Unterwegs mit der Zuger Polizei

Chronik der Langeweile

Um die Kommunikation zwischen verschiedenen Einsatzkräften zu verbessern, wird auch in Zug seit zwei Jahren über «Polycom» gefunkt. (Bild: Zuger Polizei)

Der Polizisten-Job ist unberechenbar – wie das Leben selbst. 13’500 Notrufe verzeichnet die Zuger Polizei pro Jahr, manchmal kommen die Anrufe wegen verdächtigen Wahrnehmungen im Stundentakt. Und dann passiert wieder lange nichts, sehr lange. So wurde ein Besuch bei der Zuger Polizei genau das Gegenteil dessen, was wir erwartet hatten.

Freitagabend, 16.30 Uhr:

Ich stehe im Entrée bei der Zuger Polizei, ganz alleine. Es ist ruhig. Aber die Spannung liegt in der Luft. Schliesslich könnte ich heute dabei sein, wenn ein Mord aufgeklärt wird. Oder ein Einbrecher gefasst wird. Oder zumindest ein paar Schulbuben mit dem geklauten Töffli zu den Eltern zurückgebracht werden.

Der nette Polizist am Empfang meldet mich an. Kurz darauf werde ich abgeholt und in das oberste Stockwerk der Zuger Polizei gebracht. Dahin, wo sich Major und Leutnant kurz darauf einen schönen Feierabend wünschen. Wo aber auch entschieden und geführt wird. Und dahin, wo das Herzstück, die Einsatzleitzentrale – im Polizeijargon ELZ genannt –, liegt.

16.55 Uhr

Die ELZ, das ist dort, wo es bei der Polizei gehörig abgeht: Das Telefon klingelt jeden Tag durchschnittlich 400 Mal. Davon sind etwa 40 pro Tag Notrufe.

 

Die ELZ: Hier werden die Anrufe bei der Polizei entgegengenommen.

Die ELZ: Hier werden die Anrufe bei der Polizei entgegengenommen.

(Bild: zentralplus)

Von wo wird angerufen? Warum wird angerufen? Wer ruft an? Und zwar in genau dieser Reihenfolge. Denn sollte der Anruf aus irgendeinem Grund unterbrochen werden, weiss die Polizei zumindest, wohin sie muss.

Da stehen wir also und warten auf den Sturm. Und dann tatsächlich. Es klingelt. Der diensthabende Polizist nimmt den Anruf per Knopfdruck entgegen. Ganz gelassen, wie uns scheint. Ein interner Anruf. Fehlalarm. Unsere innere Aufregung verfliegt sogleich. Nun ja. Was noch nicht ist, kann ja noch werden. Man soll den Tag nie vor dem Abend loben respektive umgekehrt. Oder?

18.30 Uhr

Die Voraussetzungen sind gut: Es ist Freitagabend. Es regnet. Ideal eigentlich, um in einer Bar über den Durst zu trinken und dann unerlaubte Dinge anzustellen. Ich wünsche mir (mit schlechtem Gewissen) wenigstens ein paar unartige Sprayer oder pubertierende Schläger. Aber es ist verdächtig ruhig.

Inzwischen sitzen wir im Aufenthaltsraum der Zuger Polizei und hören gespannt und live mit, ob per Funk ein «Auftrag» reingeflattert kommt. Denn dann wären wir bereit: Ausgestattet mit einem zivilen Dienstauto, Funk und einer ehemaligen Polizistin am Steuer würden wir zum Tatort flitzen. Ein guter Plan, eigentlich.

Und dann tatsächlich: Eine Patrouille meldet sich. Viele Abkürzungen und etwas von Sender. Endlich geht was, denke ich. Aber ich habe mich zu früh gefreut. Schon wieder. Es ist nur der ausgestiegene GPS-Tracker der einen Patrouille. Dieser zeigt der ELZ, wo sich das Einsatzfahrzeug befindet.

18.45 Uhr

Auch Polizisten sind Menschen und haben Hunger. Wir fahren zur nächsten Tankstelle, wie die Polizisten im Film. Dort gibt es ein praktisches Sandwich auf den Weg und in Aussicht auf einen ereignisreichen Abend noch zwei Riegel dazu. Die Diät zum Teufel, man weiss ja nie, wann der nächste Funkspruch kommt und wann man überhaupt Zeit zum Essen hat.

Manchmal bleibt aber auch viel Zeit zum Essen: Denn nur wenige Minuten später verspeisen wir gemütlich unser Sandwich im leeren Aufenthaltsraum der Polizei. Dazu lauschen wir Geschichten von Würsten, die nie gegessen werden, und Tupperwares, die voll wieder in den Kühlschrank wandern, weil während des Essens plötzlich die Arbeit ruft.

Ganz nach dem Motto «Allzeit bereit» ruht unsere volle Achtsamkeit auf dem Funk, auch beim Verdrücken des trockenen Fastfoods. Aber wieder: Nichts. Nicht mal ein falsch parkiertes Auto. Langsam zweifle ich an den Zugern. Sind die wirklich so brav?

19.20 Uhr

Langsam werden wir unruhig. Zum Glück hat das Polizeigebäude etwas zu bieten. Da gibt es nämlich einiges zu bestaunen: den Schiesskeller, wo die Polizisten regelmässig Schiesstrainings absolvieren, eine Tiefgarage mit einem Boot, Patrouillenwagen und anderen Dienstwagen. So sehe ich – ohne etwas verbrochen zu haben – einen Gefangenentransporter von innen. Darin reihen sich Gitterzellen aneinander, in denen man sitzend gerade noch Platz hat. So muss sich ein Tier im Käfig fühlen, denke ich.

«Betrunkene, die sich wie kleine Kinder benehmen, nerven.»
Sandra Schmid, Kommunikationsverantwortliche Zuger Polizei

Und wenn wir schon bei bedrückend und eng sind: Auch der Abstandsraum ist diesbezüglich nicht zu verachten. Achtung, werte Zuger. Sollten Sie eines Tages von einer Patrouille mitgenommen werden: Da werden Sie landen. In einem Raum, der bis unter die Decke gefliest ist. Darin hat es einzig eine Sitzgelegenheit. Und die Tür kann man nur von aussen öffnen.

Der Abstandsraum, die hausinterne «Zelle».

Der Abstandsraum, die hausinterne «Zelle».

(Bild: zentralplus)

Ich zumindest werde schon leicht klaustrophobisch beim Anblick dieses Aufenthaltsraumes der anderen Art und lehne das Angebot, reinzusitzen, dankend ab. Gleichzeitig schwöre ich mir, nie etwas zu verbrechen, selbst wenn Sandra Schmid, Mediensprecherin der Zuger Polizei, versichert: «Wir halten die Aufenthaltszeiten in den Abstandsräumen so kurz wie möglich.»

20.25 Uhr

Bald ist Schichtübergabe. Das hebt die Stimmung ein wenig. Denn für Journalisten ist Langeweile echt nervig. Und für Polizisten? Die dürfen Langeweile ja nicht doof finden. Denn schliesslich geht es dann allen Bürgern gut. Und dann bleibt Zeit, Rapporte zu schreiben oder Fusspatrouillen durchzuführen. Gibt es Dinge, die Polizisten nerven?

Sandra Schmid, früher selber Polizistin und jetzt in der Kommunikationsabteilung der Zuger Polizei tätig, weiss das ziemlich genau: «Betrunkene, die sich wie kleine Kinder benehmen. Oder uneinsichtige Mitmenschen, die sich nichts sagen lassen wollen oder sich ausfällig gegenüber der Polizei oder anderen Bürgern verhalten. Doch auch in solchen Situationen müssen wir professionell sein.»

20.52 Uhr

Dann beginnt die Übergabe von der Spätschicht auf die Nachtschicht. Es wird kurz besprochen, was am Tag alles passiert ist, welche Pendenzen anstehen und welche geplanten Einsätze bevorstehen. Eine Patrouille zum Beispiel wird am späteren Abend eine Reihe von Befragungen in einem Quartier machen.

«Ich hatte einen Streit mit meiner Frau. Jetzt kann ich nicht mehr zurück in die Wohnung.»
Hilferuf eines Mannes

Und dann passiert uns etwas, was uns vorher und nachher nicht hätte passieren können. Wir verpassen einen Einsatz. Denn kurz bevor die Schichtübergabe losging, rief ein Mann bei der ELZ an: «Ich hatte einen Streit mit meiner Frau. Jetzt kann ich nicht mehr zurück in die Wohnung.» Eine Patrouille fährt hin, wir sitzen im Rapport.

Der Trost: 30 Minuten später hat sich das Problem geklärt. Der Mann schläft im Hotel, die Frau wird von einer Freundin betreut. Ein Fall für häusliche Gewalt, erklärt Schmid. Am nächsten Tag wird sich jemand beim Paar melden und nachfragen, wie es geht. Bei der Polizei hat man eigens für solche Fälle eine Fachstelle eingerichtet, weil sie so häufig vorkommt, die häusliche Gewalt (zentralplus berichtete).

21.55 Uhr

Wir sitzen im Auto. Endlich. Vielleicht schnappen wir den Mann noch, so wie ich mir das zu Beginn des Abends gewünscht habe. Um 20.23 Uhr ging in der ELZ ein Anruf ein: Man habe auf der Überwachungskamera einen versuchten Einbruch beobachtet. Das sei aber schon vor 15 Minuten gewesen. Signalement: dunkel gekleidet, Kopfbedeckung und ein brauner Rucksack. Eine Patrouille war da gerade in der Nähe und gab Entwarnung, bevor wir losfahren konnten.

Kurz vor 22 Uhr hat dieselbe Person aber nochmals angerufen: Man habe wieder Personen auf der Überwachungskamera gesehen. Dieses Mal mit Taschenlampe. Unser Verdacht: Das waren die Polizisten, die kurz nachgeschaut haben, ob es Einbruchspuren hatte.

«Was ist das Schlimmste, was man antreffen könnte?»
Sandra Schmid

Doch was wäre, wenn jetzt tatsächlich eingebrochen wurde? Wir düsen los, auch die Streife fährt nochmals hin. Der berühmte Jagdtrieb breitet sich zusammen mit dem Adrenalin in unserem Körper aus. Polizisten bereiten sich auf der Anfahrt mit mentalem «Judo» vor, wie Schmid erklärt: «Was ist das Schlimmste, was man antreffen könnte? Was ist das Wahrscheinlichste? Wie gehen wir vor und wer übernimmt welche Aufgaben?» So sind die Polizisten beim Eintreffen auf verschiedene Szenarien vorbereitet und können schnell handeln.

Die Streife ist uns bereits auf dem Hinweg wieder entgegengefahren. Offenbar war da nichts. Wir kurven trotzdem noch durchs Quartier, finden aber nur harmlose Anwohner, die den Hund ausführen oder auf den Bus warten. Ungefährlich also.

Der Rest des Abends lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: zwei Anrufe wegen Nachtruhestörungen bei Schulhäusern. Der eine noch bevor tatsächlich Nachtruhe gewesen wäre, der andere Fall hatte sich erledigt, bevor die Streife überhaupt vor Ort war. Die Schüler mussten wahrscheinlich kurz nach dem Anruf des verärgerten Anwohners nach Hause ins Bett. Und so bleibt der Abend bei der Polizei ereignislos. Schlecht für den Artikel, aber schön für die Zuger.

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