Trauer ist keine Krankheit − aber wer zu lange trauert, kann krank werden. Nun werden in Luzern Personen ausgebildet, die Menschen mit Verlust- und Trennungsschmerz unterstützen.
Plötzlich ist alles anders. Nach dem Verlust eines geliebten Menschen können Hinterbliebene den Boden unter den Füssen verlieren. Während Sterbende professionell gepflegt, betreut und begleitet werden, finden Trauernde nur wenig Unterstützung. Genau das kritisieren Barbara Lehner und Antoinette Brem. Die beiden freischaffenden Theologinnen unterstützen Menschen in Krisensituationen und bieten seit 2007 einen Lehrgang in Trauerbegleitung an. Seither haben sie rund 100 Personen ausgebildet.
«Trauer entsteht durch einen Verlust», erklärt Barbara Lehner. Dementsprechend unterschiedlich können auch die Ursachen sein: Trennungen, Scheidungen, Veränderungen im sozialen Umfeld − auch der Verlust der Gesundheit oder des Arbeitsplatzes kann dazu führen, dass Menschen den Boden unter den Füssen verlieren und nichts mehr wie vorher ist − und unter Umständen auch niemals mehr sein wird. Doch wann braucht es professionelle Trauerbegleiter? «Manchmal ist es so, dass Hinterbliebene selbst Monate nach ihrem Verlust noch leiden und keine Perspektive für ihre Zukunft haben», erklärt Lehner. «Sie glauben, dass sie ihr Umfeld bereits genügend mit ihrer Situation belastet haben.» Nicht zuletzt stehen Hinterbliebene unter einem grossen gesellschaftlichen Druck: «Von ihnen wird erwartet, dass sie einfach weiterfunktionieren wie bisher», so Lehner.
15 neue Trauerbegleiter ausgebildet
Vergangene Woche konnten in Luzern erneut 15 Personen als Trauerbegleiter diplomiert werden. Die Klasse setzte sich aus Menschen mit den unterschiedlichsten Berufen zusammen. Doch egal, ob Bauführer, Friedhofsekretärin, Informatiker oder Katechetin − ihnen allen gemeinsam ist, dass sie beruflich oder privat Menschen in Trauer-, Verlust- und Krisensituationen erlebt haben oder täglich damit konfrontiert werden. Eine von ihnen ist Andrea Arnet. Die Pflegefachfrau aus Knutwil hat sich aus beruflichen Gründen für die einjährige Ausbildung entschieden.
In ihrer Ausbildung und auch in Weiterbildungen zur Palliative Care sei Trauer lediglich ein Randthema gewesen − in der Praxis erlebe sie es jedoch als ein sehr zentrales Thema. «Trauerarbeit beginnt für Betroffene und deren Angehörige bereits dann, wenn sie beispielsweise mit einer unheilbaren Diagnose konfrontiert werden», erklärt Arnet. «Wir Pflegenden sind dann oft wichtige Gesprächspartner und können dazu beitragen, dass sich Betroffene und Angehörige auf einen wichtigen Trauerprozess einlassen können.» Ihr Arbeitgeber hat sich daher an den Kosten des Lehrgangs beteiligt.
«Eine gesunde Trauerkultur sehe ich als Gesundheitsprophylaxe.»
Andrea Arnet, Pflegefachfrau am Luzerner Kantonsspital Sursee
In der Ausbildung setzten sich die Teilnehmer mit den verschiedenen Phasen des Trauerprozesses auseinander und wie man dabei auf Menschen eingeht. Auch was Hinterbliebene nach einem Suizid beschäftigt und wie man sie in ihrer schwierigen Situation unterstützen kann, ist ein grosses Thema. Nicht zuletzt planten die Absolventen im Rahmen der Ausbildung ein eigenes «Trauer-Projekt». So sind die unterschiedlichsten Arbeiten zusammengekommen. So hat beispielsweise eine Teilnehmerin eine Online-Plattform mit Liedern für Trauernde geschaffen und bietet zugleich Hilfe bei der Organisation des musikalischen Rahmens bei Beerdigungen und Trauerfeiern an. Die Plattform trägt den Namen «Ausklang − Musik für die letzte Reise».
Trauerkultur stärken
«Ich denke, neben den Seelsorgern benötigen wir weitere ausgebildete Fachpersonen, die Trauernde begleiten − unabhängig von religiösen Vorstellungen», so Arnet weiter. «Eine gesunde Trauerkultur sehe ich als Gesundheitsprophylaxe.» Auch wenn der Trauerprozess etwas Normales und die Trauer selbst das Heilmittel gegen Verlust- und Trennungsschmerz sei, gebe es spezielle Konstellationen, in welchen Menschen professionelle Hilfe benötigen. Beispielsweise Menschen, die einen unerwarteten Verlust erleben mussten oder jemanden durch einen Suizid verloren haben. Aber auch Kinder und Jugendliche brauchen manchmal geschützte Räume und Unterstützung für ihre Trauerprozesse.
«Trauer ist keine Krankheit − man muss sie zulassen, um sie überwinden zu können.»
Barbara Lehner, Trauerbegleiterin und freischaffende Theologin
Barbara Lehner und Antoinette Brem wollen vermitteln, dass Trauer Verständnis, Rituale, Gemeinschaft und ein Wissen um die spezifischen Themen der Verlustsituation braucht. Längerfristig sei es daher ihr Ziel, ein Netzwerk für die Trauerkultur aufzubauen, wo betroffene Menschen in verschiedensten Situationen Hilfe finden. «Es ist wichtig, dass es auch in der Schweiz die Möglichkeit gibt, Trauergefühle in einem geschützten Rahmen zuzulassen und neue Lebensorientierung zu finden», so Brem. Mit «Trauergefühlen» meint sie nicht nur Gefühle, die beim Tod eines Angehörigen aufkommen.
Neue Lebensperspektive finden
Trauerbegleitung sei auch Lebensbegleitung, meint sie weiter. Bei der Arbeit mit den Trauernden gehe es unter anderem darum, eine neue Lebensperspektive zu erarbeiten. «Dabei stellt man sich ganz konkreten Fragen», erklärt die Trauerfachfrau. Etwa, wie man die nächsten Feiertage verbringen will, was man nun mit Freizeit und Ferien anfangen will, wenn der Partner plötzlich nicht mehr da ist.
Oft würden Trauernde von Hausärzten, Psychologen oder durch das persönliche Umfeld an professionelle Trauerbegleiter weitervermittelt. In ihren Trauerseminaren und den persönlichen Begleitungen, welche die beiden Trauerbegleiterinnen neben ihren Lehrgängen anbieten, sei es besonders wichtig, die Trauerfähigkeit zu stärken. «Trauer ist keine Krankheit − man muss sie zulassen, um sie überwinden zu können», sagt Lehner.
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