Die gesammelten Schätze der Zuger Pfadi

«Was, wenn’s hier mal brennt?»

Strammstehen galt damals nicht nur im Militär. (Bild: wia)

Spatzzelt, Rauchtee und Morse-Alphabet: Seit hundert Jahren gibt es die Jungs und Mädels von «Jeden Tag eine gute Tat» in der Stadt Zug. Und da gibts einen Pfader, der hat eine ganze Menge davon miterlebt. Und alles nur, weil er so ein Angsthase war.

Peter Tschudi hat bereits eine lange Pfadi-Ära hinter sich. Und noch einiges vor sich. Seit fünf Jahren ist er der Archivar des Zuger Pfadi-Archivs, und es gibt noch viel zu tun.

Professionell sieht’s hier aus, im Archiv am Lüssiweg 17 in Zug. Da steht ein Pult mit Computer, dahinter Dutzende leere Ordner im Gestell. In den verschiebbaren Regalen ist alles sehr ordentlich eingereiht und beschriftet, der passende Archivplan dazu hängt beim Eingang. «Hier vorne sind die Chroniken von verschiedenen Fähnlein, Stämmen und Abteilungen und da hat’s Ausgaben von alten Pfadi-Zeitschriften. Dort liegen Fotos, die ich noch nicht sortiert habe.»

Strammstehen galt damals nicht nur im Militär.

Strammstehen galt damals nicht nur im Militär.

(Bild: wia)

Alles ist in Abteilungen und Jahre gegliedert und wartet darauf, vervollständigt zu werden. Denn noch weist das Archiv grosse Lücken auf. «Ich selber hatte einst noch eine Zaine voll altem Pfadimaterial im Keller und dieses, als wir in eine kleinere Wohnung umzogen, entsorgt – ein Jahr bevor das Pfadiarchiv gegründet worden ist! Und Ähnliches höre ich heute von meinen Pfadikameraden, wenn ich sie auf alte Pfadidokumente anspreche.»

Eine Pfingst-Odyssee

Tschudi, der in der Pfadiwelt als Hurrli bekannt ist, hat was zu erzählen. Hat ganze Jahrzehnte der Pfadibewegung durchlebt, als Pinggel, Gruppenführer, Abteilungsleiter und Kantonsleiter. Wenn er von den verschiedenen Abteilungen von damals erzählt, ist das verwirrend. Da gab’s eine katholische Abteilung, dort eine reformierte, hier fusionierten zwei, da wurde eine aufgelöst.

100 Jahre Lagerfeuer

Die Zuger Pfadibewegung feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Zwar wandelten sich die verschiedenen Abteilungen regelmässig, dennoch sind die Pfader in Zug seit 1915 nahtlos aktiv. Am kommenden Samstag, dem 5. September, feiert die Pfadi Zug ihr 100-Jähriges ab 14.00 Uhr mit einer Schnitzeljagd. Später wird auf dem Landsgemeindeplatz mit Beiz und Musik gefeiert. Natürlich darf auch das Lagerfeuer nicht fehlen.

«Ich selber war Mitglied von der katholischen Pfadi ‹Peter Kolin›. Und beim abteilungsübergreifenden Altpfader-Verein bin ich noch immer mit dabei. Gerade morgen gehen wir wieder wandern.» Tschudi blickt auf eine über 60-jährige Pfadi-Ära zurück. «Meine Gotte war Gründerin der Wolfsmeute ‹Peter Kolin›. Sie hat mir die Wölfli anfangs der 50er schmackhaft gemacht. Sie fand nämlich, ich sei ein Angsthase und die Pfadi würde mir gut tun.»

Damals wohnte Tschudi noch in Rotkreuz und reiste jeden Samstagnachmittag mit der Eisenbahn nach Zug an die Übungen. «Während der Woche konnte ich aber nicht auch noch nach Zug fahren und verpasste darum jeweils die Gruppenhöcks was hie und da zum Nachteil wurde.»

«Dann bin ich halt mit Sack und Pack wieder zurück nach Rotkreuz gefahren. Ich fand das damals gar nicht so schlimm.»

Peter Tschudi v/o Hurrli

So etwa, als er die Information verpasste, dass das Pfingstlager im Talacher nur bei schönem Wetter stattfinden würde. «Mein Pfadiführer hatte vergessen, mir das mitzuteilen. So bin ich also mit Velo und dem ganzen Gepäck von Rotkreuz nach Zug gefahren und von dort hinauf zum Talacher. Im Regen versteht sich.» Die Suche nach den Zelten seiner Pfadikollegen verlief erfolgslos. «Und dann bin ich halt mit Sack und Pack wieder zurück nach Rotkreuz gefahren. Ich fand das damals gar nicht so schlimm.»

War das 1956 oder 1958?

Zwischendurch stockt Tschudi in seinen Geschichten. War das 1956 oder 1958? Was genau stand da auf der Packliste? Und schon springt er auf, eilt zwischen die Regalreihen und kommt Sekunden später wieder zurück. Ausgerüstet mit Fotos, Chroniken, Lagerheften, die seine Erzählungen unterstützen. Die Dokumente liegen ihm sichtlich am Herzen. Nur ein Gedanke bereitet dem Altpfader Bauchschmerzen. «Was, wenn’s hier mal brennt?»

Peter Tschudi in seinem Element.

Peter Tschudi in seinem Element.

(Bild: wia)

Über 300 Stunden Arbeit hat Tschudi letztes Jahr ins Archiv gesteckt. Zwei bis drei Stunden am Tag sei er üblicherweise dran. «Es ist von Vorteil, dass ich dabei keinen Druck habe. Denn so macht die Arbeit Spass.» Auch einen Computer hat er im Archiv, dort sind alle archivierten Gegenstände penibel genau abgelegt und wenn nötig einfach auffindbar.

«Hier drauf habe ich zum Beispiel auch das Tagebuch unserer Rover-Reise von 1968», sagt Tschudi und deutet auf den PC. Unter seiner Reiseleitung fuhren 13 Rover während drei Wochen bis in die Türkei und zurück. «Ein Auto wollte uns der Autohändler damals nicht vermieten, das war ihm zu heiss. Er hat uns dann aber einen VW-Bus für 4’000 Franken verkauft, den wir ohne Schäden für 3’600 Franken wieder zurück verkaufen konnten.»

«Alle fühlen ein riesiges Bedürfnis, sich zu waschen.»

Aus den Reise-Dokumentationen einer Türkeireise

400 Franken für drei Wochen VW-Bus. Kein schlechter Deal. So fuhr man denn los, «durch Jugoslawien und Bulgarien, mitten durch den eisernen Vorhang» bis in die Türkei. Das Tagebuch, das während der Reise aufgezeichnet wurde, beschreibt mehr oder minder Wichtiges. «Hurrli rasiert sich», steht beispielsweise da, oder aber: «Alle fühlen ein riesiges Bedürfnis, sich zu waschen.» Da geht’s um zersplitterte Frontscheiben, die für umgerechnet 17 Franken ersetzt werden, «in Jugoslawien waren die Autobahnen noch nicht geteert», und um einen Traktor, der dem VW wieder aus dem Feld hilft. «Sogar in den ‹Zuger Nachrichten› sind wir wegen dieser Reise gekommen.»

Mit Präses und Köchinnen ins Pfadilager

«Das Büssli konnten wir nachher gleich fürs Pfadilager brauchen. Im Lager ein Auto zu haben, war damals überhaupt nicht selbstverständlich», erklärt Tschudi. «Früher haben wir alles Material mit Güterzügen und danach mit Transportunternehmen verfrachtet.» Ja überhaupt habe sich einiges geändert.  «In den 50ern hatten wir immer einen Präses mit dabei. – Manchmal war er der einzige Erwachsene im Lager. Zudem hatten wir zwei Köchinnen, die unsere Abteilung verpflegten.»

«Jeder Pfader musste dafür ein Kilo Konfitüre, zwei Landjäger und eine Schoggi ins Lager mitnehmen – als Tourenproviant.»

Peter Tschudi v/o Hurrli

Und das, obwohl man für zwei Wochen Pfadilager damals nur 30 Franken zahlte. «Jeder Pfader musste dafür ein Kilo Konfitüre, zwei Landjäger und eine Schoggi ins Lager mitnehmen – als Tourenproviant.» Eine Verpflichtung mit Konfliktpotenzial. «Die Knaben, die eine Lindt-Schoggi beigesteuert hatten, beklagten sich, wenn sie mit günstiger Migros-Schokolade auf die Wanderung geschickt wurden.» Als Tschudi Lagerleiter wurde, habe er deshalb kurzen Prozess gemacht. «Wir haben damals angefangen, Konfitüre im grossen Kessel zu kaufen und die Kinder mussten keine Naturalien mehr beisteuern.»

Die Zweierkolonne wird abgeschafft

Überhaupt sei Tschudi in einer Zeit Führer geworden, in der die Pfadi langsam etwas lockerer wurde. «Irgendwann mussten wir nicht mehr in der Zweierkolonne im Takt gehen, und sind auch eher mal im Halbkreis gestanden. Ausserdem wurde die Tagwache weniger diszipliniert durchgeführt.» Und was hat sich im Vergleich zu heute verändert? «Ich war vorletztes Jahr ins kantonale Sommerlager eingeladen… Oder war das letztes Jahr?»

Tschudi eilt weg, schaut nach, kommt zurück. «Wofür hat man denn ein Archiv? Also, es war vorletztes Jahr», und er fährt fort, dass er schon erstaunt gewesen sei über die Auflagen, welche die Pfader heute zu erfüllen hatten. «Da hat sogar das Lebensmittelinspektorat Proben gemacht! Und was die dort für Seilbrücken gebaut haben! Mit Karabinern und allem. Bei uns bestand eine Seilbrücke damals aus einem, maximal aus zwei Seilen, an denen man sich rüber hangelte.»

Die Sonnencrème fehlt

Tatsächlich unterschied sich auch die Packliste ziemlich von einer heutigen. Sonnencrème etwa findet man auf einer Liste von 1958 vergeblich. «Damals war die Sonne noch nicht gefährlich», sagt Tschudi und lacht. Zudem wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Kinder vor dem Lager die «heilige Beichte» zu besuchen haben. Den Hinweis an die Eltern, doch bitte keine Fresspäcklein ins Lager zu schicken, dürfte indes auch auf heutigen Listen nicht verkehrt sein.

Fresspäckli unerwünscht! Die Nachricht ist klar.

Fresspäckli unerwünscht! Die Nachricht ist klar.

(Bild: wia)

Die Archivierung der Dokumente dürfte Tschudi noch einige Jahre beschäftigen. Es gilt, Pfadi-Ordner auseinander zu nehmen und am richtigen Ort zu hinterlegen, es gilt, unbenannte Fotos zu sortieren und den richtigen Jahren zuzuordnen. Aber nicht mehr heute. Und auch nicht morgen. Denn morgen wird mit den alten Pfadikollegen gewandert.

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