Selbstversuch beim «Containern» in Luzern

Das Abendmahl aus dem Abfall

Nur eine von sechs Tonnen, die jede einzelne noch gute Esswaren beinhaltet. (Bild: jav)

Das Thema «Foodwaste» wird salonfähig – sogar die Luga informiert über Lebensmittel-Verschwendung. Das Containern hingegen ist vielen Leuten noch immer suspekt. zentral+ hat es ausprobiert und ist in Luzerns Container abgetaucht. Mit überraschendem Resultat.

Mit Velo und Rucksack ausgerüstet treffen wir uns um 22 Uhr. Ein regnerischer Montag, ein Gewitter zieht auf – doch wie Tom* später verrät – kein schlechter Zeitpunkt zum «Containern». Wir machen uns also gleich auf den Weg, trotz des miesen Wetters.

Seit vier Jahren ernährt sich der Mittzwanziger zu einem grossen Teil von den Lebensmitteln, die Supermärkte abends in den Abfall schmeissen. Auf den Geschmack gekommen ist er in Deutschland, wo er es erstmals mit einem Kumpel zusammen ausprobierte.

«Es gibt nichts, das man nicht findet.»
Tom*

Unter den Personen, die sich von Container-Abfall ernähren, sind nicht nur bedürftige Menschen. Viele wollen auf diese Weise ein Zeichen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln in grossen Mengen setzen und Kritik an unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft üben. «Es gibt nichts, das man nicht findet», erzählt Tom und bringt wirklich überraschende Beispiele. «Ich habe schon Bier gefunden, Kaffee, Pasta, sogar Batterien», erzählt er. Dinge, die sehr lange haltbar sind.

Ob wir heute etwas finden werden, kann Tom nicht versprechen. Er habe nicht wirklich raus, wann die Container an seinem Lieblingsplatz geleert werden. Verraten, welchen Platz, welchen Laden wir ansteuern, werden wir hier nicht. Denn Toms «Spot» bleibt geheim. «Bei gewissen Läden ist es ein offenes Geheimnis, dass da viele Containern gehen. Da trifft man dann auch immer wieder neue Gesichter.»

Immer schön unauffällig bleiben

Aber Tom hat sich seinen eigenen Spot gesucht. Etwas ausserhalb der Wohnviertel, in Industriegebieten ist es am ruhigsten, sind die Container auch weniger oft weggeschlossen. «Ich fahre zwei bis drei Mal pro Woche hier hin und finde eigentlich immer etwas.» Bisher habe es an diesem Platz keine Probleme gegeben. Aber es ist Vorsicht geboten, auch heute abend, wo wenige Leute unterwegs sind.

«Die besten Abende sind regnerische, ungemütliche, da sind wenig Personen unterwegs.» Wir stellen die Räder trotzdem etwas entfernt ab und schlendern unauffällig Richtung Container. «Wenn die Läden Wind davon bekommen, dass jemand bei ihnen Containern geht, ziehen sie Gitter oder schwere Rolläden vor die Container.»

Ein Fest für Rohkostfans

Zu 90 Prozent ist er beim Containern alleine unterwegs, erzählt Tom, während wir uns den Containern nähern. Es stehen hier einige davon im Dunkeln, etwas um die Ecke. Man sieht uns von der Strasse her nicht, auch als das Licht angeht und wir die Container aufmachen. Sie sind unverschlossen, stehen frei zugänglich da. Und es ist viel drin. Säckeweise Karotten, Zitronen, Erdbeeren, Zucchinis, Salate, Brote und auch Blumen. Zwischendurch hallen die Schritte von Passanten, hören wir Gespräche, wir halten kurz inne. Doch entdeckt werden wir von niemandem.

Food Save an der Luga

Mit dem Projekt «Food Save Luzern» ist der Verein Neugarten an der Luga vor Ort: Diese widmet dem Thema Foodwaste dieses Jahr eine Sonderschau. Von der richtigen Lagerung über Menüplanung bis hin zur Resteverwertung sollen Luga-Besucher Diverses über Lebensmittel lernen. Die Ausstellung wird von der Plattform foodwaste.ch in Zusammenarbeit mit dem Kanton Luzern organisiert.

Auch abgepacktes Fleisch wie Rindsplätzli und Parmaschinken liegt im Abfall. Es sieht zwar noch gut aus, aber Tom winkt ab. «Fleisch ist heikel. Das nehm ich nur mit, wenn es draussen richtig kalt ist.» Denn dann wird die Kühlkette nicht wirklich unterbrochen. Im Winter kann man sich daher mehr erlauben. «Ich hab auch schon Sushi rausgefischt, und ich habs überlebt», lacht er.

Ein paar Dinge sollte man aber doch beachten: «Fleisch und Milchprodukte nur bei ganz tiefen Temperaturen mitnehmen und zuhause immer alles gründlich abwaschen», erklärt Tom. Gesundheitlich gibt es keine Probleme, wenn man sich an diese Regeln hält. Aber wie sieht es eigentlich rechtlich aus?

Legal, illegal, egal?

In der Szene heisst es: Wer in der Schweiz containern möchte, begeht keine Straftat. Lebensmittelabfälle dürfen hierzulande mitgenommen werden, ausser wenn diese durch Schlösser oder Zäune weggeschlossen sind. «Ich habe recherchiert und habe auch nichts Anderslautendes gefunden», so Tom.

Die Läden stellen auf Nachfrage jedoch klar, dass sie entweder Anzeige erstatten, ober bei den betroffenen Filialen Massnahmen treffen würden. Bei vielen ist Containern jedoch gar kein Thema. Entweder sie schliessen ihre Abfälle sowieso weg. Oder sie sind so klein, dass kaum was übrig bleibt, oder sie verteilen die Abfälle selbst. In Luzern ist die Zahl der «Containerer» nicht sehr gross. Tom kennt nur etwa sechs Personen persönlich, die ebenfalls regelmässig Containern.

«Sobald etwas in den Container geworfen wurde, wird in der Regel der Eigentumsanspruch dafür aufgegeben.»
Urs Wigger, Mediensprecher der Luzerner Polizei

Bei der Polizei heisst es zur Verfolgung von Containern: Es seien in Luzern in diesem Zusammenhang noch keine Delikte registriert worden, aber mögliche Straftaten wie Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch würden auf Anzeige hin verfolgt.

Doch was ist der Fall, wenn kein Schloss aufgebrochen, kein Zaun erklettert werden muss? Wenn man einfach hingehen kann und den Container aufmacht? Auch Urs Wigger, Mediensprecher der Luzerner Polizei, muss dazu erst bei der Oberstaatsanwaltschaft nachfragen. «Sobald etwas in den Container geworfen wurde, wird in der Regel der Eigentumsanspruch dafür aufgegeben. Ist das der Fall, kann etwas straffrei mitgenommen werden, solange keine anderen Tatbestände erfüllt sind.» Sollte jedoch beispielsweise ein Vertrag zur Weiterverarbeitung bestehen, dann gehört der Abfall dem neuen Besitzer, der diesen beispielsweise als Tierfutter verwendet.

Warum nicht einfach fragen?

Urs Wigger macht zum Schluss noch einen Vorschlag, damit man sich die rechtlichen Fragen gar nicht erst stellen müsste: «Man könnte die Geschäfte doch einfach anrufen und fragen, ob man den Abfall haben kann. Das käme bestimmt besser an.»

Doch so einfach ist es scheinbar nicht, wie die Organisatoren des Projekts «Food Save Luzern» aufzeigen. Nadine Schweiger von «Food Save Luzern» hat für den Kühlschrank im Neubad (zentral+ berichtete) bereits mit lokalen Filialen diverser Lebensmittelhändler Kontakt. «Die kleinen Läden sind eher dabei, ihre Abfälle abzugeben. Die Grossen sagen ab.» Als Begründung geben die Grossverteiler an, dass sie ihre verwertbaren Abfälle sowieso schon an die Schweizer Tafel und andere Abnehmer weitergeben. «Doch die Abfalltonnen beweisen oft das Gegenteil», so Schweiger. In den Tonnen seien meist viele gute und oft sogar länger haltbare Produkte drin.

Wegwerfgrund unbekannt

Auch die Produkte, die wir aus der Tonne fischen, sehen zu einem grossen Teil sehr frisch aus. Ein paar braune Flecken haben Gemüse und Früchte, oder die Schale ist etwas beschädigt. Viele Bio-Zitronen sind weder in einem Netz mit Haltbarkeitsdatum, noch haben sie äusserliche Mängel.

Einiges könnte man aber ganz klar nicht mehr essen. Säckeweise Kartoffeln saften bereits vor sich hin. «Die liegen schon länger hier drin», erklärt Tom, der ein paar Tage vorher auch schon an seinem Spot war. «Da muss schon vorher etwas schief gelaufen sein. Solche Produkte kommen sonst gar nicht erst in den Handel.» An den sechs Säcken Karotten in der anderen Tonne können wir jedoch nichts feststellen. Die sind alle noch in einem sehr guten Zustand. «Vielleicht ist das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen», wird später auf der Redaktion spekuliert.

Das ist möglich. Denn das Mindesthaltbarkeitsdatum ist beim Containern weniger Thema. Man sieht und riecht, ob etwas noch geniessbar ist. Und gut gewaschen sollte man auch keine Überraschungen erleben, meint Tom und ergänzt: «Es gibt auch viele abgepackte Dinge, die noch lange nicht das Mindesthaltbarkeitsdatum erreichen und trotzdem in der Tonne landen. Manchmal deshalb, weil hier und da ein Knick in der Packung ist.» Manchmal sei aber alles perfekt in Schuss und er wundere sich beim Blick in die Tonne. «Vermutlich muss dann Platz im Regal geschaffen werden?»

Und Einkaufen?

Nach kurzer Zeit sind unsere Rucksäcke voll. Es hätte bestimmt noch für zehn weitere Personen Essen in diesen Tonnen. Doch Abfall mitzunehmen, um ihn hinterher selbst wegzuschmeissen, das mache dann auch keinen Sinn, so Tom. Trotzdem nimmt man beim Containern öfters grössere Mengen des gleichen Produkts mit nach Hause. Kein Problem, denn das wird alles verwertet, erklärt er. «Mit sehr vielen Äpfeln und Bananen haben wir vor einigen Tagen Konfi gemacht.»

Ob er denn überhaupt noch einkaufen geht? «Gewisse Dinge findet man selten im Abfall und oft braucht man etwas, um die Sachen aus dem Container zu ergänzen.» Für die Konfi zum Beispiel habe er für etwa vier Franken Gelierzucker gekauft. Und damit schliesslich Unmengen von Konfi gemacht. Auch das Trocknen, Einmachen und Tiefgefrieren von Lebensmittel ist für Containerer selbstverständlich.

Wir machen uns schliesslich mit unserer Beute wieder auf den Weg durch den Regen. Unterwegs schauen wir uns noch bei einem anderern Lebensmittelgeschäft um. Doch hier sind die Abfallcontainer weggeschlossen. Gut, war unser Bedarf nach der ersten Station bereits gedeckt. Bei Tom in der Küche waschen wir alles und machen ein hübsches Foto. Anschliessend teilen wir unsere Ausbeute brüderlich und schwesterlich auf.

Die Ausbeute einer halben Stunde, gewaschen und sortiert.

Die Ausbeute einer halben Stunde, gewaschen und sortiert.

(Bild: jav)

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