Gottesdienste im Test: Reformierte Kirche Cham

Die Reformierten und die schöne Pfarrerin

Die hundertjährige Kirche von Cham: lieblich und heimelig, innen aber auch schmucklos und nüchtern.

(Bild: Remo Wiegand)

Entgegen anderslautender Gerüchte existieren sie auch in der tiefkatholischen Innerschweiz: Die Reformierten. In Cham erlebten wir den Gottesdienst von Neo-Pfarrerin Rahel Albrecht. Eine Begegnung mit Gottes Schönheit, die noch nicht wirklich aus sich herauskommt.

Beginnen wir mit dem harmlosesten Teil, dem Kirchenkaffee: Es gibt Wasser, Grapefruitsaft, Kaffee und sogar Wein, auf den Tischen stehen Weihnachtsguetzli. Fast die Hälfte der Gottesdienstbesucher ist dabei beim geselligen Après-Church. Man tuschelt leise, doch, doch, sie macht das gut, die neue Pfarrerin.

Diese stösst hinzu, lächelt, schüttelt Hände: «Ich bin Rahel». Ein Gottesdienstkritiker? «Ach, zum Glück wusste ich das nicht vorher, ich wäre noch nervöser gewesen.» Der Journalist will seinen Besuch rechtfertigen, sie beschwichtigt: Schon gut, das sei mein gutes Recht, das sei eben wie Theaterkritik, nur jetzt halt für Gottesdienste. Äh… genau.

Im Gemeindesaal, im Erdgeschoss unter der Kirche, wirkt Rahel Albrecht bodenständig, distanziert freundlich, angenehm normal. Man könnte sie sich in ihrem eleganten Business-Suit auch als Bankangestellte oder als Stewardess vorstellen. Letzteres war sie nicht, aber fast: Albrecht arbeitete während ihres Theologie-Studiums in der Passagierabfertigung am Flughafen, wie man seit der Predigt weiss («Ein Lächeln am Flughafen wirkt oft Wunder»). Jetzt ist Rahel Albrecht in der Kirche gelandet. In Cham steht die frisch ordinierte Pfarrerin gerade mal ihrem zweiten Gottesdienst vor.

Der Kirchenkaffee im Gemeindesaal: gesellig und integrierend.

Der Kirchenkaffee im Gemeindesaal: gesellig und integrierend.

(Bild: Remo Wiegand)

Die reformierte Kirche Cham: Im Hintergrund rauchen die Schlote der Papierfabrik. Davor steht ein schnuggeliges, hundertjähriges Kirchlein. Drinnen ist es ausgesprochen heimelig, aber auch nüchtern und schmucklos. Reformiert halt. Die diskrete Architektur rückt die Menschen ins Zentrum: Zum Beispiel die 37 Besucher in den Bänken, die vor Gottesdienstbeginn noch lässig miteinander plaudern.

Die Pfarrerin wird zum dominanten Bild

Vor allem aber die Pfarrerin: Als sie nach den ersten Orgeltönen aus der ersten Reihe tanzt und nach vorne zum Mikrofon strebt, gehört die Bühne nur noch ihr. Das haben sie eben davon, die reformierten Bilderstürmer: Ohne Heiligenfiguren und Kruzifixe wird die Pfarrperson selber zum dominanten Bild. Ihr fliegen hier fromme Fragen und die Sehnsucht nach Antworten zu. Jetzt kommt halt dazu, dass Frau Albrecht eine gut aussehende Frau ist. Hier und heute ist sie damit auch: Ein Bild für Gott.

 

Mangels Heiligenfiguren und Kruzifixe steht Pfarrerin Rahel Albrecht in der reformierten Kirche im Zentrum.

Mangels Heiligenfiguren und Kruzifixe steht Pfarrerin Rahel Albrecht in der reformierten Kirche im Zentrum.

(Bild: Remo Wiegand)

Rahel Albrecht weiss, dass sie gesehen wird. Und es ist ihr offenkundig nicht ganz wohl dabei. Man merkt es daran, dass sie etwas zu schnell spricht, zu zackig läuft, dass sie dort möglichst rasch wieder weg will, wo sie im Zentrum steht und Gott repräsentiert. Natürlich ist man damit überfordert – zumal am Anfang einer Pfarrkarriere.

Und dennoch: Für die Zukunft wünscht man Rahel Albrecht mehr Souveränität, mehr «So what?». Du scannst mich nach Gott ab? Mach nur, viel Glück!

Der Gottesdienst
  • Ort: Reformierte Kirche Cham
  • Zeit: Sonntag, 11. Dezember 2016, 10.00 Uhr
  • Länge: 50 Minuten
  • Team: Pfarrerin Rahel Albrecht (sichtbar), Organistin Mi-Sun Weber und Sigrist Stefan Gubler (unsichtbar)
  • Volk: 37 Personen
  • Thema: Licht im Dunkel

Ja, Gott hat irgendetwas mit Schönheit zu schaffen, Rahel Albrecht zeugt davon.Wird Schönheit – die äussere wie die innere – im geschützten Raum des Göttlichen hingegen selbstbewusst inszeniert, kann sie sich verbreiten. Sie transzendiert, wird zum Licht für alle.

Sauber und korrekt, nicht mehr, nicht weniger

«Licht» ist übrigens auch das Thema des Tages. Ein keckes Mädchen entzündet im Gottesdienst anfangs die dritte Adventskerze. Die Lektorin verkündet Jesaias Prophezeiungen aus dem Alten Testament, in denen Christen Jesus angekündigt sehen («Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker… Und die Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht…»).

Fast die Hälfte der Gottesdienstbesucher nimmt am gemütlichen Après-Church im Erdgeschoss unter der Kirche teil.

Fast die Hälfte der Gottesdienstbesucher nimmt am gemütlichen Après-Church im Erdgeschoss unter der Kirche teil.

(Bild: Remo Wiegand)

Rahel Albrecht predigt über Licht und Schatten, übrigens nicht von der Kanzel, wo die ganze Zeit erwartungsfroh eine Leselampe brennt. Spannend ihr Exkurs in biblische Zeiten: Israel ist von den Assyrern bedroht, die Elite des Landes deportiert. Viel Kriegsdunkel zu Zeiten des Jesaia. Da tritt dieser begnadete Motivator auf, prophezeit eine strahlende Zukunft und fordert sein Volk zugleich auf, selber etwas dafür zu tun. Muntere Adventsgesänge umrahmen Albrechts Predigt. Der Gottesdienst ist sauber und korrekt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Kurzbewertung

Predigt:

Vieles wird angetippt, kaum etwas vertieft. Die Pfarrerin spricht flüssig und klar, aber zu schnell.
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Persönlichkeit (Pfarrerin): 

Under construction. Könnte der Talar, das reformierte Pfarrersgewand, helfen, in die noch fremde Rolle zu schlüpfen? 
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Musik: 

Grundsolide, teilweise beschwingte Orgelmusik.
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Feierlichkeit: 

Ein rasantes Advents-Ritual zu Beginn, dann eher wortlastig. Schöne, einfache Worte bei den Gebeten, aber eher vorgetragen als gebetet.
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Kirchenraum:

Herzige Kirche. Kleinräumigkeit und viel Holz schaffen Geborgenheit 
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Integrationsfaktor: 

Persönliche Begrüssung durch den Sigrist. Kirchenkaffee mit alles. Top!

Gesamterlebnis:
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Auch eine Spielecke für die Kleinsten ist in Cham vorhanden.

Auch eine Spielecke für die Kleinsten ist in Cham vorhanden.

(Bild: Remo Wiegand)

Hinweis: Mehr zu den Gottesdienst-Kritiken von zentralplus lesen Sie hier. Die ersten beiden Folge der Serie aus der Hofkirche Luzern: «Apokalypse now!» mit Donald Trump und der Pfarrkirche Willisau: Ein fast perfektes Paar


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3 Kommentare
  • Profilfoto von Bruder Klaus
    Bruder Klaus, 23.12.2016, 16:10 Uhr

    Kritik ist immer auch kostenlose Beratung. Die im Artikel beschriebene Jungpfarrerin und auch die kommentierende «GruppeTheologInnen» könnten, wenn sie wollten, ganz viele gute Impulse mitnehmen im Sinne von: «Was war gut, und was kann besser werden?»

    Die Kritik der Gruppe TheologInnen greift daher zu kurz. Schade.

    Denn wenn die nonverbale Kommunikation das gesprochene Wort «übertönt», dann wird es schwierig für eine gesprochene Botschaft – ob uns das passt oder nicht. Ein Absender, eine Absenderin muss mit diesem Problemkreis einen angemessenen Umgang finden. Und nicht vergessen: Ein Talar ist nicht nur im katholischen Gottesdienst das Normalste der Welt.

    Sagt es allen weiter: Der Heiland ist geboren! Frohe Weihnacht!

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  • Profilfoto von Gruppe TheologInnen
    Gruppe TheologInnen, 21.12.2016, 09:34 Uhr

    Der Journalist und Theologe Remo Wiegand testet im Auftrag des Online-Magazins zentralplus Gottesdienste – einschliesslich der Persönlichkeit der Predigenden.
    Wir haben nichts dagegen, dass Gottesdienste kritisch angeschaut werden, auch wenn uns die Art und Weise, wie das zentralplus tut, stört. Sie bedient für uns ein Denken, dem es nicht um differenzierte und angemessene Auseinandersetzung geht, sondern um holzschnitzartiges Betrachten, das weder der Sache noch den betroffenen Menschen gerecht wird.
    Wogegen wir entschieden etwas haben, ist der Blick, den der Tester auf das zu Bewertende wirft: „Die Reformierten und die schöne Pfarrerin“, „die Begegnung mit Gottes Schönheit, die noch nicht wirklich aus sich herauskommt“, „… dass Frau NN eine gut aussehende Frau ist: gross, langes, blondes Haar, blaue Augen. Kurz: ein Bild einer Frau“, „Ja, Gott hat irgendetwas mit Schönheit zu schaffen, NN zeugt davon“ etc.
    Das Aussehen einer Predigerin hat nicht das Geringste mit der Qualität ihrer Predigt zu tun. Sein Erwähnen ist darum einfach nur unangebracht.
    Wir verstehen nicht, wie sich ein Theologe, gerade auch ein Theologe, der die Medienarbeit des Projektes „Kirche mit den Frauen“ mitträgt, in solcher Weise über eine Pfarrerin im Rahmen ihres Gottesdienstes äussern kann und damit offensichtlich auch bei niemandem von der Redaktion zentralplus Anstoss erregt.

    Daniel Ammann-Neider, Martina Apel, Regula Grünenfelder, Li Hangartner, Heinz Kernwein, Jacqueline Keune, Yvonne Lehmann, Heidi Müller, Nicola Neider Ammann, Markus Zahno
    TheologInnen und kirchliche Mitarbeitende

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  • Profilfoto von Eva
    Eva, 18.12.2016, 12:39 Uhr

    Geprägt von patriarchaischen Denkmustern fällt uns bei diesem Text vielleicht auf den ersten Blick nicht viel auf, ausser, dass er wenig Interessantes über die Predigt aussagt. Auf den zweiten Blick bemerkt man aber, dass Einiges über den Schreiberling selber ausgesagt wird.
    Wäre er nämlich weiblich und würde über so über einen jungen Pfarrer sprechen schreiben, würden wir schmunzeln. – Würde er als Mann in gleicher Weise über einen jungen Pfarrer schreiben sprechen, würde der Text wohl mehr Reaktionen auslösen. Fakt ist, die Schönheit der Frau scheint bei Herrn Wiegand grossen Eindruck gemacht zu haben – als Gottesdienstkritik ist diese Berichterstattung aber befremdend – viele würden es sexistisch nennen. Vielleicht hätte das Tragen eines Talars (oder eines Kopftuchs) Herrn Wiegand geholfen, seine Aufgabe sachlicher und auf der richtigen Augenhöhe zu erledigen? (Anmerkung: Wir schreiben das Jahr 2016 und befinden uns in einer christlichen Kultur.)

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