Verkehrsüberlastung in Luzern

Leben ohne Auto: Bitte umsteigen, liebe Agglo

Viel Platz für den ausgebauten ÖV am neuen, geplanten Bahnhof Horw. So soll das Umsteigen erleichtert werden. (Bild: www.luzernplus.ch)

Stau, Stau, Stau auf Luzerns Strassen, so weit das Auge reicht. Und weil speziell die Agglomeration rasant wächst, wird auch der Verkehr zunehmen. Droht der Kollaps? Nein, sagt der Verband Luzern-Plus, der mit dem Problem beauftragt wurde und die Lösung zu kennen glaubt. Wobei: Auch er hat nicht auf alle Fragen eine Antwort.

In Emmen sind aktuell 1’100 Wohnungen im Bau, in Kriens entstehen über 3’000 neue Wohnungen und in Horw erhöht sich der Wohnungsbestand um einen Viertel: In der Luzerner Agglo geht dank gut einem Dutzend Riesenprojekte ziemlich die Post ab (zentral+ berichtete). Die Schattenseite: Noch mehr Verkehr, noch mehr Stau. Damit das Strassennetz nicht im Chaos versinkt, arbeiten die Stadt Luzern, Horw, Kriens, Emmen, Ebikon, der Kanton und der Bund an einem Gesamtverkehrskonzept. Federführung hat der Gemeindeverband Luzern-Plus. Deren Geschäftsführer Kurt Sidler hat letzten Mittwoch 60 Politiker über den Stand der Dinge aufdatiert. Nun stellt er sich den Fragen von zentral+.

zentral+: Kurt Sidler, Tausende neuer Wohnungen und Arbeitsplätze entstehen in den nächsten Jahren in der Luzerner Agglomeration. Das generiert auch viel Mehrverkehr. Dabei hat man zu Stosszeiten schon heute das Gefühl, dass die Schmerzgrenze auf den Strassen erreicht sei. Wie kann diese Herkulesaufgabe gelöst werden?

 Kurt Sidler: Das ist in der Tat eine grosse Problematik. Klar ist als Erstes: Wir müssen zusammenarbeiten. Es kann nicht sein, dass jede Gemeinde für sich an Lösungen arbeitet, die dann aber mit jenen der anderen nicht kompatibel sind. Diese Zusammenarbeit auch mit Bund und Kanton läuft unter der Federführung von Luzern-Plus. Derzeit werden nun überall entsprechende, aufeinander abgestimmte Verkehrskonzepte erstellt.

Konkret: Um den Hauptverkehr aufnehmen zu können, muss man primär den ÖV und den Langsamverkehr, also Fussgänger und Velofahrer, fördern. Sonst müssten etwa in der Stadt Luzern ganze Häuserreihen eingerissen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die sich im Bau befindliche Mattenhof-Überbauung in Kriens. Dort wird die Zentralbahn-Haltestelle extra ausgebaut und ein 7,5-Minutentakt angestrebt. Enorm wichtig sind auch zuverlässig funktionierende Busspuren sowie die in der Stadt Luzern geplanten Dosierungen von den Quartierstrassen auf die Hauptachsen.

 

Bahnhof Luzern um 1941: Viel Platz, kaum Verkehr. Diese Zeiten sind vorbei. Künftig soll der ÖV priorisiert werden – auch in Horw, Kriens, Ebikon und Emmen.

Bahnhof Luzern um 1941: Viel Platz, kaum Verkehr. Diese Zeiten sind vorbei. Künftig soll der ÖV priorisiert werden – auch in Horw, Kriens, Ebikon und Emmen.

(Bild: Schweizer Luftwaffe)

zentral+: Neue Strassen werden keine mehr gebaut, dafür soll der ÖV und Langsamverkehr ausgebaut werden. Ist das wirklich mehrheitsfähig? Denn realisiert werden kann das nur, indem der Autoverkehr eingeschränkt wird.

Sidler: All unsere Verkehrsexperten sind sich einig: Mit den geplanten Massnahmen rollt nicht nur der ÖV, sondern auch der Autoverkehr besser. Das ist, wie wenn man auf der Autobahn Tempo 80 statt 120 signalisiert. Dann wird der Verkehr auch flüssiger.

zentral+: Und ist es mehrheitsfähig, den Autoverkehr einzuschränken?

Sidler: Das wird sich zeigen, wenn die Parlamente der betroffenen Gemeinden über die Vorlagen entscheiden. Zudem würde ich eher von plafonieren sprechen, nicht von einschränken.

«Zermürbungstaktik ist kein planerischer Ansatz.»

zentral+: Man kann auf den bestehenden Strassen nicht den ÖV fördern, ohne den Autoverkehr einzuschränken. Und um den ÖV zu fördern, muss die Bevölkerung auf diesen umsteigen. In der Stadt Luzern leben schon 42 Prozent der Haushalte autofrei, in der Agglo ist es die Hälfte. Wie wollen Sie das hinkriegen? Oder hoffen Sie darauf, dass die autofahrende Bevölkerung von selbst zermürbt wird ab der vielen Stunden im Stau?

Sidler: (lacht) Nein, Zermürbungstaktik ist kein planerischer Ansatz. Aber wir stellen fest, dass gerade die junge Generation dies schon lebt. Im neueren Tribschenquartier in der Stadt wohnen sehr viele Mieter, die gar kein Auto besitzen. Dort wird urban gelebt und viele Bewohner verzichten auf ein Auto.

zentral+: In der Stadt geht das einfacher als in der Agglo. Ist trotzdem auch dort das Leben ohne Auto die Zukunft?

Sidler: Ich würde nicht sagen, Leben ohne Auto, sondern geschickt leben mit Auto. Etwa via Car-Sharing.

Video zum Gesamtverkehrskonzept der Stadt Luzern:

zentral+: In der Stadt steht am 15. November eine Abstimmung an, welche den Autoverkehr zugunsten des ÖVs weniger einschränken möchte, als dies der Stadtrat will. Was würde ein Ja zur Initiative für das durch Luzern Süd begleitete Agglo-Gesamtverkehrskonzept bedeuten?

Sidler: Dann müssten wir wohl die Planung überdenken und neu machen. Es würde sicher viel schwieriger, die Ziele zu erreichen.

zentral+: In der Stadt soll der Autoverkehr nicht nur auf dem Stand von 2010 plafoniert, sondern dank des neuen Verkehrskonzepts gar um fünf Prozent reduziert werden. Für viele ist es kaum vorstellbar, dass das funktionieren kann.

Sidler: Ich bin sicher, dass es funktionieren wird. Die Reduktion um fünf Prozent bezieht sich ja nur auf die Rushhour von sieben bis acht Uhr und von 17 bis 19 Uhr. Indem die Autos aus den Quartieren und Parkhäusern länger warten müssen, bis sie auf die Hauptverkehrsachsen können, wird dort der Verkehr verflüssigt. Und dank der ÖV-Massnahmen funktioniert auch dieser besser, was viele Leute zum Umsteigen bewegen wird.

zentral+: Für die Wirtschaft ist ein funktionierender Autoverkehr sehr wichtig. Einerseits ist eine gute Erreichbarkeit per Auto für Läden, Firmen und das Gewerbe unter Umständen existentiell, andererseits können etwa Handwerker ja nicht mit dem Bus zu ihren Kunden fahren. Haben Sie auch die Wirtschaft auf Ihrer Seite?

Sidler: Diese Ängste sind da. Aber in Luzern haben wir primär in den Stosszeiten ein Problem. Sonst eigentlich nicht. Und ausserhalb dieser Zeiten wird ja nicht dosiert.

«In Zukunft muss man besser planen, wann man welche Fahrt machen will.»

zentral+: Aber die Busbevorzugung funktioniert den ganzen Tag.

Sidler: Wir sind überzeugt, dass alle gleich zirkulieren können wie bisher. Das wird sich nicht gross verschlechtern. Aber eins ist schon so: In Zukunft muss man besser planen, wann man welche Fahrt machen will. Man muss berechnen, ob man etwa von Ebikon zu Stosszeiten nicht besser mit dem Zug ins KKL nach Luzern will statt mit dem Auto. Das wird sich auch die Wirtschaft besser überlegen müssen, wenn ihre Wege am schnellsten zurückzulegen sind.

Feldbreite in Emmen (links), Rösslimatte in Luzern (oben rechts) und Schweighofpark in Kriens: Drei von vielen Grossprojekten, die realisiert werden.

Feldbreite in Emmen (links), Rösslimatte in Luzern (oben rechts) und Schweighofpark in Kriens: Drei von vielen Grossprojekten, die realisiert werden.

(Bild: Visualisierungen PD)

zentral+: Das ganze Wachstum in der Luzerner Agglo soll laufend überwacht werden. Priorität hat laut Luzern-Plus ein funktionierendes Strassennetz. Was aber, wenn in fünf oder zehn Jahren das Netz in Stosszeiten zusammenbricht? Werden dann nur noch autofreie Neubauprojekte bewilligt?

Sidler: Das ist eine sehr gute Frage… (überlegt) Das können wir im Moment nicht sagen. Aber wir sind auch noch lange nicht an einem solchen Punkt, die Kapazitäten sind noch gross. Das sieht man auch, wenn man zum Beispiel nach Zürich oder Bern schaut. Dort lächelt man teilweise nur über unsere Stauzeiten.

zentral+: Am 26. August sind rund 60 Vertreter aus der regionalen Politik an die Info-Veranstaltung von Luzernplus gekommen. Wie waren die Reaktionen, was findet Zuspruch, was weniger?

Sidler: Zuspruch findet die geplante Zusammenarbeit und die gemeinsame Plattform. Das wird sehr geschätzt, auch die professionelle Planung. Kritische Fragen gab es, ob das ganze Verkehrssystem wirklich so funktionieren kann, wie wir es vorgestellt haben.

zentral+: Welches sind die nächsten Verkehrs-Meilensteine?

Sidler: Derzeit werden all die verschiedenen Verkehrskonzepte ausgearbeitet, zusammengeführt und in die jeweiligen Parlamente von Stadt Luzern, Kriens, Horw und Emmen getragen. Bis Frühling 2016 sollte dies soweit sein. Danach geht’s an die Umsetzung.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Thomas Glatthard
    Thomas Glatthard, 29.08.2015, 08:08 Uhr

    Danke Herr Wolf für den Artikel. Das erste Bild zeigt den Bahnhof Horw mit den geplanten Neubauten und dem Bushof; hier sollen alle Buslinien zusammenkommen und den Anschluss an die S-Bahn ermöglichen, die in Zukunft im 7,5-Minuten-Takt zwischen Horw und Luzern verkehren wird.
    Eine entsprechende Verknüpfung Bus/Bahn wird es auch in Kriens-Mattenhof geben. Auch hier entsteht ein grosszügiger Bahnhofplatz und eine grosse Neuüberbauung mit Baustart Ende 2015.
    Der neue Stadtteil LuzernSüd wird damit städtischen Charakter erhalten und ist nicht mehr «Agglo». Dies wird sich auch auf das Mobilitätsverhalten auswirken. Dazu wurde das Grundkonzept Verkehr LuzernSüd erarbeitet. Ziel ist, soviel öV wie möglich, damit der wirtschaftlich notwendige Verkehr fliessen kann. Das Konzept wird in diesem Herbst in den drei Exekutiven Kriens, Horw und Luzern beraten und Anfang 2016 in den drei Parlamenten.
    Weitere Infos zu LuzernSüd: www.luzernsüd.ch
    Thomas Glatthard, Gebietsmanager LuzernSüd

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