Verschwundene Zuger Perlen

Gefrässiger Bauboom und zarte alte Häuser

Am Kopf der Alpenstrasse empfing das Hotel Schweizerhof die Gäste vom Zugperron. Und heute? (Bild: Kantonale Denkmalpflege Zug)

In den 70ern wurden alte Gebäude in Zug plötzlich Freiwild – und eine Abbruchlawine rollte durch die Zuger Neustadt. Dabei kam so manche Perle unter die Baggerschaufeln. Hat die Denkmalpflege gepennt? Ein alter Brief des ersten Zuger Denkmalpflegers zeigt, wie die Bauherren damals funktionierten.

Paläste abgerissen, Villen plattgemacht, Backsteinfabriken geschleift: Die Zuger Neustadt hat in den 70ern eine radikale Abrisskur über sich ergehen lassen. Wer heute die Bilder betrachtet, muss denken: Hat die Denkmalpflege geschlafen?

Im Gegenteil: «Es gab sie noch gar nicht», sagt die heutige Zuger Denkmalpflegerin, Franziska Kaiser. «Die vielen Abrisse in der Zuger Neustadt waren ein Weckruf, das hat schlussendlich auch zur Gründung der Zuger Denkmalpflege beigetragen.» Damals wurde die Stadt Zug für das Inventar der neueren Schweizer Architektur (INSA) untersucht und man wurde langsam darauf aufmerksam, was der Bauboom in der Stadt anrichtete. Erst 1974 wurde die hauptamtliche Denkmalpflege gegründet. Aber was für eine – am Anfang hatte die neue Behörde noch gar nichts zu sagen.

Ein alter Brief – man beachte den Tonfall

Das wird offensichtlich, wenn man die frühe Korrespondenz der Denkmalpflege betrachtet: Im Dezember 1978 schrieb der damalige Denkmalpfleger einen Brief an den Leiter der damaligen MZ Immobilien, Heinz Buhofer. Darin bittet der Denkmalpfleger höflich darum, man möge doch die Backsteinfassade der Metallwarenfabrik stehen lassen.

«Es dürfte schwer halten, im weiten Umkreis eine ähnlich imposante Backstein-Fassade zu finden» heisst es im Brief, und dann: «Ich bin nicht ganz hoffnungslos, dass Sie meine Anregung ernsthaft prüfen und zur Sprache bringen.» Und weiter: «Ich würde mich freuen, wenn Sie einmal zu einem Gespräch für dieses Thema Zeit fänden.» Damit ist die Hierarchie klar: Der Denkmalpfleger ist Bittsteller. «Tonfall und Rahmenbedingungen haben sich seit damals schon sehr geändert», sagt Kaiser.

Keine Chance

Das vorweihnachtliche Schreiben stösst zwar nicht auf taube Ohren, aber hat trotzdem keine Chance. Die Metallwarenfabrik Zug schreibt sehr höflich zurück: Man habe sich diese Möglichkeit überlegt, aber die Bevölkerung würde sich wohl kaum mit der Fabrikanlage identifizieren – sie könne sogar geschäftsschädigend sein. «Grundsätzlich drücken wir das Empfinden weiter Bevölkerungskreise aus, wenn wir feststellen, dass diese Fabrikfassade mitten in der Stadt Zug als störend empfunden wird», schreibt Buhofer. Und weiter: «Wir sind überzeugt, dass eine Konsultativ-Befragung in der Stadt Zug über die Erhaltenswürdigkeit der Metalli-Fassaden zu einem negativen Ergebnis führen würde.»

Es wäre sogar zu befürchten, so geht der Brief weiter, «dass eine gewisse Abneigung gegen diese Gebäude die Prosperität der sich hier niederlassenden Geschäfte gefährden könnte.» Die Haltung der Bauherren ist klar – man will sich den Neubau nicht durch die alte Fassade erschweren lassen: «Wir stehen Ihrem Anliegen nicht verständnislos gegenüber und müssen auch zugestehen, dass dieser Fassade eine identifizierende Rolle nicht abgesprochen werden kann.»

«Sie können sich vorstellen, damit hatten wir keine Chance.»

Josef Grünenfelder, erster Zuger Denkmalpfleger im Vollamt.

Trotzdem passe die Fassade nicht in die zukünftige Entwicklung der Stadt, prophezeit Buhofer. Keine Chance für die junge Denkmalpflege: Wenn der Eigentümer nicht will, dann geht in diesen frühen Jahren gar nichts. Das Volk stimmte dem Bebauungsplan trotz Widerstand aus linken Kreisen 1983 zu – die Fabrik wurde abgerissen, das Einkaufszenter Metalli gebaut.

Nur «bombastisch Wichtiges» unter Schutz

Josef Grünenfelder sitzt in seinem Büro in Cham, gleich unter der Kirche, vor dem Fenster grosse Bäume. Gleich kommen die Enkel zu Besuch. Grünenfelder ist seit neun Jahren pensioniert. Er hat den Brief damals geschrieben. «Sie können sich vorstellen, damit hatten wir keine Chance. Es gab kein Gesetz, mit dem wir etwas unter Schutz hätten stellen können.» Das konnte nur der Regierungsrat, und für den musste es schon etwas «bombastisch Wichtiges sein, damit er es unter Schutz gestellt hätte», sagt der erste hauptamtliche Zuger Denkmalpfleger.

«Und der Stadtrat war ganz und gar dagegen, dass die Metalli unter Schutz gestellt würde.» Ein Denkmalpfleger ohne Gesetz, wie geht das überhaupt? «Damals ging es vor allem darum, die Denkmalpflege unter die Leute zu bringen. Die Bauherren damals dachten, naja, jetzt kommt noch dieser Ästhet. Man hat uns freundlich zugehört, aber viele rissen trotzdem ab.»

Es habe erst einen Bewusstseinswandel gebraucht. Und den hat Grünenfelder herbeigeschrieben. «Wir haben Artikel verfasst, die Zeitschrift Tugium gegründet, möglichst breit versucht, über die Denkmalpflege zu informieren.» Vorträge gehalten, mit der Politik verhandelt. «Da mussten wir natürlich immer wieder vorstellig werden. Es war nicht immer leicht, je nach Regierungsrat konnte die Denkmalpflege aktiver sein, oder war stärker zurückgebunden.»

Ärger mit französischem Palais

Der Bauboom hat schöne Gebäude aus der Stadt herausgebissen, besonders in den Anfangsjahren der Denkmalpflege. Grünenfelder kann sich gut an Häuser erinnern, die er nicht retten konnte: «Was mich immer noch ärgert, ist der französische Palais, am Eck beim Bundesplatz, da wo jetzt das Matratzengeschäft ist.» Heute stehen vom ehemaligen Palästchen nur noch zwei Figuren im Eingang, die Besitzerfamilie wollte abreissen. «Das ist nicht, was ich unter Denkmalpflege verstehe», sagt Grünenfelder.

Die Zuger Denkmalpflege hat klein angefangen, mit einem Pult, einer Schreibmaschine und einem Zeichentisch für den Assistenten: Zwei Leute, ein ganzer Kanton. Arbeit gab es genug. «Damals standen viele Kirchenrenovationen an», sagt Grünenfelder. «Und die Burg war ein grosses Thema. Die Regierung wollte sie eigentlich abreissen, wollte nur den Turm stehen lassen.»

Auch beim Kolinplatz konnte die junge Denkmalpflege einiges retten: Das Stadthaus etwa. «Da sollte abgerissen werden. Wir haben das Haus untersucht und die Wandmalereien gefunden, die heute sichtbar gemacht wurden.» Wenn die Denkmalpflege früher eingeführt worden wäre, dann sähe die Stadt heute anders aus. «Dabei war der Kanton noch im Mittelfeld, andere kamen viel später.»

«Ein guter Denkmalpfleger muss ein Gesicht haben»

Im Moment steht die Denkmalpflege wieder unter Druck, im letzten Jahr haben mehrere Motionen im Kantonsrat die Debatte um sie befeuert. Wie hat Grünenfelder das aus der Distanz erlebt? «Ich kommentierte grundsätzlich nie die Tätigkeiten, Vorgehensweisen und Ansichten meiner Nachfolger, sondern äusserte mich gelegentlich zu Sachthemen. Aber was ich sagen kann ist: Ein Denkmalpfleger muss ein Gesicht haben. Und mit Franziska Kaiser haben wir nun so eine Denkmalpflegerin. Sie macht mir einen guten Eindruck.»

Und sie nimmt die Reibereien mit der Politik sportlich auf: «Ich finde das interessant, und es gibt uns die Gelegenheit, unsere Arbeit von Grund auf zu überdenken», sagt Kaiser. Sie ist nun seit knapp einem Jahr im Amt. Ist es schlimm für die Stadt Zug, dass so viele alte Gebäude dem Bauboom zum Opfer fielen? «Die Denkmalpflege schaut nach vorne», sagt Franziska Kaiser, «was verschwunden ist, ist weg. Daran lässt sich nichts ändern. Man kann allenfalls daraus lernen.»

Beim Metalli etwa würde man heute zwar anders reagieren. «Aber nur eine Fassade zu erhalten, wie das damals der Wunsch war, das würde man heute nicht mehr versuchen. Man will kein Disneyland.» Und manchmal sei es auch gut, wenn Neues kommt: «Auf dem Grundstück des heutigen Bundesplatzes etwa stand vorher eine private klassizistische Villa. Jetzt ist es ein öffentlicher Raum, der allen zugänglich ist.» Ob sie nicht dennoch schöner war als das heutige Gebäude des Coop City – das bleibt Geschmackssache.

 

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