

Ruedi Beck ist in Lenzburg aufgewachsen, machte in Aarau die Matura und studierte anschliessend in Luzern und Freiburg Theologie. In den 90er-Jahren arbeitete er als Vikar in Sursee und in Grenchen, anschliessend war er in Rom für die Fokolar-Bewegung, eine weltweit tätige katholische Gemeinschaft, tätig. 2003 wurde er Pfarrer von St. Joseph-St. Christophorus in Basel, 2009 Pfarrer von St. Clara, einer Pfarrei in Kleinbasel. Ruedi Beck trat im September die Nachfolge von Beat Jung an, der bereits im Sommer 2015 als Pfarrer der Hofkirche St. Leodegar pensioniert wurde.

Ruedi Beck nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, den Westen für seine Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen zu kritisieren. «Kein Staat liefert Waffen, um einfach jemandem zu helfen.» Für ihn ist klar, dass da politische Interessen im Vordergrund standen, konkret: der Sturz der Assad-Regierung. Das sei «ein folgenschwerer Fehler» gewesen. «Die syrische Regierung ist souverän. Ob sie demokratisch ist oder nicht, ist daher erstmal sekundär: Man kann ein Land nicht einfach von aussen so umkrempeln», sagt Ruedi Beck, der es gewohnt ist, mit seinen kontroversen Ansichten anzuecken (siehe Box unten).

Trotz seiner klaren Kritik am Westen hält er fest, dass er die Gräueltaten der syrischen Regierung damit keinesfalls verharmlosen will. «Jede Bombe ist eine Katastrophe, egal, wer sie abwirft. Sie löst unzähliges Leid aus.» Für den Luzerner Pfarrer ist aber klar, dass ein Frieden ohne die jetzige Regierung nicht möglich ist. «Wer meint, mit dem Sturz der Regierung sei das Problem gelöst, macht es sich zu einfach.»

 «Es wäre an uns, den Christen aus anderen Ländern eine Heimat zu geben. Die Kirche macht sich überflüssig, wenn das nicht passiert.»

Doch wie ein Präsident Assad, der international für Giftgasangriffe auf das eigene Volk verantwortlich gemacht wird, das Land zurück in stabile Gewässer führen soll, kann auch Ruedi Beck nicht sagen.

Kritik an eigener Gemeinschaft

In Luzern hat Ruedi Beck bereits mehrmals syrische Flüchtlinge in der Kirche begrüsst oder zum Essen eingeladen. Für ihn kommt eine staatliche Bevorzugung von christlichen Flüchtlingen, wie sie CVP-Präsident Gerhard Pfister forderte, allerdings nicht infrage. «Die Schweiz darf wie jeder Staat keinen Unterschied machen zwischen den Menschen.»

Anders jedoch sieht er die Situation für die Kirche. «Als engagierter Christ darf ich durchaus sagen: Wer denselben Glauben hat wie ich, steht mir besonders nahe, dem helfe ich eher als einem Fremden.» Er vergleicht es mit einer Familie: Den eigenen Bruder unterstütze man auch stärker als einen Unbekannten. Ja, mehr noch: Die Aufnahme christlicher Flüchtlinge in die Gemeinschaft sieht er als zentrale Aufgabe der Kirche an.

Und das geschehe aktuell viel zu wenig, sagt Ruedi Beck. «Die christlichen Gemeinschaften sind sehr schwach.» Die muslimische Gemeinschaft sei den Christen in diesem Punkt einiges voraus. «Es wäre an uns, den Christen aus anderen Ländern eine Heimat zu geben. Die Kirche macht sich überflüssig, wenn das nicht passiert.»

«Die Schlagzeile hat mir gefallen»

Der Mensch steht im Zentrum – das ist nicht nur Ruedi Becks persönliches Motto, sondern in seinen Augen die Botschaft des Christentums. Als neuer Pfarrer der Hofkirche St. Leodegar will er Begegnungen ermöglichen, die ohne ein bestimmtes Ziel geschehen. «Die Kirche bietet genau solche Gelegenheiten, wobei sie leider noch zu selten genutzt werden.» Luzern sei insgesamt viel aufgemotzter als Basel, wo er vorher tätig war. «Luzern gibt sich vornehmer», habe aber weniger Orte, an denen auf den Strassen und Plätzen gelebt wird. «Am Abend ist es oft etwas leer, es gibt weniger Plätze der Begegnung.»

Vor seinem Stellenantritt in Luzern war Ruedi Beck 13 Jahre in einer Kirche im multikulturellen Klybeck-Quartier in Kleinbasel tätig. Was er in Luzern anpacken will? Auch da verweist er auf die Menschen. «Ich habe keine fixen Projekte im Hinterkopf, sondern schaue, wo sich Türen öffnen und sich aus einer Situation heraus etwas entwickelt.»

Kontroverse ausgelöst

In Basel sorgte er für eine kontroverse Debatte, als er einer muslimischen Gemeinschaft die Räume der Pfarrei anbot, damit diese ihren Religionsunterricht dort durchführen konnte. Das löste inner- und ausserhalb der Kirche kritische Voten aus. Die «Schweiz am Sonntag» betitelte ein Porträt über Ruedi Beck letzten März deshalb mit den Worten «Der katholische Querdenker».

«Diese Schlagzeile hat mir gefallen», sagt Ruedi Beck mit einem Schmunzeln. Er sei zwar nicht einer, der gezielt anecken wolle. Aber: «Ich habe Mühe mit Dingen, die festgefahren sind und so sein müssen, obwohl es mir nicht einleuchtet.» Das erstaunt doch einigermassen, ist doch die katholische Kirche nicht gerade für eine innovative Haltung bekannt. Dessen ist sich Ruedi Beck bewusst. Gerade weil sich in Pfarreien viele ältere Leute bewegen, weil Traditionen für die Kirche typisch sind, falle sein «Querdenken» stärker auf. Es sich in Gewohnheiten bequem zu machen, ist nicht sein Ding. 

Weiss er also bereits, welche Schlagzeile man in Luzern dereinst von ihm lesen wird? Er schüttelt den Kopf und lacht. «Ich lebe unbeschwert mein Leben – und was kommt, werden wir sehen.»

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