Missbräuche in Rathausen

Gedenkstätte für Kinderheim-Opfer

Im und um die historische Klosteranlage Rathausen soll eine Gedenkstätte für das Leid der ehemaligen Heimkinder errichtet werden. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Bisher war unklar, wie eine Gedenkstätte für die Opfer des Kinderheims Rathausen aussehen soll. Angekündigt wurde sie bereits vor über zwei Jahren. Recherchen von zentral+ zeigen nun: Es geht voran, das Grobkonzept steht. Noch ist aber eine zentrale Frage offen.

Im August 2009 wurde ein erster Schritt unternommen, den Leiden der damaligen Heimkinder des Kinderheims Rathausen zu gedenken. «Als Mahnung, dass sich Unrecht nicht wiederholt», steht auf einer Tafel neben einem Apfelbaum. Ein kleines Mahnmal für ein dunkles Kapitel der Luzerner Heimgeschichte (zentral+ berichtete). Bereits ein Jahr zuvor – im September 2012 – kündigte der Kanton Luzern an, eine Gedenkstätte für die Opfer zu errichten. Bis heute ist davon aber nichts zu sehen.

«Würdige Erinnerung» geplant

Die Federführung bei der Erarbeitung eines Konzepts hat die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern (SSBL). Sie ist seit 1983 Eigentümerin des historischen Klosters. Direktor Rolf Maegli hat gute Neuigkeiten: «Ein Grobkonzept steht», sagt er auf Anfrage. Noch müssten aber Detailfragen geklärt werden.

Klar ist: «Wir möchten die ganze Geschichte Rathausens erzählen», erklärt Maegli. Diese beginnt 1250 mit der Klostergründung, geht weiter über die Unterbringung der Bourbaki-Armee 1870/71 bis zur Verwendung als Kinderheim ab 1882. «Die Geschichte des Kinderheims soll einen gebührenden Platz, eine würdige Erinnerung erhalten», so der Direktor der SSBL.

Videoinstallation im ehemaligen Karzer

Konkret sieht das Konzept vor, dass an verschiedenen Orten im und um das Kloster Hotspots erstellt werden, die Einblick in die verschiedenen Geschichten geben sollen. Maegli macht ein Beispiel: «Im Karzer, wo die Kinder eingesperrt wurden, könnte eine Videoinstallation eingerichtet werden.» Diese soll Bezug auf die Geschichte nehmen. Oder auch beim Milchhof, dem Gebäude, in dem die Jugendlichen das Übergangsjahr bis zu ihrem Austritt verbrachten. Insgesamt seien mehrere solcher Hotspots denkbar. Die Geschichte soll interaktiv dargestellt werden, so die Idee. «Bei den Hotspots sind QR-Codes geplant, die via Handy-Scans zu weiterführenden Videos oder Bildern führen», erklärt Maegli. Er betont aber, dass das Konzept noch in Bearbeitung ist.

Die Stiftung plant zurzeit parallell zwei Projekte. Denn schon diesen Monat beginnt sie mit dem Bau von 90 Wohnplätzen und der Sanierung der historischen Klosteranlage. Einige der Installationen für die Gedenkstätte könnten gleichzeitig mit dem Bau realisiert werden, wie Maegli sagt. Etwa die Darstellung der Klostermauer. «Ein Hotspot könnte dann künftig aufzeigen, wo die Klostermauer früher verlaufen ist».

«Etwa 85 Prozent der Finanzierung ist gesichert.»

Rolf Maegli, Direktor der SSBL

Regierung will ebenfalls ganzheitliche Stätte

Die Vorstellung der Luzerner Regierung geht in die gleiche Richtung wie das Konzept der SSBL. Die Gedenkstätte «soll nicht isoliert und im luftleeren Raum entstehen», heisst es in einer Antwort auf eine Anfrage von SP-Kantonsrat David Roth. Es sei der Regierung ein grosses Anliegen, dass der Ort des Erinnerns in die geplante Sanierung der Klosteranlage integriert werden könne.

Die Stätte soll aber die ganze Geschichte des Klosters aufzeigen. «Aktuell ist keine Gedenkstätte vorgesehen, die sich ausschliesslich mit diesem schmerzlichen Abschnitt der Geschichte Rathausens befasst», heisst es in der Antwort. Für die Realisierung der Stätte hat der Kanton im April 2014 100’000 Franken aus dem Lotteriefonds bereitgestellt. Heute prüft die Regierung, ob sie die geplante Gedenkstätte auch bei öffentlichen Führungen einbeziehen will.

Offene Fragen gibt es aber noch bei der Finanzierung. Die Gesamtinvestitionen für Neubau, Sanierung und Gedenkstätte belaufen sich auf rund 50 Millionen Franken. Während die Neubauten durch den Kanton finanziert werden, ist die Stiftung für die Klostersanierung und die Umgebungsgestaltung verantwortlich. Dazu braucht sie noch Geld. Die SSBL hat deshalb kürzlich ein Fundraising gestartet. «Etwa 85 Prozent der Finanzierung ist gesichert – sofern wir bei der Klostersanierung nicht noch Überraschungen mit der Bausubstanz erleben», erklärt Maegli. Er hofft, dass auch die weiteren Gelder zusammenkommen werden. Noch nicht finanziell gesichert ist etwa die Kirchensanierung innen. «Wir können zwar das Dach sanieren, damit es von aussen schön aussieht. Funktional ist es dann aber noch nicht.

Finanzielle Unterstützung erhält die Stiftung allenfalls auch von den Ingenbohler Schwestern, die das Kinderheim damals führten. Im Januar 2013 hatten sie angekündigt, dass sie sich eine finanzielle Beteiligung an der Gedenkstätte vorstellen könnten. «Dazu können wir aber noch nichts sagen», heisst es bei den Schwestern auf Anfrage. Von den aktuellen Plänen der Gedenkstätte hätten sie noch keine Kenntnis.

Mehr Spielraum bei der Innovation

Massgeblich am Konzept mitgearbeitet hat Professor Markus Furrer. Er leitete die Studie zur Aufarbeitung der Geschichte des Kinderheims im Auftrag des Kantons Luzern. 2012 ist sein Bericht erschienen. «Das Konzept hat länger gedauert als geplant, aber das hat sich gelohnt», sagt Furrer. Man sei auf gutem Weg. «Anfänglich verfolgten wir die Idee einer tatsächlichen Gedenkstätte. Dies liess uns aber wenig innovativen Spielraum», erklärt der Professor der Pädagogischen Hochschule Luzern.

Die belebte Geschichte des Klosters stellte ihn vor Herausforderungen. «Eine davon war, dass das Gebäude heute einen völlig anderen Nutzen hat als damals», wie er sagt. Er nennt ein weiteres Beispiel, wie die Gedenkstätte konkret aussehen könnte: «Beim damaligen Eingangstor ist ein Hotspot vorgesehen. Hintergrundinformationen erklären, wie damals die Kinder abgegeben wurden oder auch warum.» So ganz klar sei das Konzept derzeit aber noch nicht. «Wir sind aktuell daran, die Details auszuarbeiten», sagt Furrer.

«Die Idee mit den Hotspots ist ein denkbarer Ansatz»

Bindeglied zwischen dem Kanton Luzern und der Stiftung SSBL ist Daniel Wicki, Fachbereichsleiter Soziales und Arbeit im Gesundheits- und Sozialdepartement. Obwohl er das Konzept noch nicht im Detail kennt, weiss er von den Plänen der interaktiven Hotspots. «Diese Idee ist sicher ein denkbarer Ansatz», sagt Wicki. In absehbarer Zeit wollen die involvierten Parteien nun zusammensitzen, um das Konzept im Detail zu besprechen. Der Kanton Luzern hat ein Mitspracherecht bei der Schaffung einer Gedenkstätte. «Bisher haben wir davon noch nicht Gebrauch gemacht, weil das Projekt noch zu wenig weit entwickelt ist», erklärt Wicki.

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