War Franz Hug ein Fähnlein im Wind der Nazis?

«Gross und blond»: Ein Luzerner als Träger der olympischen Fahne

Post- und Autogrammkarte des Luzerner Fahnenschwinger-Königs und Olympia-Liebling Franz Hug, 1936

(Bild: H. Waldburger)

Nicht nur in Rio de Janeiro sorgen Luzerns Olympioniken für Ehre und Edelmetall. Bereits vor 80 Jahren schaffte es ein Luzerner zu einigem Ruhm: Franz Hug schwang die olympische Fahne vor 100’000 Besuchern. Und musste sich dem Vorwurf aussetzen, diese mit der Nazi-Fahne getauscht zu haben. Eine steile Karriere, die als Politikum auch das Bundesgericht beschäftigte.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Schweizer Fahnenschwinger, der zu keiner olympischen Disziplin gehört, bei Olympia mitmarschiert und darauf Fan-Post von den Nazis bekommt. Auch 1936 während Hitlers Olympiade nicht. Der Luzerner Franz Hug-Hecht mag eine Ausnahme gewesen sein, als er angefragt wurde, nach der Eröffnung im August 1936 an weiteren Nazi-Festlichkeiten aufzutreten. Auch die Reichsfahne soll er geschwungen haben, behaupteten böse Zungen.

Doch was ist dran an der Legende von Franz Hug und den Nazis? Und warum gab das Bundesgericht nach den Spielen Hug recht, als er vom Jodlerverband ausgeschlossen werden sollte? Wir begaben uns auf die Spuren einer schillernden Luzerner Persönlichkeit, die zum Politikum wurde.

«Franz Hug, Träger der Olympia-Fahne»

Geboren 1903, wohnhaft zuletzt mit seiner Frau an der Bireggstrasse in Luzern. 340 Familien brachte Hug in Luzern 3-mal täglich ihre Post. Postbote Hug schaffte das in 6 Stunden und trainierte in der restlichen Zeit oder spielte Akkordeon in seinem Zimmer des Katholischen Gesellenhauses an der Friedenstrasse 8, wo heute das Hotel Ibis um Gäste buhlt. Ansonsten segelte er mit seinem Boot auf dem See oder kurvte mit seinem Auto in die Berge.

Gross und blond war er, der Fahnenschwinger-König aus Luzern. Goldrichtig als «Träger der Olympia-Fahne»: So betitelt, lud der Bürgermeister von Waldshut, Albert Wild, Franz Hug-Hecht am 1. August zum grössten Heimatfest an der Schweizer Grenze ein. Dies kurz nach seinem Auftritt in Berlin vor hunderttausend Besuchern des Olympia-Stadions. Dafür bot der Bürgermeister Hug ordentlich Publicity in der lokalen Presse und darüber hinaus. Er bat im Vorfeld lediglich um einige «gute Hochglanzabzüge», die von Hug zur Zeit in Berlin gemacht worden waren, fähnelnd und jodelnd.

Franz Hug war zum deutschen Fahnenschwinger-König schlechthin geworden, wusste der Bürgermeister: «Mit grosser Freude haben wir die zahlreichen Ovationen aus der gesamten deutschen Presse entnommen, die Ihnen und Ihrer Frau Mutter in Berlin zuteil wurden. Wenn Sie diese Zeilen erhalten, dann sind die grossen Eröffnungsfeierlichkeiten, an denen Sie mitzuwirken die hohe Ehre haben, bereits vorüber.» Der Bürgermeister verabschiedete sich in seinem Brief mit dem Hitlergruss und «Ihnen und Ihrer Frau Mutter Frohe Festtage in der Reichshauptstadt». Die handgeschriebenen Notizen Franz Hugs auf dem Brief zeugen von Interesse an einer Zusage.

«Not so good. Needs mountains.»

Hug vertritt 1936 die Schweiz an den Berliner Olympischen Spielen nach einer langen politischen Vorgeschichte. Erst nach einigem Druck der deutschen Regierung und dem Versprechen, die Spiele neutral zu halten, wurden rund 35’000 Franken Zuschuss für die Schweizer Sportdelegation ratifiziert. 174 Schweizer Athleten, damals noch zu grossen Teilen Amateure, wurden in die Reichshauptstadt entsandt. Hitler verkündete kurzerhand die Spiele von Berlin «zur Feier der ersten Olympiade nach neuer Zeitrechnung» als eröffnet. Auch der allererste Fackellauf in der modernen Geschichte der Olympiade wurde von Propagandaminister Goebbels inszeniert, ebenfalls mit einem grossen blonden Athleten. Die Nachricht, dass der 32-jährige Schweizer Hug die Olympiafahne 10 Meter in die Höhe schwang, sprach sich ebenfalls herum wie ein Lauffeuer.

Hörbuch «Der Olympiafähndler»

Das europaweit preisgekrönte Hörbuch «Der Olympiafähndler» von Hanspeter Gschwend erzählt die fiktionale Geschichte des selbsternannten Fähndler-Königs, der in Cabarets laut Verband nicht legitimes Geld zu verdienen suchte, mit Tricks und viel Charme. «Ich kann grüssen, wie ich will» sagt darin die zum Hitlergruss aufgeforderte und widerspenstige Hauptfigur selbstbewusst. 

Am 10. April 1937, fast ein Jahr nach Olympia, hallt Hugs sportlicher Triumph in einem Bericht des renommierten US-amerikanischen Magazins «New Yorker» noch immer nach: ein Interview mit dem ersten Fähndler, der es in die USA geschafft hatte. Im Interview wird klar, der Schweizer war der Star von Hitlers Spielen schlechthin: Gleich hinter den Fackelträgern und Offizieren figurierte der Fähndler von Luzern, ganz allein mit der olympischen und der schweizerischen Fahne.

Trotz windigen Verhältnissen griff er nie am Stiel vorbei. «Niemand weiss, wieso die Schweizer Fahnen schwingen. Mr. Hug weiss es auch nicht.» Seit Hunderten von Jahren sei das ein Brauch der Schweizer Hirten gewesen. Neben dem Fähndeln und dem Jodeln spielte Hug auch auf dem Alphorn. Nach einem Konzert im Lincoln Hotel in New York meinte er nostalgisch: «Not so good. Needs mountains.» Auch wenn er ein Jahr seine Arbeit als Postbote in Luzern pausiert hatte und eigentlich in den Zirkus oder ins Varieté wechseln wollte, Hug brauchte die Berge. Der Grund für seine Amerikareise sei ein trauriges Kapitel im Leben des Luzerners, schrieb der New Yorker damals. Ein entscheidendes Puzzleteil für dieses Kapitel fehlte dem New Yorker: ein langer Rosenkrieg, ein jahrelanger Gerichtsstreit, mit seiner grossen Liebe in der Schweiz, dem Jodeln.

«Widerliche Reklame»

Der Zentralschweizer Jodlerverband und Franz Hecht-Hug gehen am 16. Dezember 1937 vor das Schweizer Bundesgericht. Der Verband «pflegt und fördert unsere althergebrachten Bräuche schweizerischen Volkstums …», so die Statuten. Doch Hug widersetze sich den Statuten, bleibe laut Verband Veranstaltungen fern, arbeite mit Verbandsfremden oder mit ausländischen Fahnen und im Ausland, mache «widerliche Reklame». Dies ist dem Bundesgerichtsurteil zu entnehmen. Hug habe, so behaupteten böse Zungen, die Reichsfahne ebenfalls mitgeschwungen, nachdem die Feierlichkeiten beendet waren.

Der Jodlerverband hatte ihn zuvor ermahnt, dass sein «theatralisches Gebaren und gar in der Tracht eines Innerschweizers, mit Rücksicht auf die Heimat unserer teuer verehrten und bodenständigen Eigentümlichkeit, auf das Gefühl jedes wahren Eidgenossen absolut abstossend wirken muss». Statt der geforderten Rechtfertigung erhielt der Verband die Austrittserklärung Hugs. Diese wurde nicht akzeptiert und führte zum besagten Prozess. Franz Hug verlangte eine Schadensersatz- und Genugtuungssumme von 500 Franken vom Verband. Und bekam Recht. Sein Austritt sei freiwillig aber auch deshalb für beide Parteien sinnvoll. Der Verband endete dabei fast im Ruin. Trotzdem, auch der Schmerz des Geächteten sass tief. Er wandte sich eine Zeit lang von Luzern ab, suchte Trost in Amerika. Und fand Erfolg.

In Amerika Mäuse verdienen wie ein Star

Im Film war Hug schon zu Lebenszeiten erfolgreich. 1938 läuft der Film «Swiss Miss» in den Kinos an, in der Schweiz auch als «Dick und Doof im Berner Oberland». Darin war Hug der fahnenschwingende Star neben Stan Laurel und Oliver Hardy. Der Film erntete auch den «Beifall des Führers», wie aus einer vom Historiker Volker Koop zu Rate gezogenen Filmliste hervorgeht. Das legendäre Filmduo streift darin durch die Schweiz, um Mäusefallen zu verkaufen, da es hier so viel Käse geben soll. Und deshalb eben auch Mäuse.

USA. Hug besuchte mit der Schweizer Trachten-Gruppe auch die «Käsehauptstadt der USA», Monroe Wisconsin. Die Stadt trägt den Spitznamen, weil in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten Schweizer in das Gebiet zogen und Käse produzierten. 

USA. Hug besuchte mit der Schweizer Trachten-Gruppe auch die «Käsehauptstadt der USA», Monroe Wisconsin. Die Stadt trägt den Spitznamen, weil in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten Schweizer in das Gebiet zogen und Käse produzierten. 

(Bild: Staatsarchiv Luzern)

Franz Hecht-Hug mochte eine umstrittene Persönlichkeit gewesen sein. Ob er auch die Reichsfahne während seines Aufenthalts in Berlin 1936 in den Händen hielt, lässt sich nicht abschliessend sagen. Er hatte sich primär den Erfolg als Unterhaltungskünstler auf die Fahne geschrieben und diese dabei, in der Meinung kritischer Landsleute, möglicherweise zu hoch geschwungen.

Kunst mit Franz Hug

Der britische Künstler David Smith berichtet in seinem Blog über eine Begegnung mit Franz Hug, als dieser in Hergiswil auftrat. «Ich war 10 Jahre alt, als ich ihn traf. Franz Hug war die Unterhaltung des Abends. Ich erinnere mich, dass ich beeindruckt war von der Grösse seines Alphorns.»

030 Did Kurt Schwitters think Franz Hug a tosser. Papier, Sandpapier und Touche 229mm x 152mm

030 Did Kurt Schwitters think Franz Hug a tosser. Papier, Sandpapier und Touche 229mm x 152mm

(Bild: David Smith)

Gemäss New Yorker war ein «gewöhnliches Alphorn» damals bekannt als etwas länger als einen Meter. David Smith widmet dem bekanntesten aller Fähndler heute noch einen Platz auf seiner Kommode, mit einer für ihn signierten Autogrammkarte: «Es war die Sorte von Dingen, die in der damaligen Zeit die Kinder noch zu vergnügen vermochten.» Die Idee, dass überhaupt jemand ein internationaler Star des Fahnenschwingens sein könnte, findet er als Erwachsener völlig bizarr.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon